Dokument-ID: 885302

Judikatur | Entscheidung

6 Ob 31/16a; OGH; 27. September 2016

GZ: 6 Ob 31/16a | Gericht: OGH vom 27.09.2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny und Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in den verbundenen außerstreitigen Rechtssachen der Antragsteller Dr. W***** und andere gegen die Antragsgegnerin U***** S.p.A., *****, vertreten durch Dr. Thomas Zottl und Dr. Thomas Kustor, Rechtsanwälte in Wien, wegen Überprüfung der Barabfindung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des gemeinsamen Vertreters MMag. Dr. E*****, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 30. Dezember 2015, GZ 28 R 235/15g-296, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung

Das Erstgericht berief den zum gemeinsamen Vertreter zur Wahrung der Rechte der Minderheitsaktionäre, die keinen Antrag auf Überprüfung der Barabfindung gestellt und auf ihre Ansprüche nicht verzichtet haben, bestellten Rechtsanwalt ab und bestellte an seiner Stelle eine Rechtsanwältin. Dem legte es folgenden Sachverhalt zugrunde:

Die Rechtsanwaltsgesellschaft, deren Gesellschafter der bestellte Rechtsanwalt ist, vertritt seit März 2015 den 17. Antragsteller in zwei Prozessen vor dem Erstgericht:

In dem seit 2013 anhängigen Streitverfahren gegen die Antragsgegnerin begehrt dieser Antragsteller, den Schiedsspruch eines Schiedsgerichts mit dem Sitz in Wien vom 20.12.2012, mit dem die Zuständigkeit des Schiedsgerichts festgestellt und die Unzuständigkeitseinrede abgewiesen wurde, aufzuheben und die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts festzustellen. Die Antragsgegnerin brachte in diesem Verfahren vor, der Antragsteller habe in den Vergleichsverhandlungen im Prozess, dessen Gegenstand die Anfechtung mehrerer Beschlüsse der Hauptversammlung der B***** AG vom 03.05.2007 (darunter das Squeeze-Out der Minderheitsaktionäre) gewesen sei, verlangt, sich zur Überprüfung der Barabfindung zwischen einer Teilnahme am Gremialverfahren oder an einem gesonderten Schiedsverfahren entscheiden zu können. Aus diesem Grund habe die Antragsgegnerin mit ihm eine Schiedsvereinbarung geschlossen. Er habe das Schiedsverfahren eingeleitet, das mit großem Aufwand über mehrere Jahre geführt und mit einem die Sache erledigenden Schiedsspruch beendet worden sei.

Einen weiteren Prozess führt der genannte Antragsteller seit 2013 gegen die Schiedsrichter selbst. Er begehrt mit der Behauptung des Betrugs den Ersatz seiner Aufwendungen im Schiedsverfahren von EUR 2,814.731,50.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem Rekurs des abberufenen Rechtsanwalts nicht Folge. Im Hinblick auf das erledigte Schiedsverfahren sei fraglich, ob der 17. Antragsteller im gerichtlichen Überprüfungsverfahren überhaupt noch Parteistellung habe und inwiefern allfällige Zuzahlungen, die er im Zug der Vergleichsverhandlungen oder aufgrund des Schiedsspruchs erhalten habe bzw noch erhalten werde, auch für die Abfindungsansprüche der anderen ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre zu berücksichtigen seien. Dies bedeute, dass das Verfahren über die Schiedsklage einer Beendigung des Überprüfungsverfahrens in absehbarer Zeit entgegenstehen könnte, was den Interessen anderer Minderheitsaktionäre, von denen einige schon Fristsetzungsanträge gestellt hätten, zuwiderlaufe. Der Interessenkonflikt der vom gemeinsamen Vertreter vertretenen Minderheitsaktionäre und dem 17. Antragsteller zeige sich deutlich daran, dass der gemeinsame Vertreter beantragt habe, - unter anderem – diesen Antragsteller die Offenlegung allfälliger Zuzahlungen aufzutragen, und er Rekurs gegen den antragsabweisenden Beschluss des Erstgerichts erhoben habe. Die vorliegende Konstellation, in der eine Kanzlei, wenn auch durch verschiedene Kanzleipartner, derart gegensätzliche Interessen vertrete, mache schon mit Rücksicht auf den objektiven Anschein der Befangenheit die Abberufung des gemeinsamen Vertreters unumgänglich.

Der außerordentliche Revisionsrekurs begründet seine Zulässigkeit damit, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Unabhängigkeit des gemeinsamen Vertreters, zu den dafür maßgebenden Kriterien und zu dem dafür geltenden Beurteilungsmaßstab fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Ein gemeinsamer Vertreter (§ 225f AktG) hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Er hat die Interessen der nichtantragstellenden Aktionäre zu wahren und entscheidet dabei nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 225f Abs 2 AktG). Er handelt damit weisungsfrei und unabhängig (Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung² § 225f Rz 11 mwN).

Es versteht sich von selbst, dass der gemeinsame Vertreter vom Antragsgegner unabhängig sein muss. Er soll aber auch eine von den Antragstellern unabhängige Position haben. Dies erhellt aus § 225f Abs 6 AktG. Nach dieser Bestimmung hat der gemeinsame Vertreter das Verfahren (auch) nach Rücknahme sämtlicher Anträge von Aktionären weiterzuführen, soweit nach seiner pflichtgemäßen Beurteilung ein Erfolg seines Antrags zu erwarten ist. Gerade im Fall des Wissens und/oder des Verdachts eines „Auskaufs“ der anderen Antragsteller wird er das Verfahren weiterführen müssen (Szep in Jabornegg/Strasser, AktG5 § 225f Rz 8 mwN). Es ist daher ausgeschlossen, einen Antragsteller – wenn er Rechtsanwalt, Notar oder Wirtschaftsprüfer ist (s § 225f Abs 3 AktG) – oder einen Vertreter (Verfahrensbevollmächtigten) eines Antragstellers zum gemeinsamen Vertreter zu bestellen.

Die Unabhängigkeit des gemeinsamen Vertreters gewährleistet die sinngemäße Anwendung der §§ 271, 271a UGB (§ 225f Abs 3 Satz 2 AktG; ErläutRV 467 BlgNR 23. GP 37). Nach der Generalklausel des § 271 Abs 1 UGB dürfen Wirtschaftsprüfer eine Abschlussprüfung nicht durchführen, wenn Gründe, insbesondere Beziehungen geschäftlicher, finanzieller oder persönlicher Art, vorliegen, nach denen die Besorgnis der Befangenheit besteht. Den Gesetzesmaterialien zufolge (ErläutRV 467 BlgNR 23. GP 21) und nach herrschender Meinung (Völkl/Lehner in Straube/Ratka/Rauter, UGB³ § 271 Rz 16 mwN) ist Befangenheit schon dann zu besorgen, wenn bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Abhängigkeit besteht, sodass es nicht darauf ankommt, dass der Prüfer tatsächlich möglicherweise unabhängig ist.

Wann die Besorgnis einer Befangenheit zu bejahen oder zu verneinen ist, hängt so sehr von den Umständen des Einzelfalls ab, dass die Beurteilung dieser Frage regelmäßig keine Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufwirft.

Vor dem Hintergrund, dass nach Sinn und Zweck der Einrichtung eines gemeinsamen Vertreters dieser eine von den Antragstellern unabhängige Stellung haben soll, ist die Auffassung jedenfalls vertretbar, dass es bei einem objektiven Dritten Zweifel an der Unvoreingenommenheit des zum gemeinsamen Vertreter bestellten Rechtsanwalts erwecken kann, wenn die Rechtsanwaltschaftsgesellschaft, deren Gesellschafter der gemeinsame Vertreter ist, einen Antragsteller des gerichtlichen Verfahrens zur Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung zwar nicht in diesem Verfahren vertritt, wohl aber in einem Streitverfahren gegen den Antragsgegner, das in einem hinreichenden Zusammenhang mit dem Überprüfungsverfahren steht.

Leitsätze

  • Besteht eine Unabhängigkeitsverpflichtung des gemeinsamen Vertreters auch gegenüber einem Antragsteller?

    Um als gemeinsamer Vertreter iSd § 225f AktG fungieren zu können, muss man nicht nur Anwalt, Notar oder Wirtschaftsprüfer sein, sondern auch vom Antragsgegner und Antragssteller unabhängig. Sollten sich auch durch eine objektive Betrachtungsweise Zweifel an der Unbefangenheit jener Person ergeben, weil diese den Anschein einer geschäftlichen, finanziellen oder persönlichen Abhängigkeit hervorruft, ist es ihr nicht möglich, als gemeinsamer Vertreter bestellt zu werden.
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