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WEKA (skn) | News | 29.11.2011

Auslegung von Syndikatsverträgen (Stimmrechtsspaltung)

Im materiellen Sinn zu qualifizierende korporative Regelungen des Gesellschaftsvertrags einer GmbH sind nach Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang objektiv (normativ) auszulegen. Die §§ 914, 915 ABGB sind nicht maßgeblich.

Geschäftszahl

OGH 13.10.2011, 6 Ob 202/10i

Norm

§ 39 Abs 2 Satz 1GmbHG; § 39 Abs 2 Satz 2 GmbHG; § 47 GmbHG; § 49 GmbHG; § 75 Abs 1 und 2 GmbHG; § 914 ABGB; § 915 ABGB

Leitsatz

Quintessenz

Im materiellen Sinn zu qualifizierende korporative Regelungen des Gesellschaftsvertrags einer GmbH sind nach Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang objektiv (normativ) auszulegen. Die §§ 914, 915 ABGB sind nicht maßgeblich.

OGH: Gemäß § 39 Abs 2 Satz 1 iVm § 75 Abs 1 und 2 GmbHG ist das Stimmrecht an den Geschäftsanteil gebunden; es ist untrennbarer Bestandteil der Mitgliedschaft und sichert die Teilnahme an der Willensbildung. Eine Stimmrechtsabspaltung ist eine von der Mitgliedschaft losgelöste Übertragung des Stimmrechts auf einen Dritten oder auf einen Mitgesellschafter. Dies ist nach herrschender Ansicht unzulässig und unwirksam. Das Stimmgewicht hängt nach der gesetzlichen Regelung vom Umfang des Geschäftsanteils ab. Da die Regelung des § 39 Abs 2 Satz 1 GmbHG dispositiv ist, kann im Gesellschaftsvertrag anderes vorgesehen werden, jedem Gesellschafter muss aber mindestens eine Stimme zustehen.

Nach herrschender und vom erkennenden Senat geteilter Auffassung kann das Stimmrecht für einen Geschäftsanteil nur einheitlich ausgeübt werden. Ein ungeteilter Geschäftsanteil gewährt ein ungeteiltes und unteilbares Stimmrecht; dies gilt ebenso für einen Geschäftsanteil, welcher iSd § 39 Abs 2 GmbHG mehrere Stimmen vermittelt. Ein Geschäftsanteil, der nach der Satzung mehrere Stimmen gibt, bleibt grundsätzlich auch im Bezug auf diese Stimmen ungeteilt. In einer Klausel, die das Stimmgewicht betrifft, ist nicht automatisch eine satzungsmäßige Zulassung gespaltener Stimmabgabe zu erblicken. Kann das Stimmrecht nur einheitlich ausgeübt werden, ist eine uneinheitliche Stimmabgabe als Stimmenthaltung zu werten.

Bestimmungen, die von der gesetzlichen Regelung des Stimmgewichts abweichen, sind notwendige materielle Satzungsbestandteile, da sie in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden müssen. Sie sind ebenso organisationsrechtliche (korporative) Bestimmungen, da sie die Willensbildung der Gesellschaft auch für künftige Gesellschafter regelt. Nach jüngerer, aber bereits verfestigter Rechtsprechung sind im materiellen Sinn zu qualifizierende korporative Regelungen des Gesellschaftsvertrags einer GmbH nach Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang objektiv (normativ) auszulegen. Demnach sind sie nicht nach Maßgabe der Vorschriften über die Auslegung von Rechtsgeschäften (§§ 914, 915 ABGB) zu interpretieren. Damit in Widerspruch stehende Meinungen und Entscheidungen sind überholt. Die Absicht der Gründungsgesellschafter oder der Gesellschafter, die die Satzungsänderung beschlossen haben, ist bei der Auslegung nicht beachtlich, außer die Parteienabsicht lässt sich objektiv aus der Satzung ermitteln. Außerdem kommt es nicht auf subjektive Umstände, Motive und Nebenabreden an.

Vertragsgegenstand eines Syndikatsvertrag es ist in der Regel die Stimmrechtsausübung in der Gesellschaft, gehen aber häufig über eine reine Stimmrechtsbindung hinaus. Nach überwiegender Rechtsprechung und einem Teil der Lehre binden Stimmbindungsverträge nur die Beteiligten, da sie nicht zum Bestandteil der Satzung gemacht worden sind. Dies gilt auch für andere, bloß schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen Gesellschaftern, die nicht direkt als Stimmbindungsvertrag zu qualifizieren sind. Da die Gesellschaft durch den Syndikatsvertrag nicht gebunden wird, ist eine syndikatswidrige Stimmabgabe bei der Generalversammlung wirksam. Dabei scheidet auch eine Anfechtung des Gesellschafterbeschlusses wegen syndikatswidriger Stimmabgabe aus.

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