Dokument-ID: 847192

Judikatur | Entscheidung

6 Ob 89/16f; OGH; 30. Mai 2016

GZ: 6 Ob 89/16f | Gericht: OGH vom 30.05.2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers DI Dr. R***** R*****, vertreten durch Dr. Alfred Pressl, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegnerin W***** GmbH, FN *****, vertreten durch Dr. Lukas Fantur, Rechtsanwalt in Wien, wegen Bucheinsicht (§ 22 Abs 2 GmbHG), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 24. März 2016, GZ 28 R 355/15d-40, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Die Vorinstanzen verpflichteten die Antragsgegnerin, eine GmbH, dem Antragsteller, einem Minderheitsgesellschafter der Antragsgegnerin, binnen 14 Tagen während der Geschäftszeiten der Antragsgegnerin Einsicht in die Bücher, Schriften, Rechnungen und sonstigen Geschäftsunterlagen für die Geschäftsjahre 2007 bis 2013 zur Position „sonstige betriebliche Aufwendungen“ mit dem Titel „Aufwand für beigestelltes Personal“ zu gewähren, wobei die Einsichtnahme auch durch oder in Begleitung eines oder mehrerer vom Antragsteller beigestellter, zur beruflichen Verschwiegenheit gegenüber gesellschaftsfremden Personen verpflichteter Rechtsanwälte und/oder Wirtschaftstreuhänder erfolgen dürfe; weiters habe die Antragsgegnerin alle im Zusammenhang mit der Durchführung dieser Einsichtnahme verlangten Aufklärungen und Auskünfte zu erteilen und die Anfertigung von Ausdrucken, Abschriften und Kopien zu dulden.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Die Antragsgegnerin behauptet im außerordentlichen Revisionsrekurs, es lägen folgende erhebliche Rechtsfragen vor:

1. Es gebe keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob es ausreiche, dass zur Bucheinsicht Sachverständige beigezogen werden, die berufsmäßig zur Verschwiegenheit verpflichtet seien (Rechtsanwälte gemäß § 9 Abs 2 RAO, Wirtschaftsprüfer gemäß § 91 Abs 1 und 2 WTBG) oder ob es zusätzlich einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung des Sachverständigen zur Verschwiegenheit gegenüber der Gesellschaft bedürfe.

2. Es existiere keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, wie viele Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer ein Gesellschafter bei der Ausübung einer Bucheinsicht gleichzeitig beiziehen dürfe.

Rechtliche Beurteilung

Zu 1. Ein GmbH-Gesellschafter ist aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht verpflichtet, das Interesse der Gesellschaft an der Geheimhaltung von Gesellschaftsinterna zu beachten (vgl 6 Ob 7/96; 6 Ob 4/77; 6 Ob 198/12d; U. Torggler in Straube/Ratka/Rauter, UGB4 § 108 Rz 24; Unger in Straube, GmbHG § 22 Rz 51; Rassi, Fragen der Bucheinsicht im Gesellschaftsrecht, ecolex 1999, 546 [547]; vgl auch RIS-Justiz RS0111527; 2 Ob 112/06v; 4 Ob 27/99w; SZ 39/138).

Verstößt ein Gesellschafter gegen diese Verschwiegenheitsverpflichtung, so kann er von der Gesellschaft auf Unterlassung und Schadenersatz geklagt werden. Diese Verschwiegenheitsverpflichtung hat auch der vom Gesellschafter beauftragte Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer zu wahren, um seinen Mandanten nicht Unterlassungs- oder Schadenersatzansprüchen der Gesellschaft auszusetzen. Die von der Revisionsrekurswerberin behauptete Rechtsschutzlücke liegt daher nicht vor. Im vorliegenden Fall gibt es auch keine Hinweise darauf, dass vom Antragsteller zur Bucheinsicht als Sachverständige beigezogene Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer diese Verschwiegenheitspflichten nicht einhalten werden. Es muss daher hier nicht näher auf die Frage eingegangen werden, wie die Gesellschaft eine Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung durch vom Bucheinsicht ausübenden Gesellschafter beigezogene Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer ahnden kann und ob dabei wegen der hinsichtlich der Geheimhaltung gleichgerichteten Interessen der Gesellschaft und des Gesellschafters in der Betrauung des Anwalts oder Wirtschaftsprüfers ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu erblicken ist, der den Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer auch direkt gegenüber der Gesellschaft zur Wahrung der Verschwiegenheit verpflichtet.

Zu 2. Entgegen der Ansicht der Rechtsmittelwerberin können auch mehrere Sachverständige beigezogen werden (vgl Jabornegg/Artmann, UGB² § 118 Rz 22 unter Hinweis auf 6 Ob 580/81 [„nicht offenbar gesetzwidrig“]; Appl in Straube/Ratka/Rauter, UGB4 § 118 Rz 44), zumal der Gesellschafter die Sachverständigen bezahlen muss (OLG Wien NZ 1995, 183). Eine fixe Obergrenze betreffend die Zahl der Sachverständigen gibt es nicht. Der Gesellschafter kann sich daher auch mehrerer Sachverständiger bedienen, sofern dies nicht im Einzelfall in Hinblick auf die damit verbundene Störung des Geschäftsbetriebs der Gesellschaft oder aus anderen Gründen als schikanös oder rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.

Leitsätze

  • Beiziehung von Sachverständigen (Anzahl und Verschwiegenheit)

    Aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ist der GmbH-Gesellschafter verpflichtet, das Interesse der Gesellschaft an der Geheimhaltung von Gesellschaftsinterna zu beachten. Die den Gesellschafter treffende Verschwiegenheitsverpflichtung hat ebenfalls der von ihm beauftragte Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer zu wahren. Eine fixe Obergrenze beizuziehender Sachverständiger bei Einsichtnahme in Papiere der GmbH gibt es nicht.
    WEKA (ato) | Judikatur | Leitsatz | 6 Ob 89/16f | OGH vom 30.05.2016 | Dokument-ID: 847191