Dokument-ID: 360797

WEKA (bli) | News | 17.02.2012

Nationale Verfalls- und Verjährungsvorschriften für Leiharbeiter aus EWR-Raum gültig?

Der OGH beschäftigte sich kürzlich mit der Frage, ob § 11 Abs 2 Z 5 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (Verbot der Verkürzung von Verfalls- oder Verjährungsvorschriften) auch für Leiharbeiter aus dem EWR-/EU-Raum gilt.

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall war ein Arbeitnehmer (Kläger) über ein in Liechtenstein niedergelassenes Leiharbeitsunternehmen (Beklagte) in Österreich als Leiharbeiter beschäftigt. Dabei führte er dieselben Tätigkeiten aus wie ständig beschäftigte Arbeiter, die für diese Tätigkeiten eine Schmutz- und Erschwerniszulage erhielten. Außer Streit steht, dass der Leiharbeiter während des aufrechten Arbeitsverhältnisses in Österreich ebenso Anspruch darauf hat.

Der Arbeitnehmer forderte fünf Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Auszahlung der Schmutz- und Erschwerniszulagen sowie der erhöhten Sonderzahlungen. Daraufhin teilte ihm das Leiharbeitsunternehmen mit, dass er diese Ansprüche zu spät geltend gemacht habe. Es berief sich dabei auf die Anwendbarkeit des im Arbeitsvertrag vereinbarten Liechtensteinischen Rechts und die Verfallsbestimmung im Arbeitsvertrag, wonach offene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bei sonstigem Verfall innerhalb von drei Monaten ab Fälligkeit beim Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden müssen.

Der Kläger führte ins Treffen, dass die arbeitsvertragliche Verfallsbestimmung trotz der getroffenen Rechtswahl aufgrund der Bestimmung des § 11 Abs 2 Z 5 AÜG ungültig sei.

Arbeitsvertragliche Verfallsbestimmung ungültig?

Gemäß § 11 Abs 2 Z 5 Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) dürfen gesetzliche Verfalls- und Verjährungsvorschriften nicht zulasten des Arbeitnehmers einzelvertraglich gekürzt werden. Es handelt sich hierbei um eine nationale Arbeitskräfteüberlassungsvorschrift.

Gilt dies auch für aus dem Ausland (EU-/EWR-Raum) entsendete Arbeitskräfte?

Der OGH bejaht dies. Nationale Arbeitskräfteüberlassungvorschriften im Sinn von Schutzbestimmungen zugunsten überlassener Arbeitnehmer fallen in den koordinierten Bereich nach Art 3 Abs 1 lit a-g der Entsenderichtlinie 96/71/EG. Deshalb ist es dem jeweiligen Mitgliedstaat erlaubt, derartige Vorschriften auch auf aus dem EU-(EWR-)Ausland entsendete Arbeitnehmer anzuwenden. Somit dürfen auch diese Arbeitnehmer die Schutzbestimmungen des AÜG unmittelbar für sich in Anspruch nehmen.

Es handelt sich bei § 11 Abs 2 Z 5 AÜG, wonach gesetzliche Verfalls- und Verjährungsvorschriften nicht einzelvertraglich verkürzt werden dürfen, um eine Arbeitskräfteüberlassungsvorschrift iSd Art 3 Abs 1 lit d der Entsenderichtlinie, die damit in den koordinierten Bereich (Kernbereich) der zwingenden Schutzbestimmungen im Sinn der Richtlinie fällt. Aufgrund dessen gelangt diese Schutzbestimmung ungeachtet der getroffenen Rechtswahl als relevantes Schutzniveau des Aufnahmestaats auf den zu beurteilenden Arbeitsvertrag zur Anwendung.

Daraus folgt, dass sich die Beklagte nicht auf die entsprechende Verfallsbestimmung berufen kann. Die im Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers (Klägers) enthaltende Verfallsfrist von 3 Monaten ist somit ungültig, da sie der Schutzbestimmung des § 11 Abs 2 Z 5 AÜG widerspricht.

OGH vom 20.01.2012, 8 ObA 74/11g