Dokument-ID: 692055

Johann Schöffthaler | News | 01.09.2014

Die Zulassung zusätzlicher Überstundenarbeit auf betrieblicher Ebene

Gastautor Johann Schöffthaler beschreibt in seinem Beitrag anhand eines Praxisbeispiels die Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung von zusätzlicher Überstundenarbeit auf betrieblicher Ebene auftreten können. Was ist zulässig und was nicht?

Bei einer Kontrolle von Arbeitszeitaufzeichnungen wurde ich darauf hingewiesen, dass es in der Firma eine Vereinbarung gibt, dass eine bestimmte Abteilung mit insgesamt ca 15 Arbeitnehmern/innen dieser Firma zu einer Wochenarbeitszeit von 60 Stunden herangezogen werden kann und zwar in folgender Form:

„Alle Dienstnehmer/innen der Abteilung XY dürfen zu einer Wochenarbeitszeit von 60 Stunden für die Tätigkeit A und B herangezogen werden.

Datum: xx.yy.zz

Unterschrift: Betriebsrat XY

Erstellt durch Personalleiter Herr AB“

Bei der Kontrolle wurden Tagesarbeitszeiten zwischen 10 und 16 Stunden, Wochenarbeitszeiten von bis zu 65 Stunden festgestellt und dass die betroffenen Arbeitnehmer/innen oft kurzfristig am selben Tag für Arbeitsleistungen zu solchen Überstunden, welche nicht der Tätigkeit A oder B entsprechen, herangezogen wurden.

Durch Betriebsvereinbarung kann bei „vorübergehend auftretendem besonderem Arbeitsbedarf zur Verhinderung eines unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteils“ ein bestimmtes Ausmaß zusätzlicher Überstundenarbeit zugelassen werden, wenn der Mehrbedarf nicht durch Neueinstellungen, Leiharbeit oder andere Maßnahmen abgedeckt werden kann (§ 7 Abs 4 AZG).

Diese erweiterte Gesamtarbeitszeit darf wöchentlich 60 Stunden, die Tagesarbeitszeit 12 Stunden nicht überschreiten, wobei in insgesamt 24 Kalenderwochen jährlich die erweiterte Überstundenarbeit gemäß § 7 Abs 4 AZG zulässig ist.

Hinweis:

Dabei darf aber nur mehr in 8 unmittelbar aufeinander folgenden Wochen die erweiterte Überstundenarbeit geleistet werden; nach 8 Wochen hat ein Zeitraum von mindestens zwei Kalenderwochen zu folgen, in dem zwar Überstunden geleistet werden dürfen, aber nur im regulären Ausmaß gemäß § 7 Abs 1 bis 3 AZG. Die zweiwöchige Pause muss nach dem klaren Gesetzeswortlaut erst nach 8 Wochen erweiterter Überstundenarbeit eingelegt werden, weshalb zB eine Abfolge 7 Wochen Überstundenarbeit, eine Woche Pause, 8 Wochen Überstundenarbeit zulässig ist.

Zurück zum Praxisbeispiel

1. Fehler: Die vorgelegte Betriebsvereinbarung ist keine Betriebsvereinbarung.

Betriebsvereinbarungen sind schriftliche Vereinbarungen, die vom Betriebsinhaber einerseits und dem Betriebsrat (Betriebsausschuss, Zentralbetriebsrat, Konzernvertretung) andererseits in Angelegenheiten abgeschlossen werden, deren Regelung durch Gesetz oder Kollektivvertrag der Betriebsvereinbarung vorbehalten ist (§ 29 Arbeitsverfassungsgesetz – ArbVG).

Der Personalleiter in diesem Betrieb ist nicht der Betriebsinhaber!

2. Fehler: Die Betriebsvereinbarung, die keine ist, bezieht sich nur auf die 60 Stunden Arbeitszeit in der Woche.

In dieser „Betriebsvereinbarung“ wurde nicht geregelt, ob Tagesarbeitszeiten von 12 Stunden zulässig sind. Nur weil geschrieben steht, dass 12 Stunden am Tag gearbeitet werden darf, ist es nicht selbstverständlich, dass auch 12 Stunden am Tag ohne Vereinbarung gearbeitet werden dürfen. Man kann auch an 6 Tagen in der Woche 10 Stunden pro Tag arbeiten.

3. Fehler: Die Betriebsvereinbarung wurde nicht an die zuständigen Stellen geschickt.

Rechtswirksamkeit erlangt diese Art von Betriebsvereinbarung erst durch die Übermittlung an die zuständigen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie an das zuständige Arbeitsinspektorat (existiert auf Arbeitgeberseite kein kollektivvertragsfähiger Verband, genügt die Übermittlung an Gewerkschaft und Arbeitsinspektorat). Dass die Übermittlung an die Kollektivvertragspartner Gültigkeitserfordernis der beschriebenen Betriebsvereinbarung ist, ergeben der Wortsinn und die grammatikalische Interpretation. Der Zweck der Regelung spricht für die Nichtigkeitsfolge der fehlenden Übermittlung.

4. Fehler: Die Arbeitnehmer/innen dieser Abteilung wurden bei jedem erhöhten Arbeitsbedarf zu dieser Überstundenleistung, insbesondere zu einer Tagesarbeitszeit von 12 Stunden herangezogen (nach dem Motto: Heute brauch ich Dich, deshalb bleibst Du heute länger – wir haben ja eine Vereinbarung).

Voraussetzung ist die Planbarkeit dieser Tätigkeiten und der Dauer des benötigten Zeitraums und nicht die Kompensation jeglicher anfallender Arbeiten im Laufe des Jahres, wie zB als Ersatzarbeitskraft für eine andere Abteilung, in welcher jemand ausgefallen ist wie zB durch Krankenstand oder Kündigung.

Folgen für den Betrieb durch die Kontrolle

Die Vereinbarung ist nicht existent und somit gelten die Höchstarbeitszeitgrenzen von 10 Stunden am Tag und 50 Stunden in der Woche.

Es musste Strafanzeige erstattet werden, da die massiven Arbeitszeitüberschreitungen der Tageshöchstarbeitszeitgrenze von 10 Stunden und Wochenhöchstarbeitszeitgrenze von 50 Stunden eine schwere Straftat darstellen (vgl. § 28 Abs 4 Z 1 Arbeitszeitgesetz).

Die Betriebsvereinbarung ist grundsätzlich im konkreten Anlassfall abzuschließen. Da bei der Zulassung solcher zusätzlicher Überstunden jedoch wegen deren Unvorhersehbarkeit häufig Eile geboten ist, empfiehlt es sich, eine „Grundsatzvereinbarung“ darüber abzuschließen, in welchen Fällen und unter welchen näheren Rahmenbedingungen die Überstundenarbeit zugelassen wird, und diese Grundsatzvereinbarung dann im Anlassfall durch Einigung auf die konkreten Arbeitstage bzw -wochen und die davon betroffenen Arbeitnehmer/innengruppen zu aktivieren.

Nun zu drei kleinen, aber wichtigen, Unterschieden für Betriebe ohne Betriebsrat

  1. In betriebsratslosen Betrieben muss an die Stelle der Betriebsvereinbarung eine schriftliche Einzelvereinbarung treten (§ 7 Abs 4a Z 1 AZG). Zusätzlich muss die arbeitsmedizinische Unbedenklichkeit der entsprechenden Arbeitszeitmengen konkret bezogen auf die betreffenden Tätigkeiten durch eine/n Arbeitsmediziner/in bestätigt werden (§ 7 Abs 4a Z 2 Satz 1 AZG). Ist die arbeitsmedizinische Unbedenklichkeit erteilt worden, kann die Mehrheit der betroffenen Arbeitnehmer/innen binnen fünf Arbeitstagen ab Mitteilung der Begutachtung durch den/die erste/n Arbeitsmediziner/in die Beiziehung einer/s zweiten Arbeitsmediziners/in verlangen. Erst wenn diese/r einvernehmlich bestellt wurde und eine weitere positive Beurteilung hinsichtlich der arbeitsmedizinischen Unbedenklichkeit der Extra-Überstunden abgegeben hat, ist die Voraussetzung der arbeitsmedizinischen Unbedenklichkeit für die Wirksamkeit der Einzelvereinbarung über die erweiterte Überstundenarbeit gegeben (§ 7 Abs 4a Z 2 Satz 2 – 4 AZG).
  2. Durch die normale Fluktuation in der Belegschaft, bei derer Arbeitnehmer/innen von solchen Vereinbarungen betroffen sein können, welche nie die Gelegenheit hatten, eine zweite arbeitsmedizinische Meinung innerhalb der Frist von fünf Tagen zu verlangen, ist daher die arbeitsmedizinische Beurteilung in jedem einzelnen Anwendungsfall erforderlich. Eine generelle Vereinbarung für eine „Abteilung“ und eine bestimmte Tätigkeit, wie zB eine Revision in einem bestimmten Zeitraum, ist somit nicht möglich.
  3. Arbeitnehmer können die Leistung von Überstunden auf Grundlage von § 7 Abs 4a AZG ablehnen und dürfen deswegen nicht benachteiligt werden (§ 7 Abs 6a AZG). Hier wurde ausdrücklich ein eigenes Ablehnungsrecht betreffend diese Kategorie von Überstunden normiert. Die/der Arbeitnehmer/in kann nach dieser Regelung, trotz getroffener Vereinbarung über Extra-Überstunden, die konkrete, darauf beruhende Überstundenleistung ganz oder teilweise verweigern. Das Benachteiligungsverbot hinsichtlich der Überstundenleistung ganz oder teilweise ablehnender Arbeitnehmer/innen bezieht sich „insbesondere“ auf das Entgelt, die Aufstiegsmöglichkeiten, die Versetzung und die Beendigung (dies ist eine beispielhafte Aufzählung). Eine Kündigung, die aufgrund einer entsprechenden Weigerung, Zusatzüberstunden zu leisten, ausgesprochen wurde, ist angesichts des Benachteiligungsverbotes als gesetzwidriges Rechtsgeschäft und daher als nichtig anzusehen.

Hinweis:

Der Gesetzgeber hat in der AZG-Novelle 2007 hinsichtlich der Einzelvereinbarung ausdrücklich verdeutlicht: Einer schriftlichen Vereinbarung bedarf es in jedem Einzelfall eines „vorübergehend auftretenden besonderen Arbeitsbedarfs“ gemäß § 7 Abs 4 AZG.