Dokument-ID: 1044068

Judikatur | Entscheidung

6 Ob 1/19v; OGH; 23. Mai 2019

GZ: 6 Ob 1/19v | Gericht: OGH vom 23.05.2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin A***** AG, *****, Schweiz, vertreten durch Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegner 1. d***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Dyck und Dr. Christine Monticelli, Rechtsanwälte in Salzburg, 2. Univ.-Prof. Dr. M*****, wegen Abberufung eines Mitglieds des Aufsichtsrats, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 10. Oktober 2018, GZ 6 R 91/18x-19, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 14. Juni 2018, GZ 24 Fr 2028/18t-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Begründung

Die Antragstellerin ist mit 32 % am Stammkapital Minderheitsgesellschafterin, die d***** Verwaltungsgesellschaft mbH mit 68 % Mehrheitsgesellschafterin der Erstantragsgegnerin, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (kurz: Gesellschaft), die in Österreich rund 400 Filialen betreibt. Zwischen den Gesellschaftern besteht – unter anderem – eine Meinungsverschiedenheit über die Einführung eines neuen Kundenbindungsprogramms („P*****“).

Am 14.11.2017 erstattete der Zweitantragsgegner, ein Universitätsprofessor für Unternehmensrecht an einer österreichischen Universität (kurz: Antragsgegner), im Auftrag der Mehrheitsgesellschafterin ein Rechtsgutachten zum Thema „Inhalt und Auslegung von § 7 Abs 4 des Gesellschaftsvertrages der [Gesellschaft] sowie zum beabsichtigten Abschluss eines Vertrages mit der P***** GmbH“ (kurz: 1. Gutachten).

In der außerordentlichen Generalversammlung der Gesellschaft vom 21.11.2017 wurde das – jedenfalls von der Rechtsvorgängerin der Minderheitsgesellschafterin entsandte – Aufsichtsratsmitglied Dr. G***** mit Stimmenmehrheit der Mehrheitsgesellschafterin abberufen.

Daraufhin beantragte die Minderheitsgesellschafterin am 05.04.2018 die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen die Mehrheitsgesellschafterin dahin, dass dieser verboten werde, in der Generalversammlung der Gesellschaft ein Aufsichtsratsmitglied zu wählen, ohne vorher Einvernehmen mit der Minderheitsgesellschafterin über die Person des Aufsichtsratsmitglieds herzustellen; weiters sollte der Mehrheitsgesellschafterin verboten werden, in der Generalversammlung mehr als ein Aufsichtsratsmitglied zu wählen. Zur Unterstützung ihres Rechtsstandpunkts legte die Minderheitsgesellschafterin ein Gutachten von Univ.-Prof. Dr. ***** T***** vom 04.04.2018 (kurz: T*****-Gutachten) vor. Dieses Gutachten nahm Bezug auf ein Gutachten, welches der Antragsgegner am 11.01.2018 im Auftrag der Mehrheitsgesellschafterin zum Thema „Entsendungsrecht der PA*****gesellschaft m.b.H. nach § 8 Abs 3 des Gesellschaftsvertrages der [Gesellschaft]“ (kurz: 2. Gutachten) erstattet hatte.

Am 11.04.2018 erstreckte das Landesgericht Salzburg eine der Mehrheitsgesellschafterin ursprünglich im Provisorialverfahren zur Äußerung eingeräumte Frist von drei Tagen auf sieben Tage. Die Mehrheitsgesellschafterin ersuchte den Antragsgegner, eine erste vorläufige und unvollständige Stellungnahme zum T*****-Gutachten abzugeben, woraufhin dieser am 19.04.2018 eine „Vorläufige Stellungnahme zum Gutachten zur Anfechtbarkeit eines Abberufungsbeschlusses sowie zur Verpflichtung zur Satzungsanpassung im Auftrag und zur Information der [Minderheitsgesellschafterin] von Univ.-Prof. Dr. ***** T***** vom 4. April 2018“ (kurz: Stellungnahme) erstattete.

Bereits zuvor war der Antragsgegner in der außerordentlichen Generalversammlung der Gesellschaft vom 12.04.2018 mit den Stimmen der Mehrheitsgesellschafterin zum Aufsichtsrat der Gesellschaft bestellt worden. Im Zuge dieser Generalversammlung hatte der Antragsgegner erklärt, er sehe in der Erstellung von Gutachten keine Befangenheit, weil er als zukünftiges Mitglied des Aufsichtsrats ausschließlich dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet sei; sollte künftig eine Frage an ihn herangetragen werden, sei es für ihn unerheblich, ob die Frage von der Minderheitsgesellschafterin, von der Mehrheitsgesellschafterin, von der Geschäftsführung oder von der Gesellschaft selbst komme, die Antwort sei immer die gleiche und werde seiner objektiven Rechtsmeinung und seinem fachlichen Ruf entsprechen. Auf die Frage, ob er auch in Zukunft weiter Rechtsgutachten für die Gesellschaft oder die Mehrheitsgesellschafterin erstatten werde, hatte der Antragsgegner geantwortet, er würde eine entsprechende Anfrage genau abwägen, wobei er bei einem allfälligen Gutachten für die Gesellschaft mehr Probleme sehen würde als bei einem allfälligen Gutachten für die Mehrheitsgesellschafterin. Auf die weitere Frage, ob er ausschließen könne, dass er ein Gutachten für die Mehrheitsgesellschafterin erstatten würde, das in einem Verfahren gegen die Minderheitsgesellschafterin verwendet würde, hatte er geantwortet, dass er sich das genau überlegen würde, dies aber nicht völlig ausschließen könne; er werde aber keinesfalls ein Gutachten übernehmen, bei welchem er ein bestimmtes Ergebnis erzielen sollte.

In dem dem Provisorialverfahren zugrunde liegenden Hauptverfahren vor dem Landesgericht Salzburg strebt die Minderheitsgesellschafterin mit der seit 27.03.2018 gerichtsanhängigen Klage gegenüber der Mehrheitsgesellschafterin die Feststellung an, dass der zwischen ihnen bzw ihren Rechtsvorgängern abgeschlossene Syndikatsvertrag vom 21.08.1981 ungekündigt aufrecht, in eventu bis 30.09.2022 aufrecht besteht. Darüber hinaus will sie der Mehrheitsgesellschafterin die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds für die Gesellschaft ohne vorherige Herstellung eines Einvernehmens mit der Minderheitsgesellschafterin über die Person dieses Mitglieds verbieten und die Mehrheitsgesellschafterin dazu verpflichten, für einen Beschluss über die Änderung des Gesellschaftsvertrags dahingehend zu stimmen, dass die PA*****gesellschaft mbH durch die Minderheitsgesellschafterin zu ersetzen sei. Dieses Verfahren ist noch in erster Instanz anhängig, der Provisorialantrag der Minderheitsgesellschaft wurde jedoch abgewiesen (6 Ob 194/18z).

In einem seit 16.05.2018 beim Landesgericht Salzburg gerichtsanhängigen Verfahren strebt die Minderheitsgesellschafterin gegen die Gesellschaft gemäß §§ 41 ff GmbHG die Nichtigerklärung der Wahl des Antragsgegners und einer weiteren Person zu Mitgliedern deren Aufsichtsrats an. Als Gründe werden unter anderem die (angeblich) rechtsmissbräuchliche Abberufung Dris. G***** und die Erstattung von Rechtsgutachten zugunsten der Mehrheitsgesellschafterin durch den Antragsgegner angeführt. Auch dieses Verfahren ist noch in erster Instanz anhängig.

Die Minderheitsgesellschafterin begehrt die gerichtliche Abberufung des Antragsgegners als Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft. Sie begründet dies – soweit dies für das Revisionsrekursverfahren noch von Bedeutung ist – mit einer für die Gesellschaft unzumutbaren Dreifachfunktion des Antragsgegners, die für diesen Interessenkonflikte begründen und das Wohl der Gesellschaft beeinträchtigen; darüber hinaus habe der Antragsgegner bei seiner Befragung in der außerordentlichen Generalversammlung vom 12.04.2018 verschwiegen, dass er bereits den Auftrag zur Erstattung der Stellungnahme von der Mehrheitsgesellschafterin erhalten gehabt habe.

Die Mehrheitsgesellschafterin und der Antragsgegner traten dem mit der Begründung entgegen, letzterer habe weder vor noch nach seiner Wahl auch nur ansatzweise irgendeinen Grund gesetzt, der ihn für die übernommene Aufgabe als nicht geeignet oder für die Gesellschaft untragbar erscheinen ließe. Der Argumentation der Minderheitsgesellschafterin liege offensichtlich die Überlegung zugrunde, der Aufsichtsrat habe nicht zum Wohl und im Interesse der Gesellschaft, sondern der Gesellschafter zu handeln, worunter sie offenbar ihr alleiniges Interesse meine. Der Antragsgegner führte außerdem aus, er habe seine Stellungnahme nicht als Aufsichtsratsmitglied und auch nicht im Auftrag der Mehrheitsgesellschafterin abgegeben und sich gegenüber dieser auch nicht zu einem bestimmten Ergebnis verpflichtet; er habe sich auch nicht aktiv am Gesellschafterstreit beteiligt. Es bestehe weder eine besondere Nahebeziehung noch ein Interessenkonflikt, er sei auch weder von der Gesellschaft noch von den Gesellschaftern abhängig. Eine Gefährdung des Unternehmenswohls, also eine Schädigung der Gesellschaft, sei nicht erkennbar.

Die Vorinstanzen wiesen den Antrag ab. Das Rekursgericht sprach darüber hinaus aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist: Zwar sei die Beantwortung der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Allerdings bestehe zu § 30b Abs 5 GmbHG bislang keinerlei Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und sei die Frage, ob die Erstellung eines Rechtsgutachtens durch ein Aufsichtsratsmitglied für den Mehrheitsgesellschafter, wenn es inhaltlich gegen den Minderheitsgesellschafter gerichtet ist, einen wichtigen Grund für die Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds darstellt, durchaus verallgemeinerungsfähig.

In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, nur wenn das graduell abgestufte Instrumentarium zur Lösung des Interessenskonflikts (Offenlegung des Konflikts und Erörterung im Aufsichtsrat, Stimmverbot, Teilnahmeverbot oder Verlagerung in Ausschüsse) nicht ausreicht, solle als ultima ratio mit der gerichtlichen Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds einer für das Wohl der Gesellschaft unzumutbaren Situation begegnet werden. Der für die Abberufung des Antragsgegners ins Treffen geführte Grund, er habe sieben Tage nach seiner Bestellung zum Aufsichtsrat im Auftrag der Mehrheitsgesellschafterin ein Gegengutachten zu dem von der Minderheitsgesellschafterin beauftragten T*****-Gutachten erstellt, rechtfertige seine Abberufung nicht; die dem Antragsgegner vorgeworfene Verhaltensweise habe in einer einzigen temporären Handlung bestanden, nämlich in der Verfassung eines Gegengutachtens. Dies stelle keine Pflichtenkollision dar. Dem Argument der Minderheitsgesellschafterin, das Wohl der Gesellschaft sei gefährdet, weil sich der Antragsgegner im Gesellschafterstreit auf die Seite der Mehrheitsgesellschafterin schlage und mit seinem Gutachten den zwischen den Gesellschafterinnen ausgebrochenen Konflikt weiter angeheizt habe, sei entgegen zu halten, dass es allein die Gesellschafterinnen in der Hand haben, den Streit noch weiter auf andere Ebenen auszudehnen oder doch zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Schließlich unterstelle die Minderheitsgesellschafterin „in Abkehr von den getroffenen Feststellungen […], der [A]ntragsgegner sei ganz offenkundig schon vor seiner Wahl zum Aufsichtsratsmitglied mit der Erstellung der vorläufigen Stellungnahme beauftragt gewesen, habe aber nur irreführend unvollständig angegeben, er werde sich eine künftige Gutachtenserstellung für die Mehrheitsgesellschafterin genau überlegen.“

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. Nach herrschender Auffassung (Mayr, Juristenausbildung² [1998] 252; Fucik in Rechberger, ZPO4 [2014] § 28 Rz 2 [unter Hinweis auf § 26 Abs 2 RStDG]; Zib in Fasching/Konecny³ II/1 [2015] § 28 ZPO Rz 13) sind Universitätsprofessoren einer österreichischen rechtswissenschaftlichen Fakultät, die für eines der judiziellen Fächer der Richteramtsprüfung (Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht, Unternehmensrecht, Zivilverfahrensrecht, Strafrecht) ernannt sind, von der Anwaltspflicht befreit; dies gilt im Hinblick auf § 6 Abs 4 AußStrG auch für Verfahren außer Streitsachen (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² [2019] § 6 Rz 9 unter Hinweis auf die ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 24). Damit bedarf zwar der Antragsgegner im Revisionsrekursverfahren keiner Vertretung durch einen Rechtsanwalt; da Universitätsprofessoren im Katalog des § 89c Abs 5 GOG nicht genannt sind, hatte der Antragsgegner seine Revisionsrekursbeantwortung allerdings nicht im Wege des Elektronischen Rechtsverkehrs einzubringen.

2. Nach § 30b Abs 5 GmbHG hat das Gericht auf Antrag einer Minderheit, deren Anteile zusammen den zehnten Teil des Stammkapitals erreichen, ein Aufsichtsratsmitglied abzuberufen, wenn hiefür ein wichtiger Grund vorliegt; eine gleichlautende Bestimmung enthält § 87 Abs 10 AktG. Angesichts ihres 32%igen Geschäftsanteils ist die Minderheitsgesellschafterin antragslegitimiert.

2.1. Zu § 30b Abs 5 GmbHG besteht keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Zum im Wesentlichen gleichlautenden § 87 Abs 10 (damals: Abs 5) AktG führte die oberstgerichtliche Entscheidung 6 Ob 20/07w allerdings aus, der wichtige Grund für die Abberufung müsse so beschaffen sein, dass die Aufrechterhaltung der Aufsichtsratsmitgliedschaft für die Gesellschaft unzumutbar sei.

2.2. Die Materialien zum GesRÄG 2005 (AB 985 BlgNR 22. GP 2) stellen darauf ab, dass ein die Abberufung rechtfertigender wichtiger Grund angesichts des ultima-ratio-Charakters einer solchen Abberufungsmöglichkeit nur dann vorliegt, wenn sich das Aufsichtsratsmitglied objektiv so grob pflichtwidrig und gesellschaftsschädigend verhält, dass für die Gesellschaft – und nicht etwa nur für die antragstellende Minderheit – die Fortsetzung der Aufsichtsratstätigkeit bis zum Ablauf der Funktionsperiode unzumutbar ist; abzuwägen werde dabei auch sein, ob eine Abberufung in der konkreten Situation der Gesellschaft größeren Schaden zufügen kann als eine vielleicht ohnehin kurzfristige und durch die Größe des Aufsichtsrats weniger ins Gewicht fallende Fortsetzung der Mitgliedschaft des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds.

2.3. Nach Kalss (in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² [Stand April 2012, rdb.at] § 87 Rz 68) darf das Recht zwar nicht durch einen Mehrheitsaktionär missbraucht werden, um unliebsam gewordene Aufsichtsratsmitglieder einfach und ohne Aufsehen zu entfernen. Beispiele für wichtige Gründe zur Abberufung sind jedoch Vertraulichkeitsverletzungen, notorische Nichtteilnahme an Sitzungen, offensichtliche Überforderung, Interessenkonflikte (Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 88 Rz 37; vgl auch Strasser in Jabornegg/Strasser, AktG5 [Stand 01.03.2010, rdb.at] §§ 87–89 Rz 11b; Justich in Gratzl/Hausmaninger/Justich, Handbuch zur Aktiengesellschaft I2 [2018] Rz 7/83; Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG II6 [Stand 01.10.2018, rdb.at] § 87 Rz 30), das Fehlen der notwendigen Mindestqualifikation (Eckert/Schopper aaO) oder Verstöße gegen eine Geschäftsordnung des Aufsichtsrats (Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 92 Rz 16). Nach Heidinger (in Gruber/Harrer, GmbHG² [2018] § 30b Rz 29) kommt eine Abberufung als ultima ratio in Betracht, wenn sich das Aufsichtsratsmitglied als ungeeignet und überfordert erweist und eine Fortsetzung dessen Tätigkeit für die Gesellschaft unzumutbar ist. Auf die Unzumutbarkeit generell stellen Aburumieh/Hoppel (in FAH, GmbHG § 30b Rz 29) unter Hinweis auf die Entscheidung 6 Ob 20/07b ab, nach Rauter (in Straube, WK GmbHG [Stand 1. 9. 2013, rdb.at] § 30b Rz 72) reicht aber die Unzumutbarkeit bloß für die Minderheit nicht aus.

Mit Interessenkonflikten im Aufsichtsrat beschäftigen sich im Detail Frotz/Schörghofer (Interessenkonflikte im Aufsichtsrat, in Kalss/Kunz, Handbuch für den Aufsichtsrat² [2016]), deren Ausführungen das Rekursgericht seinen Überlegungen zugrunde gelegt hat. Sie heben dabei besonders hervor (Rz 1), dass Mitglieder des Aufsichtsrats einer Kapitalgesellschaft zwar zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft, deren Aufsichtsrat sie angehören, verpflichtet sind. Die Interessen der Gesellschaft könnten jedoch mit widerstreitenden Interessen des Aufsichtsratsmitglieds in Konflikt geraten. Interessenkonflikte im Aufsichtsrat seien sogar organkonzeptionsimmanent, habe der Gesetzgeber das Aufsichtsratsamt doch bewusst als Nebenamt ausgestaltet und den Aufsichtsrat als Kollegialorgan organisiert, das gerade vom Interessengegensatz seiner Mitglieder wertvolle Impulse erhalten soll. Der Gesetzgeber halte Interessenkonflikte somit nicht per se für schlecht oder anstößig noch wolle er sie von vornherein ausschließen; es liege ihm „nur“ an der korrekten Bewältigung solcher Konflikte. Dabei stünden zur Reaktion auf Interessenkonflikte zur Verfügung: die Offenlegung des Konflikts, die Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder des Aufsichtsrats, die gesetzlichen Regelungen über Organgeschäfte von Aufsichtsratsmitgliedern, Stimmverbote und -enthaltungen sowie Teilnahmeverbote, Informationsbeschränkungen, die Verlagerung in Ausschüsse und die Ablehnung der Bestellung bzw die Amtsniederlegung sowie die Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds.

2.4. In Deutschland gelten ähnliche Grundsätze: Die gerichtliche Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds nach § 103 Abs 3 dAktG stellt ebenfalls auf einen wichtigen Grund ab. Auch dazu wird formuliert, dass die Abberufung immer nur ultima ratio sein könne und es deshalb einer Abwägung des „Defizits“ des Aufsichtsratsmitglieds einerseits und des Interesses der Gesellschaft (nicht: des Bestellungsorgans) an einem funktionsfähigen Aufsichtsorgan andererseits bedürfe; abgestellt wird auf die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mandats für die Gesellschaft im konkreten Einzelfall (vgl bloß Simons in Hölters, AktG³ [2017] § 103 Rz 34). Maßgebliche Gesichtspunkte dafür könnten etwa die objektive Schwere eines Pflichtverstoßes, die Umstände der Verfehlung, die Einsichtigkeit des Aufsichtsratsmitglieds und die Folgen der Handlung/des Zustands für die Gesellschaft sowie auch die Frage sein, ob es sich um wiederholte Pflichtverletzungen handelt (Simons aaO). Gleich wie in Österreich wird hervorgehoben, dass es auf eine Unzumutbarkeit für die Gesellschaft und nicht auf eine Unzumutbarkeit für andere Aufsichtsratsmitglieder oder Anteilseigner ankommt (vgl bloß Spindler in Spindler/Stilz, AktG4 [2019] § 103 Rz 33). Als Beispiele werden genannt, dass das Aufsichtsratsmitglied das Vertrauensverhältnis zwischen den Organen oder die Zusammenarbeit im Aufsichtsrat durch intrigantes Verhalten zerstört (Spindler aaO, Rz 35) oder einer dauerhaften Pflichtenkollision unterliegt, wobei darauf abgestellt wird, ob sich das Aufsichtsratsmitglied bei der Amtsausübung nicht allein vom Gesellschaftsinteresse leiten lässt (Spindler aaO, Rz 36 zur Tätigkeit in einem Konkurrenzunternehmen). Es kommt ganz auf die Umstände des einzelnen Falls an, insbesondere auf die konkreten Auswirkungen des Interessenkonflikts (Habersack in Münchener Kommentar zum AktG5 [2019] § 103 Rz 42).

Habersack (aaO § 100 Rz 80 ff) lehrt, beim Auftreten dauerhafter Konflikte sei das Mandat zu beenden, weil Interessenkonflikte, insbesondere solche mit Dauercharakter, auch die Funktionsfähigkeit des Aufsichtsrats berühren. Unterschieden werde zwischen Interessenkonflikten, die wiederum bloß punktuellen Charakter oder Dauercharakter haben können, und Pflichtenkollisionen (Rz 92). Soweit es um die Wahrnehmung der Organfunktionen im Aufsichtsrat oder um deren sorgfaltswidriges Unterlassen geht, gelte der Vorrang des Unternehmensinteresses im Grundsatz ohne Einschränkungen (Rz 94). Für organfremde Tätigkeiten gelte der unbedingte Vorrang des Unternehmensinteresses dagegen nicht: Zwar stünden die Aufsichtsratsmitglieder auch insoweit der Gesellschaft nicht wie beliebige Dritte gegenüber, sondern müssten auf ihr Aufsichtsratsamt Rücksicht nehmen. Sie dürften nicht aktiv den Interessen des Unternehmens zuwiderhandeln. Die Verfolgung eigener Interessen oder derjenigen ihres Haupt- oder sonstigen Nebenamtes brauchten sie jedoch nicht schon deshalb zu unterlassen, weil diese sich für das Unternehmen nachteilig auswirken könnte (Rz 94).

2.5. In der österreichischen Literatur wird zum Teil auch eine Parallele zur gerichtlichen Abberufung eines Geschäftsführers nach § 16 GmbHG gezogen (Rauter in Straube, WK GmbHG § 30b Rz 69; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG [2007] § 30b Rz 11; Heidinger in Gruber/Harrer, GmbHG² § 30b Rz 29; siehe aber Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG II6 § 87 Rz 30, die darauf hinweisen, dass das Aufsichtsratsmitglied keinem Geschäftsführungs-, sondern einem Aufsichtsorgan angehört).

Ein wichtiger Grund iSd § 16 GmbHG liegt bei grober Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder Vertretung vor; wichtige Gründe sind darüber hinaus alle bedeutsamen Umstände, die die Belange der Gesellschaft gefährden oder ihr die Beibehaltung des Geschäftsführers unzumutbar machen, auch wenn der Geschäftsführer eine für die Erreichung des Gesellschaftszwecks erforderliche Tätigkeit unterlässt und dadurch die Gesellschaft schädigt (RS0059403). Es kommt darauf an, ob der Pflichtverletzung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ein solches Gewicht beigemessen werden kann, dass von einer so wesentlichen Verletzung gesprochen werden kann, dass der weitere Verbleib des Geschäftsführers unzumutbar ist (RS0059403 [T14]). Als wichtige Gründe werden etwa mangelnde Offenheit gegenüber anderen Gesellschaftsorganen, Missachtung von Weisungen, internen Geschäftsführungsbeschränkungen oder Mitwirkungsrechten anderer Geschäftsführer oder Gesellschafter und die Nichteinholung der Zustimmung bei zustimmungspflichtigen Geschäften sowie die Verletzung von Informationspflichten angesehen (Ratka in Straube, WK GmbHG § 16 Rz 18). Zu würdigen ist das Schadenspotential der Fehlentwicklung sowie ihr vorübergehender oder dauernder Charakter (RS0059403 [T6]). Ein Vertrauensentzug seitens eines Gesellschafters allein reicht als wichtiger Grund für die Abberufung nicht aus, weil dies im Ergebnis auf die Zulassung der freien Abberufbarkeit hinaus liefe (RS0059403 [T8]).

3. Die umfangreichen Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Revisionsrekurs sind an jenen in ihrem Rekurs zu messen (vgl RS0041570 [T6]). Dort stellte sie klar, dass es im vorliegenden Verfahren „nur darum geh[e]“, dass der Antragsgegner die Stellungnahme nach seiner Wahl zum Mitglied des Aufsichtsrats in einer für die Gesellschaft unzumutbaren Dreifachfunktion (Universitätsprofessor sowie [angeblich] objektiver Gutachter, Aufsichtsratsmitglied und Person eigener Sache, die ihre Wahl zum Aufsichtsratsmitglied verteidigt) erstattet habe; dass der Antragsgegner vor seiner Wahl das 1. und das 2. Gutachten für die Mehrheitsgesellschafterin erstattet hatte, sei nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Damit wirft die Minderheitsgesellschafterin im vorliegenden Verfahren dem Antragsgegner aber lediglich eine „punktuelle“ Interessenkollision vor.

In dieser Stellungnahme gelangte der Antragsgegner zu einer vom T*****-Gutachten – und damit auch der Minderheitsgesellschafterin – abweichenden Rechtsauffassung, ohne dass von den Vorinstanzen festgestellt oder der Minderheitsgesellschafterin behauptet worden wäre, der Antragsgegner hätte seine Stellungnahme nicht einem wissenschaftlichen Standard entsprechend verfasst und sich somit etwa unsachlich positioniert oder mit vorgefasster Meinung agiert. Worin allein aufgrund der Stellungnahme eine für die Gesellschaft unzumutbare (6 Ob 20/07w) ihre Interessen gefährdende Situation entstanden sein soll, erschließt sich nicht, konkrete Auswirkungen des Interessenkonflikts auf die Gesellschaft hat die Minderheitsgesellschafterin nicht ausreichend dargetan; dass die Unzumutbarkeit bloß für die Minderheitsgesellschafterin nicht ausreicht, wurde bereits ausgeführt. Es ist auch nicht erkennbar, weshalb die Stellungnahme für sich allein den Konflikt zwischen den Gesellschafterinnen zum Nachteil der Gesellschaft angeheizt haben soll; der Aktenlage und den Feststellungen ist entnehmbar, dass zwischen den Gesellschafterinnen bereits seit einiger Zeit verschiedene Auffassungsunterschiede bestehen, die sie in gerichtlichen Auseinandersetzungen zu klären versuchen.

Mit der – hier ausschließlich zu beurteilenden – Stellungnahme replizierte der Antragsgegner nach den Feststellungen der Vorinstanzen auf das T*****-Gutachten, welches sich seinerseits mit dem 2. Gutachten des Antragsgegners auseinandergesetzt hatte. Auch wenn es bei dieser Auseinandersetzung (im weiteren Sinn) um das Aufsichtsratsmandat des Antragsgegners ging, so handelte es sich hiebei auf dessen Seiten im Sinn der Ausführungen von Habersack doch um eine organfremde Tätigkeit. Dabei durfte der Antragsgegner zwar nicht aktiv den Interessen der Gesellschaft zuwiderhandeln; Derartiges lässt sich – wie bereits klargestellt – den Feststellungen auch nicht entnehmen. Die Verfolgung eigener Interessen brauchte er jedoch nicht schon deshalb zu unterlassen, weil diese sich für das Unternehmen nachteilig auswirken könnten.

4. Nach § 30b Abs 1a GmbHG haben die vorgeschlagenen Personen vor der Wahl zum Aufsichtsrat (unter anderem) alle Umstände darzulegen, die die Besorgnis einer Befangenheit begründen könnten. Die Informationspflicht betrifft alle Umstände, die objektiv geeignet sind, Zweifel an der Unbefangenheit aufkommen zu lassen; eine tatsächliche Gefährdung der Interessen der Gesellschaft ist keine Voraussetzung (Heidinger in Gruber/Harrer, GmbHG² § 30b Rz 8). Dabei ist etwa an die Tätigkeit in einem Konkurrenzunternehmen zu denken; allerdings bleibt es der vorgeschlagenen Person selbst bei Vorliegen solcher Gründe selbstverständlich unbenommen, auch darzulegen, warum ihrer Ansicht nach dennoch keine Befangenheit besteht (ErläutRV 927 BlgNR 22. GP 8). Auch regelmäßige Beratungstätigkeit für den Vorstand – zu denken wäre insbesondere an Beratungsmandate von Rechtsanwälten – ist mitzuteilen (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ § 30b Rz 2a; Heidinger aaO); dies hat ebenso für geschäftliche Beziehungen zu einzelnen Gesellschaftern zu gelten (vgl Rauter in Straube, WK GmbHG § 30b Rz 19). Interessenkonflikte bilden dabei zwar an sich kein Bestellungshindernis, zumal vereinzelt auftretende Interessenkonflikte durch Stimmenthaltung oder Nichtteilnahme entschärft werden können, ohne dass sie gegen eine Aufsichtsratsbestellung sprechen (Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG II6 § 87 Rz 16); eine unvollständige, irreführende oder unrichtige Auskunft kann aber einen wichtigen Grund zur Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds nach § 30b Abs 5 GmbHG bzw § 87 Abs 10 AktG bilden (Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 87 Rz 14; Heidinger aaO, Rz 11). Vor diesem Hintergrund war zwar die Pflicht des Antragsgegners, seine wiederholte Gutachtertätigkeit für die Mehrheitsgesellschafterin offenzulegen, zu bejahen. Nach den Feststellungen gab dieser aber in der außerordentlichen Generalversammlung vom 12. 4. 2018 tatsächlich umfassend Auskunft über seine Gutachtertätigkeit und beantwortete auch diesbezügliche Fragen der Vertreterin der Minderheitsgesellschafterin; dabei erklärte er, zukünftige Gutachten (auch für die Mehrheitsgesellschafterin) nicht auszuschließen, Aufträge aber sorgfältig abzuwägen.

Der Vorwurf der Minderheitsgesellschafterin, der Antragsgegner habe bei seiner Befragung verschwiegen, bereits von der Mehrheitsgesellschafterin mit einer (vorläufigen) Stellungnahme zum T*****-Gutachten beauftragt worden zu sein, hielt das Rekursgericht auf (vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbarer) Sachverhaltsebene entgegen, die Minderheitsgesellschafterin unterstelle „in Abkehr von den getroffenen Feststellungen […], der [A]ntragsgegner sei ganz offenkundig schon vor seiner Wahl zum Aufsichtsratsmitglied mit der Erstellung der vorläufigen Stellungnahme beauftragt gewesen“.

5. Da somit der Antragsgegner zwar Gutachten erstattete, die nicht im Sinne der Minderheitsgesellschafterin lagen, von „gegen die Antragstellerin gerichteten“ Gutachten aber ebenso wenig gesprochen werden kann wie von einer Untragbarkeit des Antragsgegners für die Gesellschaft selbst, liegen die Voraussetzungen für dessen Abberufung nicht vor. Aufgrund des Umstands, dass mit einer gerichtlichen Abberufung doch erheblich in die Gesellschaft eingegriffen würde, deren Generalversammlung den Antragsgegner gewählt hat, soll die Abberufung – dies im Gegensatz zur Privatstiftung, bei der dem Gericht aufgrund des der Privatstiftung immanenten „Kontrolldefizits“ (vgl RS0129853) eine deutlich wichtigere Rolle zukommt – nur ultima ratio sein.

Die nach Ansicht des Revisionsrekurses fehlende Meinungsvielfalt im Aufsichtsrat bildet vor diesem Hintergrund noch keinen Abberufungsgrund nach § 30b Abs 5 GmbHG; dass der Aufsichtsrat die Geschäftsführung nicht ausreichend kontrollieren würde, ergibt sich aus dem Sachverhalt zudem nicht. Die Antragstellerin möchte sich vielmehr bloß eines ihr unangenehmen Aufsichtsratsmitglieds entledigen; gerade dies ist aber nicht Sinn und Zweck des Antrags nach § 30b Abs 5 GmbHG (AB 985 BlgNR 22. GP 2; Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 87 Rz 68; vgl auch 6 Ob 213/07b).

6. Dem Revisionsrekurs der Minderheitsgesellschafterin war damit ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf § 78 Abs 1 Satz 2, 2. Halbsatz AußStrG.

Leitsätze

  • Wichtiger Grund iSd § 30b Abs 5 GmbHG für Abberufung eines Aufsichtsratsmitgliedes?

    Auf Antrag von Minderheitsgesellschaftern ist ein Aufsichtsratsmitglied nach § 30b Abs 5 GmbHG abzuberufen, wenn dafür ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher Grund ist nur dann gegeben, wenn die Fortsetzung der Aufsichtsratstätigkeit für die Gesellschaft unzumutbar ist. Organfremde Tätigkeiten des Aufsichtsratsmitglieds sind grundsätzlich nicht geeignet, die Abberufung, die jedenfalls ultima ratio zu sein hat, zu rechtfertigen; das Verschweigen von Befangenheiten allerdings schon.
    Eva-Maria Hintringer | Judikatur | Leitsatz | 6 Ob 1/19v | OGH vom 23.05.2019 | Dokument-ID: 1044083