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Dokument-ID: 859098

WEKA (ato) | News | 16.08.2016

Beweislast für Information aller Aufsichtsratsmitglieder von der beabsichtigten schriftlichen Beschlussfassung

Aufgrund der „Nähe zum Beweis“ kommt es zur Verschiebung der Beweislast, wenn der Kläger mangels genauer Kenntnis der Tatumstände unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten hat, dem Beklagten diese Kenntnisse aber zur Verfügung stehen.

Geschäftszahl

OGH 25. Mai 2016, 2 Ob 35/16k

Norm

§ 84 Abs 1 zweiter Satz iVm § 99 AktG; § 92 Abs 3 AktG

Leitsatz

Quintessenz:

Aufgrund der „Nähe zum Beweis“ kommt es nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung zur Verschiebung der Beweislast, wenn der Kläger mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten hat, wogegen dem Beklagten diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm deshalb nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben.

OGH: Die Revisionswerberin versuchte im gegenständlichen Fall, die Tatsache, dass nicht festgestellt werden konnte, ob die Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats (die selbst Aufsichtsratsmitglied war) von dem Beschluss oder von dessen Fassung im Umlaufweg wusste (Negativfeststellung) dahingehend in eine Positivfeststellung umzuwerten, dass nicht alle Mitglieder des Aufsichtsrats über die Beschlussfassung im Umlaufweg informiert worden sind. Des Weiteren vertrat sie die Meinung, die klagenden Parteien hätten durch Beantragung der Einvernahme der Aufsichtsratsmitglieder als Zeugen durch deren Aussage klären können, wie der tatsächliche Kenntnisstand der Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats war. Ihren Ausführungen zufolge widerspräche der Umstand, dass die Beklagte beweisen müsse, dass sie keine Kenntnis davon gehabt habe, dem Grundsatz, dass Negativtatsachen nicht zu beweisen seien.

Nach neuerer Auffassung kommt dem Argument der Schwierigkeit des „Negativbeweises“ keine entscheidende Bedeutung zu. Die von der Revisionswerberin angestrebte Information wäre jedoch selbst im Falle, dass die von ihr angedachte Beweisführung als zulässig anerkannt worden wäre (es handelt sich hierbei grundsätzlich um einen unzulässigen Erkundungsbeweis), für die klagenden Parteien nicht zu erlangen gewesen. Die Aufsichtsratsmitglieder haben gemäß § 84 Abs 1 zweiter Satz iVm § 99 AktG über vertrauliche Angaben Stillschweigen zu bewahren, erfasst wird hierbei auch das Beratungs- und Abstimmungsgeheimnis. Aus diesem Grund dürften diese die Aussage verweigern, da sie sonst eine staatlich anerkannte Pflicht zur Verschwiegenheit verletzt hätten. Weil sie einer objektiv normierten Sorgfaltspflicht – deren Verletzung haftbar macht – unterliegen hätten sie ohne Entbindung von ihrer Verschwiegenheitspflicht durch die beklagte Partei die Aussage darüber sogar verweigern müssen.

Die Verschwiegenheitsverpflichtung der Aufsichtsratsmitglieder gilt selbstverständlich weder gegenüber der beklagten Aktiengesellschaft noch gegenüber ihrem Vorstand. Im Sinne der die Aufsichtsratsmitglieder treffenden Sorgfaltspflicht hätten diese gegenüber der beklagten Aktiengesellschaft sogar reden müssen, weil ihre Aussage wesentlich dafür wäre, wie die beklagte Partei bestmöglich den gegenständlichen Prozess führen könne. Demnach war es für die beklagte Partei sehr leicht, sich die nötige Information hinsichtlich der in Rede stehenden Negativfeststellung zu beschaffen.

Im Falle, dass der Kläger mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten hat, wogegen dem Beklagten diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm deshalb nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben, kommt es nach ständiger Rechtsprechung des OGH (aufgrund der „Nähe zum Beweis“) zur Beweislastverschiebung.

Auf Grundlage dieser Ausführungen legte das Gericht fest, dass die Beweislast hinsichtlich der Feststellung, dass bei einer Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft gemäß § 92 Abs 3 AktG nicht alle Aufsichtsratsmitglieder von der Abstimmung im schriftlichen Weg Kenntnis hatten, die Aktiengesellschaft trifft. Weil die beklagte Partei einen solchen Beweis nicht erbracht hat, war von der Kenntnis der Tochter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats über die Beschlussfassung durch schriftliche Stimmabgabe sowie – mangels behaupteten Widerspruchs gegen dieses Verfahren ihrerseits – folglich von einem gültigen Aufsichtsratsbeschluss auszugehen.

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