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Judikatur | Entscheidung

Ro 2015/13/0007; VwGH; 13. September 2017

GZ: Ro 2015/13/0007 | Gericht: VwGH vom 13.09.2017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten in 3100 St. Pölten, Daniel Gran-Straße 8, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 12. Jänner 2015, Zl RV/7100894/2012, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 2006 und 2007 sowie Körperschaftsteuer 2006, Umsatzsteuer 2006 bis 2009 und Körperschaftsteuer 2006 bis 2008 (mitbeteiligte Partei: T GmbH in H), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Anfechtung (Körperschaftsteuer 2007 und 2008) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Bei der mitbeteiligten GmbH fand ua für die Jahre 2007 und 2008 eine abgabenbehördliche Prüfung bzw Nachschau statt. Im Abschlussbericht vom 17. September 2010 vertrat die Prüferin die Auffassung, dass der Tatbestand des Mantelkaufs gemäß § 8 Abs 4 Z 2 KStG 1988 erfüllt sei und die Verlustvorträge der mitbeteiligten GmbH ab der Veranlagung 2007 nicht mehr zu berücksichtigen seien. Die Prüferin führte zusammengefasst aus, das Gastronomielokal, welches die strittigen Vorjahresverluste verursacht habe, sei im April 2004 geschlossen und die Vermögenswerte seien im Rahmen eines Zwangsausgleichs veräußert worden. Danach habe die mitbeteiligte GmbH keine Tätigkeit mehr ausgeübt und es sei lediglich „ein leerer GmbH-Mantel“ vorgelegen. Mit Gesellschafterbeschluss vom 20. Juli 2007 sei H anstelle von X zum Geschäftsführer bestellt worden. Der Name der mitbeteiligten GmbH sei geändert und deren Sitz verlegt worden. Der Geschäftszweig sei vom „Betrieb von Gastronomielokalen“ in „Beteiligungen an Gastronomielokalen“ geändert worden. Auch sei eine Neufassung des Gesellschaftsvertrags erfolgt. Mit Abtretungsvertrag vom 20. Juli 2007 hätten H, W und X, die zu gleichen Teilen an der mitbeteiligten GmbH beteiligt gewesen seien, ihre Anteile an die B-GmbH um je EUR 1,– abgetreten. Damit sei neben einer wesentlichen Änderung der wirtschaftlichen und organisatorischen Struktur auch eine wesentliche Änderung der Gesellschafterstruktur auf entgeltlicher Grundlage erfolgt. Entgegen der Ansicht der mitbeteiligten GmbH komme eine Berücksichtigung mittelbarer Beteiligungsverhältnisse nicht in Betracht. Es sei daher unerheblich, dass W zu 50 % an der B-GmbH beteiligt sei und H 75 % an der E-GmbH halte, die ihrerseits zu 50 % an der B-GmbH beteiligt sei. Ein „Durchgriff“, wonach nunmehr H und W 87,5 % der Anteile inne hätten anstatt vorher 66,67 % sei mit dem Trennungsprinzip nicht vereinbar.

2 Das Finanzamt schloss sich der Ansicht der Prüferin an und erließ am 10. November 2010 entsprechende Körperschaftsteuerbescheide für 2007 und 2008.

3 In der dagegen erhobenen Berufung vom 11. Dezember 2010 wandte sich die mitbeteiligte GmbH gegen die Nichtberücksichtigung der mittelbaren Beteiligungsverhältnisse für die Beurteilung der Frage, ob ein Mantelkauf im Sinne des § 8 Abs 4 Z 2 KStG 1988 vorliege.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in deren Rahmen die mitbeteiligte GmbH weiteres Vorbringen zu ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit erstattete –, der als Beschwerde zu behandelnden Berufung der mitbeteiligten GmbH ua hinsichtlich der Körperschaftsteuer 2007 und 2008 Folge und sprach ergänzend aus, dass die Verluste der Vorjahre weiterhin als Sonderausgaben im Sinne des § 8 Abs 4 Z 2 KStG 1988 in Verbindung mit § 18 Abs 6 EStG 1988 verwertbar seien.

5 Das Bundesfinanzgericht stellte fest, dass ursprünglich drei Personen (H, W und X) zu je einem Drittel an der mitbeteiligten GmbH beteiligt gewesen seien. Im August 2007 seien die Anteile an die B-GmbH abgetreten worden. An dieser seien zunächst H und W bzw ab November 2007 W und die E-GmbH je zur Hälfte beteiligt gewesen. Gesellschafter der E-GmbH sei neben einer weiteren GmbH zu drei Viertel H gewesen. Mit der Anteilsabtretung an die B-GmbH sei X aus der mitbeteiligten GmbH ausgeschieden, H und W seien in weiterer Folge je zur Hälfte mittelbare Gesellschafter gewesen. Damit habe sich die Gesellschafterstruktur zu einem Drittel geändert. Mit der Veränderung der Gesellschafterstruktur der B-GmbH im November 2007 habe sich die Gesellschaftsstruktur nochmals geändert, weil eine weitere GmbH zu einem Achtel hinzugetreten sei. Das mittelbare Beteiligungsausmaß des W über die B-GmbH habe 50 %, das mittelbare Beteiligungsausmaß des H über seine 75 %-Beteiligung an der E-GmbH und deren 50 %-Beteiligung an der B-GmbH habe 37,5 % betragen. Insgesamt habe sich die Gesellschafterstruktur daher um 45,8 % geändert.

6 Das Bundesfinanzgericht vertrat die Auffassung, dass die Tatbestandsmerkmale des Mantelkaufs der wirtschaftlichen Betrachtungsweise folgten. Mittelbare Beteiligungen seien keine Beteiligungen im formalen Sinn, sondern wirkten sich bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise wie Beteiligungen im formalen Sinn aus. Das KStG 1988 erachte mehrfach eine mittelbare Gesellschafterstellung als relevant. So werde in § 9 Abs 4 KStG 1988 und § 12 Abs 3 Z 3 leg. cit. ausdrücklich darauf Bezug genommen und auch § 10 Abs 2 KStG 1988 erfasse mittelbare Beteiligungen unter Zwischenschaltung weiterer Kapitalgesellschaften. Schon der klare Gesetzeswortlaut erschließe, dass sich die „Gesellschafterstruktur“ nicht nur auf die unmittelbar Beteiligten beschränken könne, sondern dass die gesamte übergeordnete Struktur (Mutterebene, Großmutterebene, etc.) zu betrachten sei. Die bloße Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft zwischen die zu betrachtende Gesellschaft und deren bisherige Gesellschafter führe zwar zu einer gänzlichen Änderung der Gesellschafter, nicht aber der Gesellschafterstruktur. Wirtschaftlich bleibe die Entscheidungsbefugnis über das Schicksal der Gesellschaft in denselben Händen. Die tatbestandsrelevante Gesellschafterstruktur bleibe im Wesentlichen unverändert, sodass allein durch die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft kein Identitätswechsel im Sinne des § 8 Abs 4 Z 2 KStG 1988 vorliegen könne. Diese Sichtweise, die zwar im Widerspruch zur herrschenden Lehre stehe (Hinweis auf Achatz/Kirchmayr, KStG, § 8 Tz 563), widerspreche nicht dem Trennungsprinzip. Dieses beziehe sich im Verhältnis zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern auf die Zurechnung des Einkommens und der Einkunftsquellen zum Steuersubjekt Körperschaft bzw zum Steuersubjekt Gesellschafter. Beim Mantelkauf gehe es nicht um die Trennung von Sphären, sondern um die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft zum Zweck, entstandene Verlustvorträge beizubehalten. Nur wenn mit der Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft eine wesentliche Änderung der wirtschaftlichen Beteiligungsverhältnisse einhergehe, könne ein Mantelkauf vorliegen. Ob eine Änderung wesentlich sei, müsse nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt werden. Dabei könne das von der Verwaltungspraxis angenommene Ausmaß von zumindest 75 % allenfalls als Richtwert dienen. Im vorliegenden Fall betrage das mittelbare Beteiligungsausmaß des W über die B-GmbH 50 %. Das mittelbare Beteiligungsausmaß des H über die 75 %-Beteiligung an der E-GmbH und deren 50 %-Beteiligung an der B-GmbH betrage 37,5 %. Insgesamt habe sich damit die Gesellschafterstruktur um 45,8 % geändert, wobei keine besonderen Vorrechte vereinbart worden seien und der Großteil der Änderung durch das Ausscheiden des „1/3- Gesellschafters“ X bedingt gewesen sei. Es liege daher keine wesentliche Änderung der Gesellschafterstruktur vor, sodass sich eine Auseinandersetzung mit den übrigen Tatbestandsmerkmalen des Mantelkaufs erübrige.

7 Das Bundesfinanzgericht erklärte die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG für zulässig, weil noch keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorliege, ob die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft bei gleichbleibenden (mittelbaren) Gesellschaftern eine wesentliche Änderung der Gesellschafterstruktur im Sinne des § 8 Abs 4 Z 2 KStG 1988 darstelle.

8 Gegen dieses Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch das Bundesfinanzgericht – eine Revisionsbeantwortung wurde seitens der mitbeteiligten GmbH nicht erstattet – erwogen hat:

§ 8 Abs 4 KStG 1988, BGBl Nr 401/1988 idF BGBl 818/1993, lautet:

„(4) Folgende Ausgaben sind bei der Ermittlung des Einkommens als Sonderausgaben abzuziehen, soweit sie nicht Betriebsausgaben oder Werbungskosten darstellen:

1. Ausgaben im Sinne des § 18 Abs 1 Z 1, 6 und 7 des Einkommensteuergesetzes 1988.

2. Der Verlustabzug im Sinne des § 18 Abs 6 und 7 des Einkommensteuergesetzes 1988. Der Verlustabzug steht ab jenem Zeitpunkt nicht mehr zu, ab dem die Identität des Steuerpflichtigen infolge einer wesentlichen Änderung der organisatorischen und wirtschaftlichen Struktur im Zusammenhang mit einer wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur auf entgeltlicher Grundlage nach dem Gesamtbild der Verhältnisse wirtschaftlich nicht mehr gegeben ist (Mantelkauf). (...)“

9 Der gesetzliche Mantelkauftatbestand bringt die Rechtsfolge des Untergangs des Verlustvortragsrechts mit einer gesamthaften wesentlichen Änderung der Strukturen der Körperschaft innerhalb eines überschaubar kurzen Zeitraums in Verbindung. Voraussetzung für die Versagung des Verlustabzugs ist, dass es zwischen dem Zeitpunkt des Entstehens eines Verlusts und dem Zeitpunkt des Verlustabzugs zu einem Verlust der wirtschaftlichen Identität der Körperschaft gekommen ist. Die wirtschaftliche Identität geht verloren, wenn wesentliche Änderungen der wirtschaftlichen und der organisatorischen Struktur mit wesentlichen Änderungen der Gesellschafterstruktur einhergehen (vgl. die Erkenntnisse vom 26. Juli 2005, 2001/14/0135, VwSlg 8045/F, und vom 18. Dezember 2008, 2007/15/0090, VwSlg 8402/F).

10 Das Bundesfinanzgericht ist im angefochtenen Erkenntnis zum Ergebnis gelangt, dass ein Mantelkauf im Sinne des § 8 Abs 4 Z 2 zweiter Satz KStG 1988 schon deshalb nicht vorliege, weil sich die Gesellschafterstruktur der mitbeteiligten GmbH nicht wesentlich geändert habe. Die mittelbaren Beteiligungsverhältnisse hätten keine wesentliche Änderung erfahren.

11 Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich der Ansicht des Bundesfinanzgerichts, wonach ein gänzlicher Austausch der unmittelbaren Gesellschafter einer Körperschaft zu keiner wesentlichen Änderung der Gesellschafterstruktur im Sinne des § 8 Abs 4 Z 2 KStG 1988 führen soll, nicht anzuschließen.

12 Mit dem Element der Änderung der Gesellschafterstruktur ist die Übertragung von Gesellschaftsanteilen angesprochen. Dabei kommt es auf die Übertragung des (wirtschaftlichen) Eigentums an den Gesellschaftsanteilen an (vgl. Quantschnigg, ÖStZ 1989, (40) 43). Dies wird durch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu § 8 Abs 4 KStG 1988, 662 BlgNR 17. GP 18, bestätigt, setzen diese doch das Tatbestandselement der „Änderung der Gesellschafterstruktur“ mit einer „Veränderung der Eigentümerstellung“ bzw mit einem „Gesellschafterwechsel“ gleich. Eine „Durchgriffsbetrachtung“ ist im Rahmen des § 8 Abs 4 Z 2 KStG 1988 nicht vorgesehen (vgl. Ressler/Stürzlinger in Lang/Rust/Schuch/Staringer, KStG2, § 8 Rz 260, mwN).

13 Im vorliegenden Fall steht fest, dass H, W und X mit Vertrag vom 20. Juli 2007 ihre gesamten Gesellschaftsanteile an die B-GmbH abgetreten haben. Damit ist die B-GmbH sowohl zivilrechtliche als auch wirtschaftliche Eigentümerin der Anteile an der mitbeteiligten GmbH geworden.

14 Dem Bundesfinanzgericht ist daher nicht zu folgen, wonach trotz Abtretung sämtlicher Gesellschaftsanteile an die B-GmbH keine wesentliche Änderung der Gesellschafterstruktur der mitbeteiligten GmbH im Sinne des § 8 Abs 4 Z 2 KStG 1988 erfolgt sei und eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 8 Abs 4 Z 2 KStG 1988 habe unterbleiben können.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 13. September 2017

Leitsätze

  • Zählt als Voraussetzung des Mantelkaufs die mittelbare oder die unmittelbare Gesellschafterstruktur?

    Die wesentliche Änderung der Gesellschafterstruktur als Voraussetzung des Mantelkaufs ist verwirklicht, wenn eine wesentliche Änderung der direkten Beteiligung erfolgt. Werden die gesamten Anteile einer GmbH an eine GmbH übertragen, deren Anteile die übertragenden Gesellschafter innehaben, sodass bei der mittelbaren Gesellschafterstruktur keine Änderung vorliegt, ist ein Mantelkauf bei Vorliegen der restlichen Voraussetzungen möglich. Es zählt lediglich die unmittelbare Gesellschafterstruktur.
    WEKA (ffa) | Judikatur | Leitsatz | Ro 2015/13/0007 | VwGH vom 13.09.2017 | Dokument-ID: 969563