Dokument-ID: 919258

Judikatur | Entscheidung

8 Ob 18/17f; OGH; 28. März 2017

GZ: 8 Ob 18/17f | Gericht: OGH vom 28.03.2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. R*****, als Insolvenzverwalter in der Insolvenz der T***** GmbH gegen die beklagte Partei B***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1.000.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2016, GZ 4 R 163/16v-10, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Missbraucht der Vertreter seine Vertretungsmacht, so wird dadurch im Allgemeinen aus Gründen des Verkehrsschutzes die Gültigkeit des vom Vertreter mit einem Dritten abgeschlossenen Geschäfts nicht berührt.

Der Dritte, an dessen Sorgfaltspflicht keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen, kann grundsätzlich davon ausgehen, dass ein Gesellschafter, der die Vertretungsmacht hat, also das Vertrauen der Gesellschaft genießt, im Interesse der Gesellschaft handeln will, und ihn deshalb eine Prüfungspflicht in dieser Richtung nur trifft, wenn besondere Umstände ihm den Verdacht eines bewussten Missbrauchs der Vertretungsmacht nahelegen (RIS-Justiz RS0061579).

Der Dritte kann sich aber dann nicht auf die Vertretungsmacht des Vertreters berufen, sodass das Geschäft auch dem Dritten gegenüber unwirksam ist, wenn Vertreter und Dritter kollusiv, also absichtlich zusammengewirkt haben, um den Vertretenen zu schädigen; dem ist gleichzuhalten, wenn der Vertreter mit Wissen des Dritten bewusst zum Nachteil des Vertretenen handelte oder der Missbrauch sich dem Dritten geradezu aufdrängen musste. Nur bei besonderen Umständen, die den Verdacht eines Missbrauchs der Vertretungsmacht nahelegen, besteht eine Erkundigungspflicht des Dritten. Für die Unwirksamkeit des Geschäfts mit dem Dritten genügt demnach dessen grob fahrlässige Unkenntnis vom Missbrauch der Vertretungsmacht (RIS-Justiz RS0019576 [T9]).

2. Grobe Fahrlässigkeit ist eine Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, die sich über die alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt, wobei der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar ist. Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass der Verstoß gegen das normale Handeln auffallend und der Vorwurf im höheren Maß gerechtfertigt ist (RIS-Justiz RS0031127). Sie ist nur dann zu bejahen, wenn ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0030272).

Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0030309).

3. Im konkreten Fall hat der wirtschaftliche Eigentümer der Schuldnerin, der auch ihr selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführer war, einen hohen Geldbetrag vom Konto der Schuldnerin behoben, um damit ein zweifelhaftes Darlehensgeschäft finanzieren zu können. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der beklagten Bank keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, weil sie vor diesem Hintergrund keine Bedenken an einer entsprechenden Vollmacht des Geschäftsführers im Innenverhältnis hatte, ist nicht korrekturbedürftig. Allein die Behebung eines größeren Geldbetrags reicht dafür nicht aus (vgl 8 Ob 84/08y). Der Umstand, dass die Alleinzeichnungsbefugnis erst kurz zuvor in einer wirtschaftlich angespannten Lage der Gesellschaft eingeräumt wurde, stellte ebenfalls kein Indiz für einen Vollmachtsmissbrauch dar, kann doch Zweck einer Erweiterung der Befugnisse gerade sein, eine Einzelperson dazu zu ermächtigen, rasch und flexibel selbstständig Sanierungsschritte zu setzen. Inwieweit sich die anderen Geschäftsführer intern gegen das beabsichtigte Rechtsgeschäft ausgesprochen haben, hat auf die Erkennbarkeit einer Vollmachtsüberschreitung durch die Beklagte keinen Einfluss und ist daher nicht von Relevanz.

Soweit die Revision geltend macht, dass die Beklagte schon wegen eines möglichen Kridatatbestands Bedenken an einer Vertretungsbefugnis hätte haben müssen, so fehlt jedes Vorbringen, inwieweit der Beklagten über Medienberichte hinaus Einsicht in die Gesamtvermögensverhältnisse der Schuldnerin gehabt hat, um eine entsprechende Beurteilung vorzunehmen. Allein, dass das geplante Darlehensgeschäft risikoreich war, reicht dafür jedenfalls nicht aus.

Für die Annahme einer Erkundigungspflicht der Beklagten besteht daher insgesamt keine Grundlage.

Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Bank ihren Kunden auf die Risiken eines beabsichtigten Geschäfts hinzuweisen hat. Lag das der Bank erkennbare Risiko aber nicht in einem Missbrauch der Vollmacht durch den Vertreter, sondern im geplanten Geschäft selbst, ist es ausreichend eine entsprechende Warnung gegenüber dem grundsätzlich bevollmächtigten Vertreter auszusprechen (vgl dazu etwa zum Werkvertrag RIS-Justiz RS0118981), wie es im vorliegenden Fall auch geschehen ist.

4. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Leitsätze

  • Löst das Abheben eines hohen Geldbetrages durch einen Geschäftsführer die Erkundigungspflicht der Bank aus?

    Grds darf der Dritte annehmen, dass ein Gesellschafter, der die Vertretungsmacht hat und somit das Vertrauen der Gesellschaft genießt, im Interesse der Gesellschaft handeln will. Eine Erkundigungspflicht besteht nur bei besonderen Umständen, die den Verdacht eines Missbrauchs der Vertretungsmacht nahelegen, wobei das abgeschlossene Rechtsgeschäft nur bei grob fahrlässiger Unkenntnis unwirksam wird.
    WEKA (ato) | Judikatur | Leitsatz | 8 Ob 18/17f | OGH vom 28.03.2017 | Dokument-ID: 919259