Dokument-ID: 885197

Judikatur | Entscheidung

7 Ob 138/16v; OGH; 9. November 2016

GZ: 7 Ob 138/16v | Gericht: OGH vom 09.11.2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei S*****, vertreten durch Suppan & Spiegl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei M***** W*****, vertreten durch Dr. Paul Luiki, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwältin in Wien, wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382g EO, über den Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. Mai 2016, GZ 46 R 177/16v-26, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 19. Jänner 2016, GZ 26 C 1563/15w-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr lautet:

„Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382g EO des Inhalts, dem Gegner der gefährdeten Partei wird zur Sicherung des Anspruchs der gefährdeten Partei auf Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre bzw auf Schutz vor Verletzung der Ehre und des wirtschaftlichen Rufs ab sofort bei sonstiger Exekution geboten, es zu unterlassen,

a. mit der gefährdeten Partei und/oder mit den Mitgliedsvereinen der gefährdeten Partei jeweils im Wege von deren Vertretern persönlichen Kontakt aufzunehmen,

b. mit der gefährdeten Partei und/oder den Mitgliedsvereinen der gefährdeten Partei jeweils im Wege von deren Vertretern brieflich, telefonisch oder in sonstiger Weise Kontakt aufzunehmen,

c. sich an den Sportstätten, Büro- und Vereinsräumlichkeiten der gefährdeten Partei bzw der Mitgliedsvereine der gefährdeten Partei aufzuhalten, und zwar insbesondere an:

S*****,

S***** W*****,

S***** W*****-W*****,

S***** D*****,

U*****,

d. pornografische Bilder bzw Nacktfotos in und um Sportstätten, Büro- und Vereinsräumlichkeiten der gefährdeten Partei oder von Mitgliedsvereinen der gefährdeten Partei zu verteilen, und zwar insbesondere:

S*****,

S***** W*****,

S***** W*****-W*****,

S***** D*****,

U*****,

e. pornografische Bilder bzw Nacktfotos, auf denen das Logo der gefährdeten Partei, deren Büroräumlichkeiten oder sonstige eindeutige Zuweisungskriterien erkennbar sind, an Dritte weiterzuleiten,

wird abgewiesen.“

Die gefährdete Partei ist schuldig, dem Gegner der gefährdeten Partei die mit EUR 2.197,80 (darin enthalten EUR 366,30 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die gefährdete Partei (in der Folge: Antragstellerin) beantragte ua die Erlassung der aus dem Spruch ersichtlichen einstweiligen Verfügung. Der Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: Antragsgegner) sei bei ihr beschäftigt gewesen und aufgrund zahlreicher Dienstpflichtverletzungen am 26.01.2015 entlassen worden.

Seit Dezember 2015 komme es bei und in diversen Sportstätten, Büro- und Vereinsräumlichkeiten der Antragstellerin und ihrer Mitgliedsvereine vermehrt zu Vorfällen, die offensichtlich in Verbindung mit dem Antragsgegner stünden. So würden diverse Fotos mit dem Vereinslogo der Antragstellerin, die nackte oder nur wenig bekleidete Frauen vor oder in Sportstätten bzw Räumlichkeiten der Antragstellerin oder Mitgliedsvereine zeigten, verteilt oder abgelegt. Dadurch werde nicht nur der wirtschaftliche Ruf sowie die Ehre der Antragstellerin verletzt, sondern auch ihr Name missbraucht. Überdies werde die Antragstellerin in ihrer Privatsphäre aufgrund unerwünschter Kommunikationsteilhabe verletzt. Dem Schutz vor dem immer häufiger auftretenden Phänomen von systematischer Belästigung diene § 382g EO. Sie beantrage daher ausdrücklich die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO.

Lediglich hilfsweise beantrage sie die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 381 EO iVm § 1330 ABGB aufgrund der Tatsache, dass durch die Verbreitung der pornografischen Fotos im Zusammenhang mit dem Logo der Antragstellerin eine ehr- und kreditschädigende Äußerung vorliege, und iVm § 16 ABGB bzw jedem erdenklichen Rechtsgrund.

Der Antragsgegner begehrte, den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abzuweisen. Die angestellten Vermutungen seien absurd, die scheinbaren Beschuldigungen völlig haltlos. Er habe mit der gegenständlichen Sache nichts zu tun.

Das Erstgericht erließ im Sinn des Hauptbegehrens die nach § 382g EO beantragte einstweilige Verfügung für die Dauer von einem Jahr. Auf Seiten des Antragsgegners liege ein ungewöhnliches, beobachtendes und beharrlich gesetztes Verhalten vor, das das Gefühl der Überwachung geben solle. Auch seien vom Antragsgegner im Bereich der Sportstätten, Büro- und Vereinsräumlichkeiten der Antragstellerin und deren Mitgliedervereine pornografische Bilder bzw Nacktfotos mit erkennbarem Logo der Antragstellerin und deren Vereinsräumlichkeiten verteilt und deponiert worden, wodurch Ehre und wirtschaftlicher Ruf der Antragstellerin verletzt würden. Da weitere Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Antragstellerin zu befürchten seien, sei die beantragte einstweilige Verfügung gemäß § 382g EO zu erlassen gewesen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Zu den Verboten, mit denen der Antragsgegner belegt worden sei, sei auf den Wortlaut des § 382g EO zu verweisen, wonach der Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre durch in weiterer Folge lediglich beispielhaft aufgezählte Mittel gesichert werden könne. Die Aufzählung der Mittel sei nicht vollständig, es sei auch nicht notwendig, dass ein bestimmter Eingriff, etwa durch beharrliche Kontaktaufnahme durch Telefonieren bereits erfolgt sei, um das angesprochene Mittel zur Sicherung heranzuziehen. Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs könne eine bloß drohende Gefährdung der Privatsphäre des Opfers sein. Die Wahl der Sicherungsmittel durch das Erstgericht sei nicht zu beanstanden. Aus dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt sei auch ein Eingriff in die Privatsphäre abzuleiten. Daraus folge, dass ein Verbot des Aufenthalts an „Sportstätten etc der Mitgliedervereine“ gerechtfertigt sei, weil durch deren Naheverhältnis, das auch im jeweiligen Namen zum Ausdruck komme, der Ruf der Antragstellerin tangiert sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs des Antragsgegners mit einem Abänderungsantrag.

Die Antragstellerin begehrt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

1.1 Die Antragstellerin stützt ihren Unterlassungsanspruch inhaltlich erschließbar auf ihren Anspruch auf Privatsphäre (§§ 16, 1328a ABGB) sowie auf den Schutz ihrer Ehre und ihres wirtschaftlichen Rufs (§ 1330 ABGB) und ihres Namens (§ 46 ABGB), also auf mehrere Anspruchsgrundlagen, die (jedenfalls teilweise) den Vortrag unterschiedlicher rechtserzeugender Tatsachen erfordern. Damit ist kein einheitlicher Sachverhalt, sondern es sind unterschiedliche rechtserzeugende Tatsachen zu verschiedenen Rechtsgründen und daher unterschiedliche Ansprüche zu beurteilen (vgl 7 Ob 132/16m).

1.2 Die Antragstellerin macht somit in ihrem Sicherungsantrag mehrere Ansprüche geltend. Sichern möchte die Antragstellerin sämtliche Ansprüche im Hauptbegehren mit einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO, hilfsweise auch mit einer solchen nach § 381 EO.

1.3 Die Vorinstanzen erließen zur Sicherung aller geltend gemachten Ansprüche eine einstweilige Verfügung im Sinne des Hauptbegehrens ausschließlich auf Grundlage der Bestimmung des § 382g EO, was sich nicht nur aus den Entscheidungsbegründungen, sondern auch aus dem Spruch selbst ergibt, in dem nach § 382g Abs 2 EO keine Frist zur Einbringung einer Klage bestimmt, sondern die einstweilige Verfügung für längstens ein Jahr erlassen wurde.

2. Zu prüfen ist, ob § 382g EO die einstweilige Sicherung eines allfälligen Unterlassungsanspruchs einer juristischen Person ermöglicht.

3.1 Mit dem Bundesgesetz über die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe (BGBl Nr 412/1975) wurde mit der Änderung von § 382 Z 8b EO zum Schutz vor Gewalt in der Ehe erstmals die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung, die einem gewalttätigen Ehegatten das Verlassen der Ehewohnung aufträgt, geschaffen.

Die einstweilige Verfügung wurde durch das Bundesgesetz BGBl Nr 96/1990 auch auf Fälle ausgedehnt, in denen noch kein Gerichtsverfahren anhängig ist.

3.2 Das erste Gewaltschutzgesetz (GeSchG) BGBl Nr 759/1996 führte die §§ 382b, c und d EO zum Schutz vor Gewalt in der Familie ein. Der Schutz umfasste nicht mehr nur die Wohnung. Geschützt wurde nunmehr auch das Recht einer Person, an Orten, an denen sie sich regelmäßig aufhält, nicht einem gewalttätigen oder psychisch erheblich belastenden Verhalten eines nahen Angehörigen ausgesetzt zu sein.

Der Personenkreis, der durch die einstweilige Verfügung geschützt wurde, wurde nunmehr auf alle nahen Angehörigen erweitert. Einbezogen wurden Personen, die in einem solchen Naheverhältnis zueinander standen, in dem Gewalt in der Familie vorkommt.

§ 382b Abs 4 EO regelte wie bisher § 382 Abs 2 EO die Frage, ob ein zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang der einstweiligen Verfügung mit einem bestimmten Verfahren gegeben sein muss. Wie schon seit der Einführung von § 382 Abs 2 EO durch das Bundesgesetz BGBl Nr 96/1990 sollten die Antragsteller, die besonders schutzwürdig sind, weil sie Opfer von Gewalt oder Bedrohung durch eine ihnen nahestehende Person wurden, nicht wie bei anderen einstweiligen Verfügungen zum Einbringen einer Klage gezwungen werden. Als Ausgleich dafür wurden einstweilige Verfügungen dieser Art, sofern sie nicht im Zusammenhang mit dem Hauptverfahren standen, weiterhin zeitlich beschränkt.

§ 382c EO regelte das Verfahren und die Anordnung.

§ 382d EO regelte den Vollzug der einstweiligen Verfügung, wobei dem Gericht insbesondere die Möglichkeit eröffnet wurde, die Sicherheitsbehörden zu beauftragen, die ihnen zur Verfügung stehenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes als Vollstreckungsorgane für den Vollzug der Wegweisung zum Schutz vor Gewalt in der Familie heranzuziehen.

Durch die gleichzeitige Änderung des § 387 EO wurde erreicht, dass für Fälle, in denen ein Hauptverfahren anhängig oder zumindest denkbar war, auch die einstweilige Verfügung bei demselben Gericht zu beantragen war. Durch die Regelungen der JN über die Zuständigkeit in Ehesachen und in Bestandsachen oder bei Streitigkeiten um eine Liegenschaft war eine Verbindung mit der Ergänzung des Abs 3 sichergestellt, sodass jedenfalls das für den Antragsteller nächstgelegene Bezirksgericht einzuschreiten hatte und es daher nicht vorkommen konnte, dass durch für die Bevölkerung unklare Zuständigkeitsregelungen Verzögerungen im Verfahren auftreten.

Durch die Änderung des § 393 EO sollte die Erlassung der einstweiligen Verfügung bei Gewalt in der Familie für das Opfer nicht dadurch erschwert werden, dass sie von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden kann. Dies galt bereits bisher für die einstweiligen Verfügungen nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a und § 382a EO.

3.3 Mit dem am 01.07.2006 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz (StRÄG 2006 BGBl I Nr 56/2006) wurde die einstweilige Verfügung nach § 382g EO eingeführt, der neue Straftatbestand des „beharrlichen Verfolgens“ gemäß § 107a StGB geschaffen und die Betreuungsmöglichkeit für Stalkingopfer durch Opferschutzeinrichtungen nach § 25 Abs 3 SPG vorgesehen.

Das StRÄG 2006 schaffte damit nicht nur den genannten Straftatbestand, sondern verbesserte auch die zivilrechtliche Rechtsschutzmöglichkeit für „Stalkingopfer“.

Der neue § 382g EO, dessen Anknüpfungspunkt der Schutz der Privatsphäre ist, ergänzte die bereits bestehenden Regelungen über einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt in der Familie.

In Fällen von Stalking hatten sich Sicherheitslücken insbesondere dadurch ergeben, dass einzelne Verfügungen zum Schutz vor Gewalt in der Familie nur nahen Angehörigen iSd § 382b Abs 3 EO zur Verfügung standen, und diese nur eingeschränkte Reaktionsmöglichkeiten – Wegweisung sowie Kontaktaufnahme- und Aufenthaltsverbote – vorsahen. § 382g EO setzt hingegen keine persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer voraus und sieht für ein breites Spektrum einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre vor (Wolfrum/Dimmel Das „Anti-Stalking-Gesetz“, Neuerungen im Straf- und Zivilrecht zum Schutz vor Stalking, ÖJZ 2006/29).

Während § 382g Abs 1 EO nun bestimmte Varianten einstweiliger Verfügungen festschreibt (Verbot persönlicher Kontaktaufnahme sowie Verbot der Verfolgung der gefährdeten Partei; Verbot brieflicher, telefonischer oder sonstiger Kontaktaufnahme; Verbot des Aufenthalts an bestimmt zu bezeichnenden Orten; Verbot der Weitergabe und Verbreitung von persönlichen Daten und Lichtbildern der gefährdeten Partei; Verbot, Waren- und Dienstleistungen unter Verwendung personenbezogener Daten der gefährdeten Partei bei Dritten zu bestellen; Verbot, einen Dritten zur Aufnahme von Kontakten mit der gefährdeten Partei zu veranlassen), erweitert § 382g Abs 2 EO die Möglichkeit, die Sicherheitsbehörden mit dem Vollzug zu betrauen. Eine Einbeziehung der Sicherheitsbehörden war bislang nur für einstweilige Verfügungen zum Schutz vor Gewalt in der Familie (§§ 382b und f EO) vorgesehen. Die Einbindung der Sicherheitsbehörden durch § 382g EO orientiert sich durch die Verweisung auf § 382d Abs 4 EO an den Bestimmungen für die einstweilige Verfügung zum Schutz vor Gewalt in der Familie.

§ 382g Abs 3 EO sieht gleichfalls vor, dass bestimmte Anordnungen für die Dauer eines Jahres auch ohne Fristsetzung für die Einbringung einer Klage verfügt werden können. Dies wurde in den Erläuterungen (ErlRV 1316 GP XXII, 8) damit gerechtfertigt, dass derartige Verbote dem Gegner der gefährdeten Partei auch ohne Hauptverfahren zumutbar seien.

Eine Änderung erfuhr auch § 390 Abs 4 EO dahingehend, dass – wie in den Fällen der einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt in der Familie – einstweilige Verfügungen zur Verhinderung von Stalking nicht von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden können. Dadurch soll ein potentielles Erschwernis bei der Erlangung einer solchen Maßnahme aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung entfallen (ErlRV 1316 GP XXII, 9).

3.4 Das zweite Gewaltschutzgesetz, BGBl I Nr 40/2009, teilte die zwei in § 382b EO enthaltenen Tatbestände auf zwei separate Normen (§ 382b [Schutz vor Gewalt in Wohnungen] und § 382e [Allgemeiner Schutz vor Gewalt]) auf.

Weiters kann nunmehr mit einer so genannten „Stalking EV“ auch ein Aufenthaltsverbot (§ 382g Abs 1 Z 3 EO) mit einer Höchstdauer von einem Jahr ohne Setzung einer Rechtfertigungsfrist ausgesprochen werden. Missachtet der Gegner der gefährdeten Partei die einstweilige Verfügung, wird der gefährdeten Partei eine Verlängerung wiederum mit einer Höchstdauer von einem Jahr, ermöglicht.

Zuständig ist das Bezirksgericht am allgemeinen Gerichtsstand der gefährdeten Partei (bisher: allgemeiner Gerichtsstand des Gegners der gefährdeten Partei), wenn bei Antragstellung noch kein Hauptverfahren eingeleitet wurde (§ 387 Abs 4 EO).

4. § 382g EO regelt den Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre, ohne zu definieren, was unter Privatsphäre zu verstehen ist. Der zivilrechtliche Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre war bereits vor dem Inkrafttreten dieser Gesetzesbestimmung durch § 16 ABGB und § 1328a ABGB gewährleistet. § 382g EO schafft keine neue Anspruchsgrundlage (Beck in Gitschthaler/Höllwerth EuPR [2011] § 382g EO Rz 4), sondern setzt diese vielmehr voraus (RIS-Justiz RS0121886). Zur Beurteilung, was zur Privatsphäre nach § 382g EO gehört, kann damit auf die bisherigen Grundsätze zurückgegriffen werden. Aus § 16 ABGB wird – ebenso wie aus anderen durch die Rechtsordnung geschützten Grundwerten wie Art 8 EMRK – das jedermann angeborene Persönlichkeitsrecht auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimsphäre abgeleitet (RIS-Justiz RS0008993 [T6, T11], 7 Ob 130/15s).

Bereits nach dem insoweit völlig eindeutigen Wortlaut des § 382g EO ist Schutzobjekt dieser Bestimmung die Privatsphäre des Opfers, sie bildet aber keine geeignete Grundlage zur Durchsetzung der Rechte auf Ehre, Ruf und Namen.

5. Ausdrücklich dahingestellt bleibt, ob eine juristische Person eine Privatsphäre iSd §§ 16, 1328a ABGB hat.

Betrachtet man nämlich die Entstehungsgeschichte des § 382g EO, so zeigt sich, dass die Bestimmung an der einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Gewalt in der Familie anknüpft, die zweifelsohne nur natürlichen Personen zur Verfügung steht und diese im Wesentlichen durch die Erweiterung des geschützten Personenkreises, nämlich auf Stalkingopfer, ergänzt, bei denen es sich gleichfalls um natürliche Personen handelt. Dies ergibt sich auch aus dem Vorblatt zur ErläutRV 1316 XXII. GP, 1: Wird dort doch explizit ausgeführt, dass mit der vorgeschlagenen Verankerung einer Anti-Stalking-Bestimmung im StGB der materiell-rechtliche Opferschutz ausgeweitet und damit gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere dem gestiegenen Respekt vor der Persönlichkeit des Menschen und seinem Recht auf Selbstbestimmung Rechnung getragen wird. Im zivilrechtlichen Bereich soll dieser Opferschutz durch die einstweilige Verfügung nach § 382g EO gewährleistet werden. Dass der Gesetzgeber hier vom Menschen spricht, unterstreicht, dass die einstweilige Verfügung nach § 382g EO nur der natürlichen Person zur Verfügung stehen soll.

Der Anglizismus „Stalking“ leitet sich ursprünglich aus der Jägersprache ab. Er bedeutet im Englischen, sich an ein Wild heranzupirschen, dieses zu jagen oder zu verfolgen. In die juristische Terminologie übernommen, versteht man unter Stalking zwanghaftes Verfolgen, Nachstellen und Belästigen einer Person oder das Ausüben von Psychoterror. Ziel eines Stalkers ist es, seinem Opfer durch andauernde und beharrliche Verfolgungshandlungen gegen seinen Willen Kontakte aufzuzwingen und die Selbstbestimmung eines Menschen einzuschränken. Die Besonderheit besteht im speziellen (psychologischen) Verhältnis zwischen Opfer und Täter sowie der Dauer und Heterogenität des Psychoterrors. Stalking kann zur großen psychischen Belastung oder Bedrohung für den Betroffenen werden (vgl Wolfrum/Dimmel aaO). Daraus wird ebenfalls klar, dass Zweck der „Anti-Stalking-Regelung“ des § 382g EO die Verbesserung des Schutzes für natürliche Personen ist, denen rasch Abhilfe gegen Belästigungen durch Stalker geboten werden soll.

Unterstrichen wird dies auch dadurch, dass mit dem Vollzug der Verbote nach § 382g Z 1 und 3 EO die Sicherheitsbehörden betraut werden können (§ 382g Abs 3 EO). Das heißt, wenn der Täter Anordnungen in derartigen einstweiligen Verfügungen zuwiderhandelt, kann die Polizei durch Anwendung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dagegen einschreiten, gerade um den raschen Schutz einer natürlichen Person vor mit Stalking einhergehender Belästigung und Bedrohung zu erreichen. Bedenkt man darüber hinaus die weiteren besonderen Vorteile der einstweiligen Verfügung nach § 382g EO, nämlich die Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts des Antragstellers, den Entfall einer Sicherheitsleistung und den Entfall einer Festsetzung einer Frist für eine Rechtfertigungsklage, so zeigt sich, dass der Gesetzgeber den raschen und unbürokratischen Schutz von natürlichen Personen im Blick hatte.

6. Zusammengefasst bedeutet dies, die einstweilige Verfügung nach § 382g EO steht nur natürlichen Personen zur Sicherung ihres sich aus §§ 16, 1328a ABGB ergebenden Unterlassungsanspruchs zur Verfügung.

7. Soweit die Antragstellerin ihre allfälligen Ansprüche auf Schutz ihrer Privatsphäre, ihres Namens sowie vor Verletzung von Ehre und Ruf nach § 382g EO gesichert haben möchte, ist dieser Antrag daher abzuweisen.

8. Damit ist über das Eventualbegehren nach § 381 EO zu entscheiden.

8.1 Die Antragstellerin hat ihren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung bei ihrem Sitzgericht eingebracht. Für die Bewilligung einer einstweiligen Verfügung nach § 381 EO gelangt aber nicht § 387 Abs 4 EO zur Anwendung. Vielmehr bestimmt § 387 Abs 2 EO, dass, falls einstweilige Verfügungen vor Einleitung eines Rechtsstreits oder nach rechtskräftigem Abschluss desselben, jedoch vor Beginn der Exekution beantragt werden, für die bezeichneten Bewilligungen, Anordnungen, Antragstellungen und Verhandlungen das Bezirksgericht zuständig ist, bei dem der Gegner der gefährdeten Partei zur Zeit der ersten Antragstellung seinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen hat.

Die Zuständigkeitsvorschriften des § 387 EO sind gemäß §§ 51, 402 Abs 4 EO zwingend und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (G. Kodek in Angst/Oberhammer, EO³ § 387 Rz 8 mwN).

8.2 In Hinblick auf § 44 Abs 3 JN hat die Unzuständigkeit des Gerichts für die Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht die Nichtigkeit seiner Beschlüsse zur Folge; auch die vom unzuständigen Gericht angeordneten und vollzogenen Sicherungsmaßnahmen müssen aufrecht bleiben (G. Kodek aaO, Rz 9 mwN); nur eine allfällige Verfahrensfortsetzung geht auf das zuständige Gericht über, an welches gemäß § 44 JN zu überweisen ist. Für die Erledigung des Rechtsmittels ist in einem solchen Fall das dem angerufenen unzuständigen Gericht übergeordnete Rechtsmittelgericht berufen; erst dann hat es gegebenenfalls zur Überweisung nach § 44 JN zu kommen. Hat jedoch das unzuständige Gericht den Sicherungsantrag abgewiesen, ist sein Beschluss nichtig (G. Kodek aaO, Rz 9 mwN).

8.3 Das Erstgericht, das bisher über den Eventualantrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 381 EO nicht entschieden und daher das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen nicht geprüft hat, wird vor Behandlung dieses noch offenen Antrags seine Zuständigkeit zu prüfen haben, zumal sich der Wohnsitz des Antragsgegners offenkundig nicht im Sprengel des Erstgerichts befindet.

9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der ERV-Zuschlag gemäß § 23a RATG gebührt nur in Höhe von EUR 2,10 (vgl RIS-Justiz RS0126594).

Leitsätze

  • Zur Sicherung von Ansprüchen einer juristischen Person nach § 382g EO (Anti-Stalking-Regelung)

    In Anbetracht der Entstehungsgeschichte, des Regelungszwecks, der Tatsache, dass mit dem Vollzug der Verbote die Sicherheitsbehörden betraut werden können sowie weiterer besonderer Vorteile der einstweiligen Verfügung nach § 382g EO wird klar, dass der Gesetzgeber den raschen und unbürokratischen Schutz von natürlichen Personen beabsichtigt hatte. Juristischen Personen ist die einstweilige Sicherung eines allfälligen Unterlassungsanspruchs nach § 382g EO deshalb nicht möglich.
    WEKA (ato) | Judikatur | Leitsatz | 7 Ob 138/16v | OGH vom 09.11.2016 | Dokument-ID: 885301