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Judikatur | Entscheidung

2010/08/0193; VwGH; 23.Mai 2012

GZ: 2010/08/0193 | Gericht: VwGH vom 23.05.2012

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des MH in Wien, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stubenring 18, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. August 2010, Zl MA 40 - SR 16782/09, betreffend Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 Abs 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 26. August 2009 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs 10 ASVG, rückständige Beitragsschulden der H. Bau GmbH samt Nebengebühren von EUR 53.054,44 zuzüglich Verzugszinsen seit 18. August 2009 in Höhe von 6,94 % berechnet von EUR 34.844,28 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin gewesen. Zu seinen Pflichten habe es gehört, dafür zu sorgen, dass die Beiträge, insbesondere die Dienstnehmerbeitragsanteile iSd § 153c StGB, ordnungsgemäß entrichtet und die Melde-, Anzeige- und Auskunftspflichten nach § 111 ASVG erfüllt werden. Dies sei schuldhaft unterblieben. Der Beschwerdeführer hafte für die nicht einbringlich zu machenden Beiträge.

In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch brachte der Beschwerdeführer vor, er habe lediglich die technische Geschäftsführung der H. GmbH inne gehabt. Der „Finanzbereich“ sei ausschließlich von dem weiteren im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführer MSch. geführt worden. Dieser sei für die Nichtbezahlung der angeführten Beiträge verantwortlich.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch teilweise stattgegeben und festgestellt, dass der Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs 10 ASVG verpflichtet sei, der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse rückständige Sozialversicherungsbeiträge der H. GmbH in Höhe von EUR 34.844,28 zu bezahlen.

Die dem Beschwerdeführer (richtig: der H. GmbH) vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge seien uneinbringlich, weil der über das Vermögen der H. GmbH eröffnete Konkurs mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 25. Juli 2008 gemäß § 139 KO aufgehoben worden sei. Es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen, widrigenfalls eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden könne. Für nicht abgeführte, aber einbehaltene Dienstnehmeranteile bzw für Beitragsausfälle, die auf schuldhafte Meldepflichtverletzung zurückzuführen seien, sei im Ausmaß der Uneinbringlichkeit dieser Beiträge grundsätzlich zur Gänze zu haften.

Mit dem erstinstanzlichen Bescheid sei die Haftung des Beschwerdeführers für den „3. Nachtrag 12/03“ sowie für Verzugszinsen festgestellt worden. Sämtliche Zahlungen (Quotenzahlungen im Zwangsausgleich, Konkursquote sowie Zahlungen des Insolvenzentgeltausfallsfonds) seien darin bereits berücksichtigt worden. Für Verzugszinsen sei allerdings nicht zu haften. Die im Einspruch thematisierte Frage der Gläubigergleichbehandlung sei ohne Relevanz. Bei der H. GmbH habe im Zeitraum vom 3. bis zum 11. Dezember 2002 eine Beitragsprüfung über den Prüfzeitraum Jänner 1999 bis April 2002 stattgefunden. Dabei sei festgestellt worden, dass vom Jänner 2002 bis März 2002 keinerlei Beitragsnachweisungen für die aus den in den Berichtigungslohnlisten ersichtlichen Dienstnehmer erstellt und an die Wiener Gebietskrankenkasse gemeldet worden seien. Der mit dem „3. Nachtrag 12/03“ vorgeschriebene Beitragsrückstand sei auf Meldeverstöße zurückzuführen. Die Berichtigungslohnlisten seien im Rahmen des behördlichen Verfahrens an den Beschwerdeführer übermittelt und nicht weiter bestritten worden.

Dem Beschwerdeführer sei ein Verschulden an den Meldeverstößen insofern anzulasten, als er verpflichtet gewesen wäre, diese bestimmten, konkreten Meldungen zu erstatten. Das Wissen um diese Meldepflicht sei als vom Grundwissen des Geschäftsführers umfasst anzusehen bzw das Nichtwissen von ihm zu vertreten. Zu seinem Vorbringen, es habe im strittigen Zeitraum zwischen ihm und dem zweiten Geschäftsführer eine Aufgabenteilung bestanden, wonach er nicht mit dem abgabenrechtlichen Agenden betraut gewesen sei, sei zu bemerken, dass unter den „den Vertretern auferlegten Pflichten“ iSd § 67 Abs 10 ASVG ua die Melde- und Auskunftspflichten infrage kämen, soweit diese im § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert seien. Nach § 9 VStG treffe jedoch die Verantwortlichkeit sämtliche Organe der Gesellschaft. Eine Frage der Agendenteilung sei nicht von Relevanz. Im Übrigen könne die Aufgabenverteilung unter Geschäftsführern selbst bei größter Spezialisierung nicht bewirken, dass ein Geschäftsführer sich nur noch auf das ihm zugeteilte Aufgabengebiet beschränken dürfe und sich um die Tätigkeit der anderen Geschäftsführer nicht mehr kümmern müsse. Hinsichtlich der von den anderen Geschäftsführern unmittelbar betreuten Aufgabengebiete bleibe eine Pflicht zur allgemeinen Beaufsichtigung (Überwachung) und gegebenenfalls zur Schaffung von Abhilfe aufrecht. Bestehe der Verdacht, dass im Arbeitsbereich eines anderen Geschäftsführers Missstände vorliegen, dann müsse sich der Geschäftsführer einschalten, um nicht selbst ersatzpflichtig zu werden. Eine Verletzung dieser Pflicht liege vor, wenn der von der Wahrnehmung der zu erfüllenden Pflichten entbundene Geschäftsführer trotz Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers nichts unternehme, um Abhilfe zu schaffen. Eine haftungsrechtlich relevante Pflichtverletzung könne auch in einer vorwerfbaren Unkenntnis solcher Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers liegen. Dies sei dann anzunehmen, wenn der Geschäftsführer keine geeigneten Überwachungsmaßnahmen getroffen habe, die ihn in die Lage versetzt hätten, Pflichtverstöße des nach der Geschäftsverteilung zuständigen Geschäftsführers überhaupt zu erkennen.

Das vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vom 20. Mai 2010 erstattete Vorbringen über die gesetzten Überwachungsmaßnahmen („ich habe gefragt, ob alles in Ordnung sei …, ich habe mich auf meinen Partner verlassen …“) stehe im Einklang mit den Aussagen des Zeugen MSch. vom 16. Juni 2010, die keine weitergehenden Aufsichts- bzw Überwachungsmaßnahmen bestätigt hätten. Das Vorbringen sei nicht geeignet, eine Exkulpierung des Beschwerdeführers herbeizuführen. Es sei grundsätzlich eine Haftung gemäß § 67 Abs 10 ASVG festzustellen, jedoch der Haftungsbetrag um die Verzugszinsen zu reduzieren.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde, die ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde bringt vor, der Beschwerdeführer habe die H. GmbH seit 1. August 1997 gemeinsam mit MSch. als Geschäftsführer vertreten. Zwischen beiden Geschäftsführern sei vereinbart gewesen, dass der Beschwerdeführer ausschließlich für die technischen und Sch. ausschließlich für die kaufmännischen Belange zuständig sei. Diese Ressortverteilung sei ausnahmslos eingehalten worden. Der Beschwerdeführer habe Einsicht in die Jahresabschlüsse genommen und sich während des Jahres ständig beim verantwortlichen Geschäftsführer nach dem Verlauf der Dinge erkundigt. Er sei seinen Überwachungspflichten nachgekommen. Sch. habe auch bestätigt, dass der Beschwerdeführer seiner Pflicht zur allgemeinen Beaufsichtigung (Überwachung) nachgekommen sei und er von ihm wissentlich falsch informiert wurde. Der Beschwerdeführer habe sich auf seinen Partner verlassen. Vereinbart sei gewesen, dass er die „Baustellen-Sachen“ mache und Sch. das andere (Büro, Buchhaltung). In die Bücher habe der Beschwerdeführer keine Einsicht genommen. Das sei für ihn nicht notwendig gewesen, weil der Aussage des Sch. zufolge alles in Ordnung gewesen sei. Er habe auf die Aussagen seines langjährigen Bekannten Sch. vertraut, nicht zuletzt deshalb, weil der letzte fertig gestellte Jahresabschluss der H. GmbH eine ausreichende Eigenkapitalausstattung gezeigt habe. Pfändungen seien dem Beschwerdeführer nicht bekannt gewesen. Es gab für ihn zu keinem Zeitpunkt einen Grund, an den Worten des Sch. zu zweifeln. Dementsprechend könne im Verhalten des Beschwerdeführers auch keine objektive Sorgfaltswidrigkeit liegen. Es habe kein Verdacht bestanden, dass Missstände vorliegen könnten, welche sein Eingreifen erforderlich gemacht hätten. Grundsätzlich dürfe sich ein Geschäftsführer auf die Aussagen „der mit dem Ressort befassten Mitglieder“ verlassen. Der von einer Vertreterin der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse im Zuge der Verhandlung am 20. Mai 2010 vorgebrachte Einwand, der Beschwerdeführer hätte in die Geschäftsbücher und sonstigen Buchhaltungsunterlagen Einsicht nehmen müssen, um zu kontrollieren, ob Meldungen an die Sozialversicherung erstattet worden seien, sei nicht zutreffend, weil eine Verpflichtung zur Bucheinsicht nicht bestehe. Darüber hinaus hätte die Bucheinsicht keine Auskunft gegeben, ob eine Meldung an die Sozialversicherung erstattet worden sei. Selbst eine Einsichtnahme in die Kontrollmitteilungen der Gebietskrankenkasse könnte hierüber keine Gewissheit verschaffen, weil diese verspätet zugestellt würden und oftmals Buchungsfehler bzw Buchungsrückstände beinhalten würden. Überdies könnten Einsichtnahmen in die Geschäftsbücher bzw Buchhaltungsunterlagen nur in bestimmten Abständen etwa quartalsweise, und nicht täglich durchgeführt werden. Richtig sei, dass sich jeder Geschäftsführer über den Jahresabschluss in Kenntnis setzen müsse. Das habe der Beschwerdeführer auch getan. Die haftungsgegenständlichen Beiträge beträfen die Monate Jänner bis März 2002. Die Konkurseröffnung sei am 24. April 2002 erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt habe der Jahresabschluss zum 31. Dezember 2001 noch nicht fertig gewesen sein müssen. Der zuletzt erstellte Jahresabschluss war der zum 31. Dezember 2000, den der Beschwerdeführer kontrolliert habe und der eben keine Unregelmäßigkeiten aufgewiesen habe. Überdies sei ein Meldeverstoß dann nicht kausal für die Uneinbringlichkeit der Beiträge, wenn diese auch bei ordnungsgemäßer Meldung nicht hätten einbringlich gemacht werden können (zB wegen Vermögenslosigkeit der Gesellschaft). Genau diese Situation sei vorgelegen. Über das Vermögen der H. GmbH sei am 24. April 2002 Konkurs angemeldet worden. In den letzten drei Monaten davor seien die Gläubiger der Gesellschaft mangels Liquidität „nur eingeschränkt befriedigt“ worden. Das bedeute, dass die Forderung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse unabhängig von ordnungsgemäßen Meldungen aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bereits prekären Lage der H. GmbH keinesfalls in vollem Umfang einbringlich gewesen wäre.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Gemäß § 67 Abs 10 ASVG (in der auf ein Geschehen im Jahr 2002 zeitraumbezogen hier noch anzuwendenden Fassung vor der mit der Novelle BGBl Nr 262/2010 erfolgten Änderung des § 58 Abs 5 ASVG) haften (ua) die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträgen insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zl 98/08/0191, 0192, VwSlg 15528 A/2000) gehört zu den den Vertretern auferlegten Pflichten im Sinne des § 67 Abs 10 ASVG nicht auch die allgemeine, die Vertreter der Beitragsschuldner gegenüber den Beitragsgläubigern treffende Pflicht, aus den von ihnen verwalteten Mitteln für die Abfuhr der Beiträge zu sorgen. Vielmehr sind unter den „den Vertretern auferlegten Pflichten“ im Sinne dieser Gesetzesstelle im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese im § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs 2 ASVG (vgl. nunmehr § 153c Abs 2 StGB) umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen. Ein Verstoß gegen diese Pflichten durch einen gesetzlichen Vertreter kann daher, sofern dieser Verstoß verschuldet und für die gänzliche oder teilweise Uneinbringlichkeit der Beitragsforderung kausal ist, zu einer Haftung gemäß § 67 Abs 10 ASVG führen (vgl auch das hg. Erkenntnis vom 17. November 2004, Zl 2002/08/0212). Für nicht abgeführte, aber einbehaltene Dienstnehmeranteile bzw für Beitragsausfälle, die auf schuldhafte Meldepflichtverletzungen zurückzuführen sind, hätten die Geschäftsführer der Gesellschaft mit beschränkter Haftung der vorliegenden Beschwerdeverfahren ohne Bedachtnahme auf die Frage der Gleichbehandlung mit anderen Gläubigern und ohne Bedachtnahme auf die bei Fälligkeit oder bei tatsächlich erfolgter Lohnzahlung noch vorhandenen Mittel im Ausmaß der Uneinbringlichkeit dieser Beiträge grundsätzlich zur Gänze zu haften (vgl das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2011, Zl 2010/08/0076).

Die belangte Behörde hat festgestellt, die Geschäftsführeragenden für die H. GmbH seien dahin geteilt worden, dass für die Erfüllung der Meldepflichten bzw für die Abführung der Beiträge der zweite Geschäftsführer, MSch., zuständig gewesen ist. Diese Aufgabenverteilung unter Geschäftsführern kann jedoch – wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt dargelegt hat – selbst bei größter Spezialisierung nicht bewirken, dass ein Geschäftsführer sich nur noch auf das ihm zugeteilte Aufgabengebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Geschäftsführer nicht mehr kümmern muss. Hinsichtlich der von den anderen Geschäftsführern unmittelbar betreuten Aufgabengebiete bleibt eine Pflicht zur allgemeinen Beaufsichtigung (Überwachung) und gegebenenfalls zur Schaffung von Abhilfe aufrecht. Besteht der Verdacht, dass im Arbeitsbereich eines anderen Geschäftsführers Missstände vorliegen, dann muss sich der Geschäftsführer einschalten, um nicht selbst ersatzpflichtig zu werden. Eine Verletzung dieser Pflicht liegt vor, wenn der von der Wahrnehmung der zu erfüllenden Pflichten entbundene Geschäftsführer trotz Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für Pflichtverstöße des anderen Geschäftsführers nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen. Haftungsbegründend ist auch die vorwerfbare Unkenntnis von Pflichtverstößen des anderen Geschäftsführers (vgl das hg. Erkenntnis vom 26. April 2006, Zl 2005/08/0078).

Eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Erfüllung der genannten Pflichten betrauten anderen Geschäftsführers kommt aber nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln (vgl das hg. Erkenntnis vom 30. September 1997, Zl 97/08/0108, mwN). Ein solcher konkreter Anlass läge etwa vor, wenn der unzuständige Geschäftsführer Informationen über die problematische wirtschaftliche Lage der Beitragsschuldnerin erhalten hat (vgl das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2003, Zl 2003/08/0112), wenn ihm Informationen darüber vorliegen, dass sein Mitgeschäftsführer gegen seine Pflicht zur Berichtigung der Zuschläge verstoßen hatte (vgl das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2010, Zl 2009/08/0190) oder wenn er sich schon bei der Übernahme seiner Funktion mit einer Einschränkung seiner Befugnisse einverstanden erklärt hat und diese Beschränkung dazu führt, dass er beitragsrechtliche (abgabenrechtliche) Pflichtverletzungen von vornherein nicht erkennen kann (vgl das hg. Erkenntnis vom 22. September 2004, Zl 2001/08/0211).

Der angefochtene Bescheid enthält keine Feststellungen darüber, welche konkreten Umstände beim Beschwerdeführer den Verdacht des Vorliegens von Pflichtverletzungen seines Mitgeschäftsführers hätten erregen müssen, was nach dem Gesagten eine besondere Überwachungs- bzw Überprüfungspflicht des Beschwerdeführers hätte nach sich ziehen können. Die belangte Behörde hat vielmehr die Auffassung vertreten, dass der Beschwerdeführer – auch ohne bestimmten Anlass – eine (ständige) Pflicht zur aktiven Überwachung und Überprüfung der Erfüllung der (beitragsrechtlichen) Pflichten durch seinen Mitgesellschafter getroffen hätte und dass eine bloße Nachfrage, ob alles in Ordnung sei, dieser Überwachungspflicht nicht genügt habe. Eine solche initiative Überwachungspflicht besteht jedoch im Verhältnis von Geschäftsführern zueinander nicht (vgl demgegenüber zur Überwachungspflicht gegenüber Personen, derer sich der Geschäftsführer zur Erfüllung seiner Aufgaben bedient, etwa die hg. Erkenntnisse vom 20. September 2006, Zl 2001/14/0202, und nochmals Zl 2010/08/0076).

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Zuerkennung von Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II Nr 455/2008. Ein Ersatz für Eingabegebühren war wegen der sachlichen Abgabefreiheit (vgl § 110 ASVG) nicht zuzusprechen.

Leitsätze

  • Haftung der Geschäftsführer für die Abfuhr einbehaltener Abgaben

    Geschäftsführer einer juristischen Person oder Personengesellschaft haften nach § 67 ASVG für die in Folge schuldhafter Verletzung nicht eingebrachten Beiträge. Erlangt ein Geschäftsführer Kenntnis oder Verdacht, dass im Arbeitsbereich eines anderen Geschäftsführers Missstände auftreten, so muss er einschreiten um nicht ersatzpflichtig zu werden Eine initiative Überwachungspflicht besteht jedoch im Verhältnis von Geschäftsführern zueinander nicht, vielmehr bedarf es eines konkreten Anlassfalles.
    Judikatur | Leitsatz | 2010/08/0193 | VwGH vom 23.05.2012 | Dokument-ID: 491627