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Dokument-ID: 477295

Judikatur | Entscheidung

4 Ob 199/11k; OGH; 17. Jänner 2012

GZ: 4 Ob 199/11k | Gericht: OGH vom 17.01.2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** L*****, vertreten durch Dr. Viktor Wolczik und Dr. Alexander Knotek, Rechtsanwälte in Baden, wider die beklagte Partei L***** S***** Privatstiftung, *****, vertreten durch DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 195.181,25 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. August 2011, GZ 15 R 139/11p-47, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Handelsgerichts Wien vom 10. Mai 2011, GZ 31 Cg 24/08a-42, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.390,58 (darin EUR 398,43 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Der Kläger begehrt Schadenersatz von der beklagten Privatstiftung. Er habe mit der Beklagten zehn Jahre lang Gespräche über den Verkauf einer Liegenschaft des Klägers geführt und sei von einem im Jänner 1999 (mündlich) abgeschlossenen Kaufvertrag wegen Nichtzuhaltung zurückgetreten. Unstrittig ist, dass außer dem Stifter und einem im Namen der Beklagten aufgetretenen Rechtsanwalt (der zugleich einer von mehreren nur kollektiv vertretungsbefugten Stiftungsvorständen ist) niemand auf Seiten der Beklagten tätig wurde; insbesondere sind die übrigen Stiftungsvorstände gegenüber dem Kläger und seinen Vertretern nicht in Erscheinung getreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang mit Zwischenurteil dem Grunde nach statt. Am 22.01.1999 sei zwischen den Streitteilen ein mündlicher Kaufvertrag zustande gekommen. Der auf Seiten der Beklagten verhandlungsführende Rechtsanwalt sei zugleich Rechtsvertreter der Beklagten und einer von mehreren Stiftungsvorständen, der aber weder allein vertretungsbefugt noch zum Kaufvertrag konkret bevollmächtigt gewesen sei. Der für den Kläger handelnde Rechtsvertreter habe auf eine Bevollmächtigung des für die Stiftung auftretenden Rechtsanwalts/Stiftungsvorstands vertrauen dürfen, und zwar aufgrund mehrerer Aussagen dieser Person selbst. Der Beklagten sei anzulasten, den Mangel der Vollmacht des für sie Handelnden nicht offengelegt zu haben.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Anscheinsvollmacht bei einer Privatstiftung „mit Kollegialvertretungsbefugnis“ fehle. Eine Anscheinsvollmacht setze das Vorliegen eines Vertrauenstatbestands voraus, der zurechenbar durch denjenigen verursacht worden sei, in dessen Namen gehandelt worden sei, wobei der Dritte auf diesen Anschein vertraut habe. Das Vertrauen auf das Verhalten des vermeintlichen Vertreters reiche ebenso wenig aus wie die Erweckung des Anscheins durch einen einzelnen Kollektivvertreter. Der für die Beklagte auftretende Rechtsanwalt und Stiftungsvorstand habe bereits 1996 dem damaligen Rechtsvertreter des Klägers einen Firmenbuchauszug der Beklagten übermittelt, aus dem die kollektive Vertretungsbefugnis ersichtlich gewesen sei. Er sei auch nie als Stiftungsvorstand, sondern immer nur als Rechtsanwalt der Beklagten aufgetreten. Die Beklagte habe kein Verhalten gesetzt, aus welchem der Kläger oder sein Vertreter hätten ableiten dürfen, der für die Beklagte auftretende Rechtsanwalt sei – entgegen dem Firmenbuch – für die Beklagte allein vertretungsbefugt oder von einem weiteren Stiftungsvorstand zum Abschluss eines Kaufvertrags mit dem Kläger ermächtigt worden. Die Beklagte sei deshalb nicht verpflichtet gewesen, den Kläger über seine falsche Vorstellung betreffend die Vertretungsbefugnis des für die Beklagte handelnden Rechtsanwalts aufzuklären.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig. Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ab.

1.1. Eine Anscheinsvollmacht (= Vollmacht wegen Vertrauens auf den äußeren Tatbestand) setzt voraus, dass Umstände vorliegen, die geeignet sind, im Dritten den begründeten Glauben an die Berechtigung des Vertreters zum Abschluss des beabsichtigten Geschäfts zu erwecken (RIS-Justiz RS0019609). Ein Dritter kann sich nur dann auf den äußeren Tatbestand berufen, wenn er bei Anwendung gehöriger Aufmerksamkeit davon ausgehen durfte, dass der als Bevollmächtigter Handelnde tatsächlich eine Vollmacht habe (RIS-Justiz RS0020251).

1.2. Um Vertretungsmacht begründen zu können, muss ein „äußerer Tatbestand“ die Grundlage für die Überzeugung des Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht bieten und vom Vertretenen selbst geschaffen sein (RIS-Justiz RS0020145). Der Vertretene muss einen Tatbestand setzen, der beim gutgläubigen Dritten die begründete Annahme rechtfertigt, er habe dem für ihn Handelnden eine entsprechende Vollmacht erteilt (vgl RIS-Justiz RS0019609 [T10], RS0014300). Der Dritte ist nur dann im Vertrauen auf den äußeren Tatbestand rechtlich relevanter Momente zu schützen, wenn der rechtfertigende Tatbestand mit Zutun desjenigen zustandegekommen ist, dem der Schutz zum Nachteile gereicht (RIS-Justiz RS0020004).

1.3. Im Fall einer kollektiven Vertretungsbefugnis muss der das Vertrauen des Dritten rechtfertigende äußere Tatbestand von allen Gesamtvertretungsbefugten gemeinsam gesetzt werden, weil nur so der Zweck der Kollektivvertretungsbefugnis erreicht wird (vgl RIS-Justiz RS0017976, RS0048336, RS0020448).

2. Das Berufungsgericht ist von diesen Grundsätzen höchstgerichtlicher Rechtsprechung, die auch für die Beurteilung des Zustandekommens einer Anscheinsvollmacht im Fall einer Privatstiftung mit mehreren kollektiv vertretungsbefugten Vorstandsmitgliedern heranzuziehen sind, nicht abgewichen.

3. Dass die Beklagte einen Rechtsanwalt dazu ermächtigt hat, in ihrem Namen über den Ankauf einer Liegenschaft zu verhandeln, begründet für sich allein noch keinen äußeren Vertrauenstatbestand darauf, der Rechtsanwalt sei von der Beklagten zum Vertragsabschluss ermächtigt worden oder weitere Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten einem solchen zugestimmt (vgl RIS-Justiz RS0017976 [T8]). Der vom Kläger für seinen Standpunkt ins Treffen geführten Entscheidung 4 Ob 89/69 liegt ein Sachverhalt zu Grunde, bei dem ein äußerer Tatbestand einer erfolgten Bevollmächtigung vom Vertretenen durch das Überlassen von Geschäftspapier verwirklicht wurde; sie ist im Anlassfall nicht einschlägig.

4. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn ein Streitfall – wie hier – trotz neuer Sachverhaltselemente bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann (RIS-Justiz RS0042656 [T48] = 4 Ob 148/11k).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels (gemeint: als unzulässig) beantragt hat, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

Leitsätze

  • Begründung eines äußeren Vertrauenstatbestandes

    Eine Ermächtigung eines Rechtsanwaltes, über einen Kauf einer Liegenschaft lediglich zu verhandeln, begründet keinen äußeren Vertrauenstatbestand darauf, zum Vertragsabschluss bevollmächtigt zu sein.
    WEKA (vbu) | Judikatur | Leitsatz | 4 Ob 199/11k | OGH vom 17.01.2012 | Dokument-ID: 481312