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Dokument-ID: 488988

Judikatur | Entscheidung

2012/04/0013; VwGH; 18. Juni 2012

GZ: 2012/04/0013 | Gericht: VwGH vom 18.06.2012

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde der X OG in Y, vertreten durch Ing. Dr. Stefan Krall und Dr. Oliver Kühnl, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Anton-Melzer-Straße 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 28. November 2011, Zl IIa-53029-11/1, betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin im Instanzenzug die Gewerbeberechtigung für das Gewerbe „Zusammenbau von Möbelbausätzen gemäß § 1 Z 21 der 1. Teilgewe(r)be-Verordnung BGBl Nr 11/1998, Teil II“ im Standort Y, B-Straße 20, gemäß § 91 Abs 2 iVm § 87 Abs 1 Z 2 iVm § 13 Abs 3 GewO 1994 entzogen.

Begründend führte die belangte Behörde – soweit vorliegend wesentlich – aus, mit Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 11. August 2010 sei der Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Gesellschafters und gewerberechtlichen Geschäftsführers der Beschwerdeführerin (P) gemäß § 7b Insolvenzordnung mangels kostendeckenden Vermögens rechtskräftig abgewiesen worden.

Mit Schreiben vom 13. September 2010 sei die Beschwerdeführerin durch die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck (BH) unter Hinweis auf den genannten Beschluss gemäß § 91 Abs 2 GewO 1994 aufgefordert worden, (P) binnen acht Wochen nach Zustellung dieses Schreibens aus der Gesellschaft zu entfernen. Zudem sei darauf hingewiesen worden, dass die Gewerbeberechtigung der Beschwerdeführerin bei ungenütztem Verstreichen der Frist zu entziehen sei. Des Weiteren findet sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Feststellung, dass sich der Firmensitz der Beschwerdeführerin nicht mehr an der Adresse Y, R-Weg 25, befinde, sondern „nunmehr“ in die B-Straße 20 in Y verlegt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, welche gegen den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen einwendet, der BH sei zumindest seit dem Jahre 2007 bekannt gewesen, dass die aktuelle Adresse der Beschwerdeführerin in Y, B-Straße 20, sei. Dennoch sei die Aufforderung nach § 91 Abs 2 GewO 1994 an die falsche Adresse der Beschwerdeführerin in Y, R-Weg 25, abgefertigt worden. Die Aufforderung sei ihr niemals zugegangen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren ist alleine strittig, ob die Aufforderung der BH gemäß § 91 Abs 2 GewO 1994 an die Beschwerdeführerin, (P), aus der Gesellschaft zu entfernen, ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Dies ist im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von Bedeutung, wonach durch die Aufforderung nach § 91 Abs 2 GewO 1994 die Sache des gegenständlichen Entziehungsverfahrens festgelegt wird, welche auch die in dieser Aufforderung angeführten für die Entfernung der genannten natürlichen Person bestimmenden Gründe umfasst (vgl das hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2012, Zl 2011/04/0197, mwN).

2.

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass die Aufforderung der BH gemäß § 91 Abs 2 GewO 1994 vom 13. September 2010 ihrer Zustellverfügung zufolge an die Beschwerdeführerin per Adresse R-Weg 25, Y, und ohne Zustellnachweis zugestellt werden sollte. Weiters ist ersichtlich, dass diese Adresse im Firmenbuch als Geschäftsanschrift der Beschwerdeführerin bzw im zentralen Gewerberegister als Sitz der Beschwerdeführerin aufgeschienen ist. Jedoch ist aus dem zentralen Gewerberegister weiters ersichtlich, dass seit 16. April 2004 der Standort der Gewerbeberechtigung der Beschwerdeführerin in Y, B-Straße 20, war.

3.1.

Gemäß § 2 Z 4 ZustellG ist Abgabestelle unter anderem der Sitz des Empfängers.
Gemäß § 13 Abs 1 erster Satz ZustellG ist das Dokument dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Ist der Empfänger keine natürliche Person, so ist gemäß § 13 Abs 3 ZustellG das Dokument einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen.
Gemäß § 3 Z 4 Firmenbuchgesetz, BGBl Nr 10/1991 in der Fassung BGBl I Nr 58/2010 (FBG), sind bei allen Rechtsträgern der Sitz und die für Zustellungen maßgebliche Geschäftsanschrift einzutragen.
Gemäß § 10 Abs 1 FBG sind Änderungen eingetragener Tatsachen, unbeschadet sonstiger gesetzlicher Vorschriften, beim Gericht unverzüglich anzumelden; das Gericht hat die Eintragungen entsprechend zu ändern, im Fall ihrer Unzulässigkeit zu löschen.

3.2.

Der Sitz einer juristischen Person als Abgabestelle nach § 2 Z 4 ZustellG ist primär deren handelsrechtlicher Sitz aufgrund der Firmenbucheintragungen, soweit dieser mit dem Sitz der Hauptverwaltung übereinstimmt. Ist dagegen jener Sitz nicht mehr als eine „reine Briefkastenadresse", tritt an die Stelle des handelsrechtlichen Sitzes als Abgabestelle jener Ort, an dem deren Hauptverwaltung geführt wird, werden doch dort die Maßnahmen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt (vgl. den Beschluss des Obersten Gerichtshofes (OGH) vom 6. Mai 1998, 3 Ob 393/97h, mwN). Dass zustellrechtlich die faktischen Verhältnisse und nicht die Firmenbucheintragung entscheidend sind (vgl Stumvoll in: Fasching/Konecny² (2003), Anh § 87 (§ 4 ZustG) Rz 26), ergibt sich schon daraus, dass Abgabestelle nach § 2 ZustellG ein Ort ist, an dem eine physische Zustellung (Sendung in Papierform) erfolgen kann (vgl Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5 (2009), 362) und somit bei juristischen Personen das Dokument gemäß § 13 Abs 3 ZustellG einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zugestellt werden kann. Zwar sehen § 3 Z 4 und § 10 Abs 1 FBG eine Verpflichtung zur Anmeldung einer Adressänderung beim Firmenbuch vor. Diese Bestimmungen haben aber nicht zur Folge, dass die Zustellung an die im Firmenbuch zuletzt bekannt gegebene Adresse mit den Wirkungen einer gültigen Zustellung vorgenommen werden kann (vgl den Beschluss des OGH vom 7. Juni 2006, 9 Ob A 57/06g, mwN; vgl auch die ausführlichen Darlegungen bei Stumvoll in: Fasching/Konecny² (2003), Anh § 87 (§ 4 ZustG) Rz 26).

3.3.

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde selbst im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass der Firmensitz der Beschwerdeführerin „nunmehr“ (eine weitere zeitliche Festlegung erfolgte nicht) an die Adresse B-Straße 20 verlegt worden sei. Gleichzeitig musste ihr als Gewerbebehörde 2. Instanz aus dem Gewerberegister bekannt sein, dass seit 16. April 2004 an dieser Adresse der Standort der Gewerbeberechtigung gelegen ist. Sie hätte sich daher nach dem Obgesagten nicht – wie sie in ihrer Gegenschrift an den Verwaltungsgerichtshof vorbringt – auf die Eintragung im Firmenbuch nach § 3 Z 4 FBG verlassen dürfen, sondern hätte für das Vorliegen eines Sitzes als Abgabestelle nach § 2 Z 4 ZustellG prüfen müssen, ob an diesem Ort tatsächlich die Hauptverwaltung der Beschwerdeführerin geführt wurde und daher eine Zustellung an einen Vertreter nach § 13 Abs 3 ZustellG erfolgen konnte. Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass für die im Beschwerdefall vorgenommene Zustellung ohne Zustellnachweis (vgl § 26 ZustellG) die Behörde die Folge dafür auf sich nehmen muss, dass der Behauptung der Partei, sie habe ein Schriftstück nicht empfangen, nicht wirksam entgegengetreten werden kann (vgl hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2011, Zl 2009/09/0244, mwN).

4.

Da dem angefochtenen Bescheid entsprechende Feststellungen zur Qualität des noch im Firmenbuch eingetragenen Sitzes der Beschwerdeführerin als Abgabestelle nach § 2 Z 4 ZustellG fehlen, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzordnung 2008, BGBl II Nr 455.

Leitsätze

  • Abgabestelle nach § 2 Z 4 ZustG im Falle einer juristischen Person

    Der Sitz einer juristischen Person als Abgabestelle nach § 2 Z 4 ZustG ist primär deren handelsrechtlicher Sitz aufgrund der Firmenbucheintragungen, soweit dieser mit dem Sitz der Hauptverwaltung übereinstimmt. Ist dagegen jener Sitz nicht mehr als eine „reine Briefkastenadresse“, tritt an die Stelle des handelsrechtlichen Sitzes als Abgabestelle jener Ort, an dem deren Hauptverwaltung geführt wird.
    Alexander Kdolsky | Judikatur | Leitsatz | 2012/04/0013 | VwGH vom 18.06.2012 | Dokument-ID: 528706