Dokument-ID: 1065565

Judikatur | Entscheidung

6 Ob 190/19p; OGH; 23. Jänner 2020

GZ: 6 Ob 190/19p | Gericht: OGH vom 23.01.2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien zu FN ***** eingetragenen D***** GmbH mit dem Sitz in Wien über den Revisionsrekurs des Notgeschäftsführers Dr. N*****, Rechtsanwalt, *****, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 12. Juli 2019, GZ 6 R 206/19m-96, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. April 2019, GZ 74 Fr 18876/17z-91, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 15 FBG iVm § 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, wann ein nachträglich hervorgekommener triftiger Enthebungsgrund in Bezug auf die Entlohnung des Notgeschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 15a GmbHG) vorliegt, „wenn den – wie hier – anwaltlich vertretenen Gesellschaftern unterstellt werden kann, sich einer angemessenen Entlohnung eines anwaltlichen Notgeschäftsführers nicht verschließen zu wollen und dass auch der Notgeschäftsführer nur unter dieser Voraussetzung seine Zustimmung zur Übernahme der Funktion habe erklären wollen“.

Der Revisionsrekurswerber wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 18.07.2018 gemäß § 15a GmbHG zum selbstständig vertretungsbefugten Notgeschäftsführer für die Gesellschaft bestellt, nachdem der vormalige Geschäftsführer seinen Rücktritt erklärt hatte. Der Bestellung lag ein Antrag eines Gesellschafters zugrunde, der Revisionsrekurswerber hatte seiner Bestellung ausdrücklich zugestimmt. In der Begründung des Bestellungsbeschlusses wurde unter anderem ausgeführt, es sei von einer Überschuldung der Gesellschaft im Sinn des § 67 Abs 1 IO auszugehen, was einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens notwendig erscheinen lasse; der Grundsatz, wonach sich zerstrittene Gesellschafter einigen müssten, habe gegenüber der Notwendigkeit der Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen in den Hintergrund zu treten, was auch für die Notwendigkeit, einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, zu gelten habe.

Der Revisionsrekurswerber strebt seine – von den Vorinstanzen verweigerte – Enthebung als Notgeschäftsführer aus folgenden Gründen an:

1. Wegfall des Bestellungsgrundes:

1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist es zwar grundsätzlich zulässig, den Tätigkeitsbereich des Notgeschäftsführers nach § 15a GmbHG auf einzelne dringend notwendig gewordene Rechtshandlungen zu beschränken; wird daher beispielsweise die Bestellung eines Notgeschäftsführers zur Vertretung der Gesellschaft, die keinen Geschäftsführer hat und für die auch noch kein Prozesskurator bestellt wurde, in einem gegen sie zu führenden Verfahren beantragt, kann dessen Wirkungskreis auf diesen Aufgabenkreis eingeschränkt werden (6 Ob 129/00i; RS0113946). Es wurde aber bereits mehrfach klargestellt, dass eine solche vom Firmenbuch verfügte Einschränkung des Tätigkeitsbereichs nur im Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Notgeschäftsführer, nicht aber Dritten gegenüber wirksam ist (3 Ob 3/01i; 6 Ob 292/06v; 6 Ob 79/11b) und auch nicht im Firmenbuch eingetragen werden kann (6 Ob 292/06v; 6 Ob 79/11b). Ergibt sich die Einschränkung des Tätigkeitsbereichs – wie auch im vorliegenden Fall – nicht aus dem Spruch des Bestellungsbeschlusses, sondern lediglich aus dessen Begründung, wirkt sie nicht einmal im Innenverhältnis (6 Ob 23/94; OLG Wien NZ 2000, 124; Zib in U. Torggler, GmbHG § 15a [Stand: 1. 8. 2014, rdb.at] Rz 28).

1.2. Auch ein Irrtum über das Ausmaß der Vertretungstätigkeit – worauf sich der Revisionsrekurswerber im vorliegenden Verfahren beruft (Überprüfung der Voraussetzungen eines Insolvenzantrags und Stellung eines solchen) – kann nach der Entscheidung 6 Ob 292/06v nicht zur Enthebung des Notgeschäftsführers führen; es liegt in einem solchen Fall lediglich ein Motivirrtum vor, Willensmängel bei Parteiprozesshandlungen sind jedoch grundsätzlich unbeachtlich, was auch für den Umstand gilt, dass der (dort) Nachtragsliquidator bei Zustimmung zu seiner Bestellung von bestimmten Erwartungen ausgegangen ist.

1.3. Mangels (wirksamer) Einschränkung des Tätigkeitsbereichs des Revisionsrekurswerbers bei seiner Bestellung kann somit ein „Wegfall des Bestellungsgrundes“ kein Enthebungsgrund sein. Dass aber auch während eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft deren Vertretung durch einen (Not-)Geschäftsführer notwendig ist, stellt der Revisionsrekurs nicht infrage.

2. Widerruf der Zustimmung zur Bestellung:

Nach der bereits erwähnten Entscheidung 6 Ob 292/06v reicht eine Willensänderung des Notgeschäftsführers allein, ohne dass es dafür einen triftigen Grund gibt (dazu bei 3.), gerade nicht für eine Enthebung aus. In dieser Entscheidung setzte sich der Oberste Gerichtshof auch mit kritischen Stimmen in der Literatur zur einschlägigen Vorentscheidung 6 Ob 3/94 (Koppensteiner, GmbHG² [1999] § 15a Rz 13; Reich-Rohrwig, ecolex 1995, 264 und 901 [Entscheidungsanmerkungen]; kritisch auch Ratka in Straube, WK GmbHG § 15a [Stand: 01.08.2013, rdb.at] Rz 51 f) auseinander: Diese würden die materielle Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses übersehen, in welche nur eingegriffen werden könne, wenn sich der Sachverhalt nachträglich ändert; eine Willensänderung des Notgeschäftsführers allein, ohne dass es dafür einen triftigen Grund gäbe, reiche jedoch nicht aus. Dem vermag der Revisionsrekurswerber nichts Überzeugendes entgegenzuhalten, wenn er ausführt, dass sich der Sachverhalt durch den Wegfall der Zustimmung geändert habe. Gerade dies war ja Gegenstand der (ablehnenden) Entscheidung 6 Ob 292/06v.

3. Verweigerung der Entlohnung durch die Gesellschafter:

3.1. Der Revisionsrekurswerber hat im Verfahren erster Instanz den Antrag gestellt, seine bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft aufgelaufene Entlohnung in Höhe von knapp 18.000 EUR als Masseforderung zu bestimmen. Diesen Antrag hat das Erstgericht rechtskräftig wegen Unzulässigkeit des außerstreitigen „Rechtswegs“ zurückgewiesen, womit der Revisionsrekurswerber insoweit lediglich Insolvenzgläubiger ist. Sollte er bei Zustimmung zu seiner Bestellung als Notgeschäftsführer insoweit einem Irrtum unterlegen sein, kann auch dies nicht zu einer Enthebung führen (vgl 1.2.).

3.2. Weiters meint der Revisionsrekurswerber, seine (vorzeitige) Enthebung wäre gerechtfertigt, weil die Gesellschafter ihm eine Entlohnung verweigerten. (Auch) Dies hat das Rekursgericht jedenfalls vertretbar verneint:

3.2.1. Ein Anspruch auf Entlohnung besteht grundsätzlich nur gegen die Gesellschaft und nicht gegen die Gesellschafter. Zwar kann mit den Gesellschaftern ausdrücklich oder konkludent vertraglich vereinbart werden, dass diese für die Entlohnung persönlich aufkommen; es besteht aber kein Anspruch des Notgeschäftsführers auf eine solche Vereinbarung (Griehser/Likar, Die [angemessene] Entlohnung des Notgeschäftsführers – Probleme in der Praxis, RdW 2008, 508; 10 Ob 214/99i).

3.2.2. Bereits nach der Entscheidung 6 Ob 23/94 ist die Tatsache, dass ein nur gegenüber der Gesellschaft bestehender Entlohnungsanspruch wohl nur schwer durchsetzbar sein werde, wenn die Auflösung der Gesellschaft wegen Abweisung eines Konkurseröffnungsantrags mangels kostendeckenden Vermögens erfolgt war, vorhersehbar.

In der Entscheidung 6 Ob 10/95 hatte das Rechtsmittelgericht in der Weigerung der Gesellschafter, für die Deckung der Kosten des (dort) Nachtragsliquidators aufzukommen und einen Kostenvorschuss zu erlegen, einen triftigen Grund für eine Enthebung gesehen, zumal der Nachtragsliquidator bei Nichtzustandekommen einer Vereinbarung mit den Gesellschaftern riskiere, für seine Tätigkeit nichts zu erhalten und die Kosten gegebenenfalls selbst tragen zu müssen. Dem folgte der Oberste Gerichtshof allerdings nicht, sondern wies den Enthebungsantrag ab, wobei er begründend ausführte:

„Gerade da der erste Antrag auf Durchführung einer Nachtragsliquidation von einem der beiden Gesellschafter gestellt wurde, dem der zweite Gesellschafter nach Anfrage durch das Gericht beigetreten ist, wäre eine Regelung der Kostenfrage vor Übernahme des Amtes – der Aufgabenbereich, die Verwertung von zwei mit umfangreichen Pfandrechten belasteten Liegenschaften, war ebenso bekannt wie die Tatsache, dass die Gesellschaft anlässlich des Konkurses gelöscht wurde, welcher mangels kostendeckenden Vermögens aufgehoben worden war – nahe gelegen. Die umfangreichen Belastungen der Liegenschaften waren aus den vorgelegten Grundbuchauszügen erkennbar. Auch eine gesellschaftsfremde Person, die sich zur Übernahme der Funktion eines Liquidators bereit gefunden hat, kann sich nach Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses daher nicht mehr auf die Unzumutbarkeit der Wahrnehmung gerade jener Funktionen berufen, deren Ausübung zur Behebung des Notstandes aller Voraussicht nach erforderlich wird.“

3.2.3. Damit kann aber auch im vorliegenden Fall die „Verweigerung der Entlohnung durch die Gesellschafter“ keinen triftigen Grund für eine Enthebung darstellen, welcher bei Bestellung nicht vorhersehbar gewesen wäre (zu den allgemeinen Voraussetzungen vgl 6 Ob 292/06v). Dem Revisionsrekurswerber war bekannt, dass unter Umständen ein Insolvenzverfahren über die Gesellschaft eröffnet werden würde; dies war gerade der wesentliche Grund für seine Bestellung. Er kann sich – gerade als Rechtsanwalt – nicht darauf berufen, dass ihm die Rechtslage nicht bekannt oder bewusst gewesen wäre (vgl 3.1.). Er konnte auch nicht einfach darauf vertrauen, dass die Gesellschafter freiwillig persönlich für seine Entlohnung haften würden; jedenfalls hat er konkret keine Umstände vorgebracht, aufgrund welcher er doch darauf hätte vertrauen dürfen. Die Überlegung, dass er als Rechtsanwalt eine Tätigkeit nur gegen entsprechende Entlohnung übernehmen möchte, reicht nicht aus, einen triftigen Grund zu begründen; diese träfe ja wohl für nahezu alle Notgeschäftsführer zu, und stellt die Frage der angemessenen Belohnung ein grundsätzliches Problemfeld dar (Griehser/Likar, RdW 2008, 508).

3.2.4. Soweit der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 10/95 (ergänzend) ausführte, „dies schließ[e] aber nicht aus, dass die Weiterführung der Tätigkeit, etwa aus in der Person des Liquidators gelegenen Gründen, mangels entsprechender notwendiger Mitwirkung der Gesellschafter oder weil sich die Undurchführbarkeit der Verwertung der Liegenschaften herausstellen könnte, unzumutbar werden und damit einen – nachträglich hervorgekommenen – triftigen Enthebungsgrund bilden könnte; dabei [könne] den anwaltlich vertretenen ehemaligen Gesellschaftern unterstellt werden, sich einer angemessenen Entlohnung eines anwaltlichen Liquidators nicht verschließen zu wollen und dass auch der dann bestellte Liquidator nur unter dieser Voraussetzung seine Zustimmung zur Übernahme der Funktion habe erklären wollen,“ – woraus Ratka (in Straube, WK GmbHG § 15a Rz 51) den Schluss gezogen hat, dass der Oberste Gerichtshof die Weigerung der Gesellschafter, den Notgesellschafter zu entlohnen, als triftigen Grund für eine Enthebung ansehe –, so handelte es sich dabei zum einen lediglich um ein obiter dictum. Zum anderen steht dieses in einem Spannungsverhältnis zur Begründung des Ergebnisses der Sachentscheidung.

3.2.5. Damit hat es aber bei der Rechtsprechung zu bleiben, wonach (etwa) ein Notgeschäftsführer sich jedenfalls dann nicht als Enthebungsgrund darauf berufen kann, er erhalte für seine Tätigkeit keine (angemessene) Entlohnung bzw könne diese nicht durchsetzen, wenn er dies bei (uneingeschränkter) Zustimmung zu seiner Bestellung aufgrund der konkreten Umstände des Falles hätte vorhersehen können. Tritt dieser Umstand dann tatsächlich ein, so liegt keine nachträgliche Umstandsänderung (wichtiger Grund für die Enthebung) vor.

4. Der Revisionsrekurs war somit zurückzuweisen.

Leitsätze

  • Enthebungsanspruch eines Notgeschäftsführers

    Die vorzeitige Enthebung des Geschäftsführers ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich nach Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses der Sachverhalt nachträglich ändert und ein wichtiger Grund vorliegt. Die bloße Willensänderung des Notgeschäftsführers ist nicht ausreichend. Auch die Verweigerung der Entlohnung stellt dann keinen Enthebungsgrund dar, wenn die erheblichen finanziellen Schwierigkeiten der GmbH bereits bei der Bestellung vorhersehbar waren oder sogar Grund für die Bestellung waren.
    Eva-Maria Hintringer | Judikatur | Leitsatz | 6 Ob 190/19p | OGH vom 23.01.2020 | Dokument-ID: 1065953