27.03.2023 | Arbeitsrecht | ID: 1133517

Sozialwidrigkeit einer Kündigung

Andreas Gerhartl

Kündigungen oder grundlos ausgesprochene Entlassungen können wegen Sozialwidrigkeit angefochten werden, wenn dadurch eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung eintritt. Diese Voraussetzung hängt vom Einkommensverlust ab.

Wesentliche Interessenbeeinträchtigung – Sozialwidrigkeit

Die erfolgreiche Anfechtung einer Kündigung wegen Sozialwidrigkeit bedarf des Nachweises, dass wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt sind. Die mit jeder Beendigung des Arbeitsverhältnisses verbundenen Nachteile reichen daher nicht aus, sondern es müssen Umstände vorliegen, welche die Beendigung des Arbeitsverhältnisses über das normale Maß hinaus nachteilig machen (zB OGH 26.01.2017, 9 ObA 13/16a). Gewisse Schwankungen der Einkommenslage muss somit jeder Arbeitnehmer im Laufe seines Arbeitslebens hinnehmen.

Das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen ist aber erfüllt, wenn die durch die Kündigung bewirkte finanzielle Schlechterstellung ein solches Ausmaß erreicht, dass sie eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat. Der Eintritt einer sozialen Notlage oder Existenzgefährdung ist dafür aber nicht erforderlich (zB OGH 30.08.2022, 8 ObA 46/22f).

Einkommenseinbuße wegen Kündigung

Die Rsp geht tendenziell davon aus, dass Einbußen von unter 10 % hinzunehmen sind, während Einkommensverluste von 20 % und mehr auf gewichtige soziale Nachteile hindeuten (OGH 21.10.1998, 9 ObA 261/98t). Die prozentuelle Einkommenseinbuße ist aber auch mit Bezug auf das absolut bezifferte Gesamteinkommen zu sehen (zB OGH 22.08.2012, 9 ObA 54/12z). So kann bei hohen Einkommen selbst bei einer Einbuße von 40 % Sozialwidrigkeit zu verneinen sein, wenn der Arbeitnehmer weiterhin in der Lage ist, seine individuellen Lebensbedürfnisse zu befriedigen (OGH 30.09.2005, 9 ObA 8/05z).

Es darf daher nicht allein auf starre Prozentsätze abgestellt werden (zB OGH 29.01.2013, 9 ObA 148/12y). Vielmehr ist die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (zB OGH 29.08.2019, 8 ObA 39/19x). Eine wesentliche Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitnehmers kann sich weiters auch daraus ergeben, dass er (im Rahmen einer neuen Beschäftigung) eine deutlich über die Normalarbeitszeit hinausgehende Arbeitsleistung in Kauf nehmen muss, um die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse weiter zu gewährleisten.

Gesamtes Familieneinkommen

Bei der Untersuchung, ob wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt sind, ist auch auf das Erwerbseinkommen des Ehegatten abzustellen und die Sozialwidrigkeit zu verneinen, wenn in Anbetracht des hohen Einkommens des Ehegatten eine fühlbar ins Gewicht fallende Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Arbeitnehmers nicht zu befürchten ist (zB OGH 28.08.2018, 8 ObA 50/18p).

So wurde im konkreten Fall das Vorliegen einer wesentlichen Interessenbeeinträchtigung verneint, wenn dem gekündigten Arbeitnehmer und seiner Ehefrau trotz eines durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingetretenen Einkommensverlustes von rund 30 % ein Einkommen von EUR 10.333,42 brutto monatlich verbleibt und die monatlichen Ausgaben der Familie insgesamt EUR 3.637,67 betragen.

OGH 16.12.2022, 8 ObA 71/22g

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