Dokument-ID: 009697

Judikatur | Entscheidung

9 ObA 125/08k; OGH; 30. September 2009

GZ: 9 ObA 125/08k | Gericht: OGH vom 30.09.2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Karl K*****, vertreten durch Dr. Kurt Fassl, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Gerhard S*****, wegen EUR 5.546,24 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits– und Sozialrechtssachen vom 21. Mai 2008, GZ 8 Ra 17/08v–14, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits– und Sozialgericht vom 17. Oktober 2007, GZ 41 Cga 125/07b–9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO mit der Begründung zu, dass zur Frage der Durchgriffshaftung des Alleingesellschafters einer „Limited“, die ausschließlich in Österreich Tätigkeiten entfalten sollte, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege. Der Revisionswerber schloss sich dieser Begründung der Zulässigkeit der Revision an. Der Revisionsgegner hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Maßgeblich ist dabei aber nicht, ob bei allseitiger rechtlicher Prüfung allenfalls eine derartige erhebliche Rechtsfrage gefunden werden könnte. Vielmehr ist die Rechtsmittelzulässigkeit nur dann gegeben, wenn in der Revision zumindest eine erhebliche Rechtsfrage, von deren Lösung die Sachentscheidung abhängt, die also in diesem Sinn „präjudiziell“ ist, nachvollziehbar aufgezeigt wird (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 ZPO Rz 10, 60 mwN; 9 Ob 94/06y; 9 ObA 13/08i ua). Dies ist hier nicht der Fall. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, der über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung zukäme, muss aufgrund der Ausführungen in der Revision nicht gelöst werden. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Zum besseren Verständnis ist vorauszuschicken, dass der Revisionswerber vom 20.04. bis 19.06.2006 bei der F***** Limited, einer seit dem 23.12.2005 im Vereinigten Königreich nach englischem Recht registrierten „Private Company Limited by Shares“ (im Folgenden kurz Limited), beschäftigt war. Diese Limited entfaltete im Gründungsstaat keine Geschäftstätigkeit, sie wurde ausschließlich in Österreich – durch das Auftreten ihres Alleingeschäftsführers („director“) Walter H***** im Namen der Limited – tätig. Zur ursprünglich beabsichtigten Registrierung einer Zweigniederlassung der Limited in Österreich kam es aus nicht näher feststellbaren Gründen nicht. Der Kläger sollte aufgrund des mit dem Alleingeschäftsführer abgeschlossenen Arbeitsvertrags für die Limited im Außendienst Mauertrockenlegungssysteme vertreiben. Der Beklagte, ein EDV–Techniker, der als Einzelunternehmer Computer installiert und wartet, beschränkte sich bei der Limited auf die Rolle des Alleingesellschafters („shareholder“) mit einer Einlage von GBP 100,–. Er wurde nicht operativ tätig, hatte auch mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags mit dem Kläger nichts zu tun und hatte davon auch nichts gewusst. Seine Erwartungen an die Limited bestanden darin, dass er im Fall des erfolgreichen Verkaufs von Mauertrockenlegungssystemen damit beauftragt werde, die für die Mauertrockenlegung notwendigen elektronischen Systeme zu installieren. Dazu kam es jedoch nicht.

Da ein vom Kläger nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen die Limited wegen offener Ansprüche erwirkter Exekutionstitel (gerichtlicher Vergleich) nicht einbringlich war, macht er mit der vorliegenden Klage und der Behauptung, der Alleingeschäftsführer der Limited sei „untergetaucht“, die Durchgriffshaftung gegen den Beklagten als Alleingesellschafter der Limited geltend. Dabei stützt sich der Kläger in der Revision nur mehr auf den Vorwurf des „Rechtsformmissbrauchs“ und der „culpa in eligendo“. Die ursprünglichen Ansätze des Klägers in erster Instanz, der Beklagte sei „Schattendirektor“ der Limited gewesen, habe schadenstiftende Weisungen erteilt und sich bereichert, werden in der Revision nicht mehr verfolgt.

Der Grundgedanke des Begriffs der „Durchgriffshaftung“ liegt darin, dass sich niemand der Rechtsform einer juristischen Person zu dem Zweck bedienen dürfe, Dritte zu schädigen oder Gesetze zu umgehen. Unter gewissen Umständen, die allerdings nicht einheitlich beurteilt werden, sei es im Interesse des Gläubigerschutzes erforderlich und erlaubt, auf die „hinter“ der juristischen Person stehenden Personen durchzugreifen und diese zur Erfüllung der Verbindlichkeiten heranzuziehen, die die juristische Person nicht erfüllen könne (2 Ob 308/02m; RIS–Justiz RS 0009098 ua). Dabei stellt der Revisionswerber das sowohl im österreichischen Recht für die GmbH (§ 61 Abs 2 GmbHG; Duursma/DuursmaKepplinger/Roth, Gesellschaftsrecht Rz 2197; 8 Ob 629/92; 6 Ob 313/03b ua) als auch im englischen Recht für die Limited geltende „Trennungsprinzip“, wonach für die Verbindlichkeiten der Kapitalgesellschaft grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen haftet (vgl Feltl, Der Director der englischen Limited 32; G. Nowotny, Gesellschaftsrecht³ 178; Zessel, Durchgriffshaftung gegenüber einer in Deutschland ansässigen Limited? 237 ua), und den daraus resultierenden Ausnahmecharakter der Durchgriffshaftung (vgl Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht Rz 4/351 ua) nicht infrage. Der Revisionswerber geht zutreffend auch davon aus, dass der selbstständige Haftungsgrund der Durchgriffshaftung neben die Haftung der Gesellschaft tritt, der Haftungsgrund sohin nicht schon allein auf der Verletzung von Pflichten aus dem von der Gesellschaft abgeschlossenen Vertrag beruht (vgl 2 Ob 308/02m ua).

Geht man nun vom vorerwähnten Grundgedanken der Durchgriffshaftung aus, wonach sich niemand der Rechtsform einer juristischen Person zu dem Zweck bedienen soll, Dritte zu schädigen oder Gesetze zu umgehen, dann kann die bloße (erlaubte) Inanspruchnahme einer von der englischen Rechtsordnung bereitgestellten Gesellschaftsform (hier: Private Company Limited by Shares) noch kein Rechtsmissbrauch sein. Es müsste also zur Wahl einer bestimmten Rechtsform noch ein besonderer Missbrauchsvorsatz dazutreten, der jedoch hier nicht vorliegt. Auch wenn eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat mit geringeren Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals gegründet wird, um damit durch anschließende Errichtung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat dessen Recht über die Errichtung von Gesellschaften mit höheren Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals zu umgehen, so stellt dies im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit im Sinn der Art 43, 48 EG – vorbehaltlich der Verhinderung und Verfolgung allfälliger Betrügereien durch die Behörden – noch keine missbräuchliche Umgehung der Gesetze im Sinn des vorstehend erörterten Rechtsformmissbrauchs dar (vgl EuGH 09.03.1999, C–212/97, Centros, Slg 1999, I–1459, Rn 39; EuGH 30.09.2003, C–167/01, Inspire Art, Slg 2003, I–10155, Rn 136 ff, 143; 6 Ob 123/99b; RIS–Justiz RS 0112344 ua). Zum Vorwurf der Gefährdung der Gläubigerbefriedigung durch „Unterkapitalisierung“ wurde in erster Instanz kein ausreichend substantiiertes Vorbringen erstattet. Der bloße Verweis auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 313/03b) in einem Fall mit anders gelagertem Sachverhalt vermag fehlendes Vorbringen nicht zu ersetzen. Einen Aspekt, der hier eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründen könnte, zeigt der Revisionswerber nicht auf.

Auch der zweite Grund für die vom Kläger geltend gemachte Durchgriffshaftung des Beklagten – „culpa in eligendo“ – ist nicht gegeben. Der Revisionswerber vermutet ein Verschulden des Beklagten bei der Auswahl des Alleingeschäftsführers. Dabei stellt er nicht infrage, dass es weder bei der Bestellung des Geschäftsführers einer GmbH (§ 15 Abs 1 GmbHG; vgl Straube/Ratka/Völkl in Straube, GmbHG § 15 Rz 11 f; Umfahrer, GmbH6 RN 173 f ua) noch bei der Bestellung des „directors“ einer Limited (vgl Feltl, Der director der englischen private limited company, ecolex 2007, 769 ua) besondere Anforderungen (insbesondere an die Befähigung) gibt. Dennoch meint er, der Beklagte hätte die „Unfähigkeit“ bzw „Untüchtigkeit“ des Alleingeschäftsführers erkennen müssen. Vom Bestreben getragen, von dem für die Belange der inneren und äußeren Organisation der Limited geltenden Personalstatut (vgl Neumayr in KBB² § 10 IPRG Rz 2; Verschraegen in Rummel, ABGB³ § 12 IPRG Rz 12; 1 Ob 541/81, SZ 54/94 ua) und damit von der Anwendung des ihm für seinen Standpunkt (Durchgriffshaftung) wenig günstig erscheinenden englischen Rechts (vgl Rüffler, Die Behandlung von Scheinauslandsgesellschaften, GeS 2005, 411 [419] ua) wegzukommen, versucht der Revisionswerber die Anwendung österreichischen Rechts damit zu begründen, dass der Beklagte den Alleingeschäftsführer aufgrund früherer Geschäftsfälle schon lange gekannt habe, die Auswahl des Geschäftsführers daher schon lange vor der Gründung der Gesellschaft erfolgt sei. Dass der Ansatz „langer Bekanntschaft“ für die Frage, nach welchem nationalen Recht die Auswahl des Geschäftsführers einer Limited und dabei allenfalls unterlaufener Fehler zu beurteilen sind, wenig zielführend ist, bedarf keiner besonderen Erörterung. Entscheidend ist, dass die Verfahrensergebnisse die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe in vorwerfbarer Weise eine für die Aufgabe des Alleingeschäftsführers „unfähige“ oder „untüchtige“ Person betraut, um den Kläger zu schädigen, nicht tragen. Dass die Limited bereits nach einem knappen Jahr „enorme Verbindlichkeiten“ aufgebaut habe, sagt naturgemäß über die Situation zu Beginn bei der Auswahl des Geschäftsführers nichts aus. Ein Vorbringen über ein späteres Abhandenkommen der Qualifikation des Geschäftsführers mit Relevanz für das missbräuchliche Zustandekommen des Arbeitsverhältnisses unter verantwortlicher Mitwirkung des Beklagten wurde in erster Instanz nicht erstattet. Nach der Lage des erstinstanzlichen Vorbringens und der bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen spielt es daher keine Rolle, ob die Auswahl des Geschäftsführers und allenfalls daraus resultierende Konsequenzen nach österreichischem oder nach englischem Recht zu beurteilen sind. Scheitern nämlich die Überlegungen des Revisionswerbers schon am Fehlen des selbst zugrundegelegten Sachverhalts, dann sind die darauf aufbauenden rechtlichen Überlegungen nur mehr theoretischer Natur, die jedoch nicht geeignet ist, die Zulässigkeit der Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zu begründen (RIS–Justiz RS 0111271 ua).

Vom Revisionswerber für den Fall, dass doch das englische Recht anwendbar sein sollte, angestellte Überlegungen zur persönlichen Haftung des „Limiteddirektors“ wegen „wrongful trading“ und Vorhersehbarkeit der Insolvenz wegen Unterkapitalisierung sind für den Standpunkt des Klägers nicht hilfreich, weil es hier um den Durchgriff auf den Gesellschafter und nicht auf den Geschäftsführer geht. Auch aus der allfälligen Haftung aller Personen aufgrund der wissentlichen Teilnahme „an diesem Geschäft“ mit der Absicht der Gläubigerbenachteiligung ist für den Kläger nichts zu gewinnen. Der Beklagte hat, wie schon eingangs erwähnt, nicht am Arbeitsvertrag mit dem Kläger „wissentlich teilgenommen“. Es ergaben sich auch keine Anhaltspunkte für eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Beklagten.

Mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt und die fallbezogen gelöst werden muss, ist die Revision des Klägers, ungeachtet ihrer Zulassung durch das Berufungsgericht, zurückzuweisen.

Leitsätze