Dokument-ID: 330717

Judikatur | Entscheidung

6 Ob 204/11k; OGH; 13. Oktober 2011

GZ: 6 Ob 204/11k | Gericht: OGH vom 13.10.2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. W***** S*****, Rechtsanwalt, *****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der P***** GmbH, ***** (AZ ***** des Landesgerichts Leoben), gegen die beklagte Partei D***** P*****, vertreten durch Saxinger Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen EUR 8.750,– sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 27. Juni 2011, GZ 1 R 116/11t-15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Judenburg vom 6. Dezember 2010, GZ 2 C 187/10v-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit EUR 3.061,36 (darin EUR 304,56 Umsatzsteuer und EUR 1.234,– Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

Mit Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 01.12.2009 wurde über das Vermögen der P***** GmbH zu AZ ***** das Konkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. Das Konkursverfahren ist nach wie vor anhängig, das Unternehmen ist geschlossen.

Gesellschafter der Gemeinschuldnerin sind A***** H***** und der Beklagte zu gleichen Anteilen, sie halten an Stammeinlage je EUR 17.500,00, worauf im Zeitpunkt der Konkurseröffnung je EUR 8.750,00 geleistet worden waren. Darüber hinaus zahlte der Beklagte über Aufforderung des Klägers am 29.12.2009 den restlichen Teil seiner Stammeinlage in Höhe von EUR 8.750,00 ein.

Der Kläger hatte auch A***** H***** zur Zahlung der restlichen Stammeinlage aufgefordert und in weiterer Folge einen vollstreckbaren Zahlungsbefehl über EUR 8.750,00 sowie Kosten erwirkt. Diese Beträge konnten jedoch weder in einem Forderungs- noch in einem Fahrnisexekutionsverfahren einbringlich gemacht werden; der säumige Gesellschafter ist unbekannten Aufenthalts, mögliche Drittschuldner sind nicht bekannt. Ein Kaduzierungsverfahren gegen den säumigen Mitgesellschafter hat der Kläger nicht eingeleitet.

Der Kläger begehrt vom Beklagten gemäß § 70 GmbHG die restliche, noch offene Stammeinlage des säumigen Mitgesellschafters; sie könne von diesem nicht einbringlich gemacht werden.

Der Beklagte wendet ein, die Anspruchstellung des Klägers setze die vorherige Kaduzierung des säumigen Mitgesellschafters nach § 66 GmbHG voraus; diese sei hier aber nicht erfolgt. Eine vorherige Kaduzierung könnte nur dann unterbleiben, wenn infolge gerichtlich bestätigten Ausgleichs des säumigen Gesellschafters die Gesellschaft tatsächlich einen Ausfall erlitten hätte.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. § 70 GmbHG ordne eine Ausfallshaftung der übrigen Gesellschafter zur Hereinbringung der fehlenden Stammeinlage an, wobei im Fall der Konkurseröffnung über das Vermögen der Gesellschaft der Masseverwalter lediglich den Nachweis zu führen habe, dass die nicht einbezahlte Stammeinlage beim an sich zahlungspflichtigen Gesellschafter nicht einbringlich sei. Dies sei hier der Fall.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob im Insolvenzfall von einer Kaduzierung des säumigen Gesellschafters abgesehen werden könne. Die Haftung nach § 70 GmbHG setze vorherige Kaduzierung voraus.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat; sie ist auch berechtigt.

1. Nach § 70 Abs 1 GmbHG, auf den der Kläger sein Begehren ausdrücklich stützt, haben die übrigen Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung den Fehlbetrag nach Verhältnis ihrer Stammeinlagen aufzubringen, soweit eine Stammeinlage weder von den Zahlungspflichtigen eingebracht werden kann, noch durch Verkauf des Geschäftsanteils gedeckt wird. Dass diese Haftung den Beklagten mit den begehrten EUR 8.750,00 treffen würde, ist im Revisionsverfahren nicht strittig.

2. Der Beklagte hält auch im Revisionsverfahren unter Hinweis auf Koppensteiner/Rüffler (GmbHG³ [2007] § 70 Rz 2) seinen Einwand aufrecht, es hätte eine „Durchführungspflicht des Kaduzierungsverfahrens“ bestanden; dass vom säumigen Mitgesellschafter der nicht einbezahlte Teil der Stammeinlage nicht einbringlich zu machen sei, eine Haftung von Vorgesellschaftern nicht bestehe und von allfälligen Vorgesellschaftern keine Befriedigung erlangt werden könne, stehe entgegen den Ausführungen des Klägers in der Revision nicht fest.

2.1. Beim Kaduzierungsverfahren nach § 66 GmbHG geht es im Kern darum, dass ein Gesellschafter, der seiner Pflicht zur Leistung der Stammeinlage nicht rechtzeitig nachkommt, unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen der Rechte aus seinem Geschäftsanteil und der darauf bereits geleisteten Einzahlungen für verlustig erklärt werden kann. Die Kaduzierung ist ein Gestaltungsrecht der Gesellschaft und stellt ein wesentliches Instrument zur Sicherung der Kapitalaufbringung dar (Schopper in Straube, GmbH-Gesetz [2009] § 66 Rz 1 ua). Die Kaduzierung ist Voraussetzung für die Geltendmachung der Vormännerhaftung nach § 67 GmbHG und der Veräußerung des Geschäftsanteils nach § 68 GmbHG. Dies ist insoferne konsequent, als der Vormann gemäß § 67 Abs 3 GmbHG und der Erwerber aufgrund des Kaufgeschäfts Eigentümer des Geschäftsanteils des zuvor kaduzierten Gesellschafters werden.

2.2. Wurde über das Vermögen der Gesellschaft ein Insolvenzverfahren eröffnet, setzt nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Inanspruchnahme der Vormänner nach § 67 GmbHG (gleichfalls) eine vorherige Kaduzierung voraus (4 Ob 341/98w EvBl 1999/107; 2 Ob 111/00p RdW 2000, 419 = 607; 8 Ob 277/00v SZ 73/210). Dies ist auch im Fall der Geltendmachung von Ansprüchen nach § 70 GmbHG zu beachten, weil diese (unter anderem) erst zustehen können, wenn es keine Vormänner gibt oder die fehlende Stammeinlage auch von diesen nicht eingebracht werden kann. Ob letztere Voraussetzung hier gegeben ist, ist vom Obersten Gerichtshof allerdings nicht weiter zu prüfen, weil sich weder der Kläger noch der Beklagte im Verfahren erster und zweiter Instanz auf das Vorhandensein von Vormännern des säumigen Geschellschafters berufen haben und der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung selbst die Frage der Haftung von Vormännern als „für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs außer Acht zu lassen[d]“ bezeichnet.

2.3. Die Frage, ob im Insolvenzfall der Gesellschaft eine Kaduzierung des säumigen Gesellschafters auch für den Verkauf des Geschäftsanteils nach § 68 GmbHG erforderlich ist, stellt sich regelmäßig nicht, erscheint doch ein derartiger Verkaufsversuch in aller Regel von vorneherein aussichtslos (vgl 1 Ob 2085/96s SZ 69/96).

3.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 1 Ob 563/90 (SZ 63/107) unter Hinweis auf Reich-Rohrwig (Das österreichische GmbH-Recht¹ [1983] 601) ausgeführt, „für den Fall, dass eine Stammeinlage nicht hereingebracht werden kann, [greife] – auch ohne Durchführung eines Kaduzierungsverfahrens – die Haftung der Mitgesellschafter“; in diesem Fall war über das Vermögen der Gesellschaft das Konkursverfahren eröffnet worden. In der Entscheidung 4 Ob 341/98w hielt der Oberste Gerichtshof fest, „[im] Fall [des Konkurses des säumigen Gesellschafters könne] von der Vermögenslosigkeit des Gesellschafters ausgegangen werden, die ein Kaduzierungsverfahren als Voraussetzung der Haftung nach § 70 GmbHG entbehrlich macht“. Auch in der Entscheidung 8 Ob 277/00v sprach der Oberste Gerichtshof aus, „im Konkurs über das Vermögen der Gesellschaft [bedürfe] es zum Wirksamwerden der Ausfallshaftung eines Gesellschafters nach § 70 GmbHG keines Versuchs des Masseverwalters, den Geschäftsanteil des säumigen Gesellschafters im Kaduzierungsverfahren zu verwerten; [vielmehr reiche] der vom Masseverwalter zu führende Nachweis [aus], die nicht einbezahlte Stammeinlage sei beim zahlungspflichtigen Gesellschafter nicht einbringlich“.

In der Entscheidung 2 Ob 111/00p bezog sich der Oberste Gerichtshof zwar auf die „einhellige Lehre in Österreich und Deutschland“ und sprach – ohne sich mit dem in den Entscheidungen 1 Ob 563/90 und 4 Ob 341/98w vertretenen Rechtsstandpunkt ausdrücklich auseinander zu setzen – aus, dass zu den Voraussetzungen der subsidiären Haftung nach § 70 GmbHG ganz allgemein die Kaduzierung des Geschäftsanteils des säumigen Gesellschafters gehört. Allerdings wurde auch in dieser Entscheidung die Maßgeblichkeit des Umstands betont, dass die Gesellschaft (aufgrund gerichtlich bestätigten Ausgleichs des säumigen Gesellschafters) einen Ausfall erlitten habe; in diesem Fall komme es zur Haftung der Mitgesellschafter auch ohne Durchführung des Kaduzierungsverfahrens. Tatsächlich war in diesem Fall ein Insolvenzverfahren über die Gesellschaft nicht eröffnet worden.

3.2. Die bisherige Rechtsprechung lässt sich somit dahin zusammenfassen, dass es für die Frage der Notwendigkeit eines vorherigen Kaduzierungsverfahrens nach § 66 GmbHG bei Geltendmachung einer Haftung nach § 70 GmbHG nicht auf die Frage der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft, sondern darauf ankommt, ob die Gesellschaft oder – im hier interessierenden Zusammenhang – der Insolvenzverwalter den Nachweis führen kann, dass die nicht eingezahlte Stammeinlage beim zahlungspflichtigen Gesellschafter nicht eingebracht werden kann. Dies wurde bislang für den Fall der Eröffnung eines Konkursverfahrens über das Vermögen des säumigen Gesellschafters (4 Ob 341/98w), für die Bestätigung seines Ausgleichs (2 Ob 111/00p) und – ganz generell – für den Nachweis der Uneinbringlichkeit der nicht einbezahlten Stammeinlage beim zahlungspflichtigen Gesellschafter ausgesprochen (8 Ob 277/00v); darüber hinaus wurde klargestellt, dass im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft Verwertungsversuche betreffend den Geschäftsanteil in aller Regel unterbleiben können, weil (wenn) ein Erlös nicht zu erwarten ist (1 Ob 2085/96s).

3.3. Diese Auffassung teilte zuletzt auch Schopper (aaO § 70 Rz 20), während Koppensteiner/Rüffler (aaO) den Wortlaut des § 70 Abs 1 GmbHG („von den Zahlungspflichtigen“) für so „klar“ halten, dass ein Entfall der Kaduzierung nicht möglich sei; letztere verweisen allerdings gleichzeitig auf die Materialien zu § 70 GmbHG, die nahelegten, „§ 70 GmbHG unabhängig davon eingreifen zu lassen, ob kaduziert worden ist oder nicht“.

3.4. Der erkennende Senat schließt sich – ausgenommen den Fall, dass Vormänner des säumigen Gesellschafters vorhanden sind und es nicht ausgeschlossen ist, dass die fehlende Stammeinlage (teilweise) von diesen hereingebracht werden kann (auf diese Frage braucht hier allerdings nicht weiter eingegangen zu werden; vgl 2.2.) – der dargestellten Auffassung an, dass die vorherige Durchführung eines Kaduzierungsverfahrens als Voraussetzung einer Gesellschafterinanspruchnahme nach § 70 GmbHG im Fall einer Gesellschaftsinsolvenz dann entbehrlich ist, wenn der klagende Insolvenzverwalter den Nachweis führen kann, dass die nicht eingebrachte Stammeinlage beim zahlungspflichtigen Gesellschafter nicht eingebracht werden kann und dass auch eine Verwertung des Anteils von vornherein aussichtslos ist (Schopper aaO, § 70 Rz 18).

3.5. Da nach den Feststellungen der Vorinstanzen die restliche Stammeinlage gegen den säumigen Mitgesellschafter weder in einem Forderungs- noch in einem Fahrnisexekutionsverfahren einbringlich gemacht werden konnte und der säumige Gesellschafter außerdem unbekannten Aufenthalts ist, ist dem Kläger der geforderte Nachweis der Uneinbringlichkeit nach § 70 GmbHG gelungen.

4. Der im Revisionsverfahren ausschließlich erörterte Umstand, dass der Kläger ein Kaduzierungsverfahren gegen den säumigen Mitgesellschafter vor Inanspruchnahme des Beklagten nicht eingeleitet hat, schadet somit im hier zu beurteilenden Fall entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung nicht, weshalb der Revision Folge zu geben und das klagsstattgebende Ersturteil wiederherzustellen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Berufungsbeantwortung steht allerdings nur der dreifache Einheitssatz zu, weil eine mündliche Berufungsverhandlung nicht stattgefunden hat (§ 23 Abs 9 RATG).

Leitsätze