© WEKA Business Solutions GmbH
A-1200 Wien, Dresdner Straße 45
E-Mail: kundenservice@weka.at

Dokument-ID: 511624

Georg Streit - Sascha Jung | News | 07.01.2013

Die Reise der Gesellschaften

Der Zuzug und Wegzug von Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union hat durch kürzlich ergangene Judikatur des EuGH eine neue Dynamik erhalten. Die Gastautoren Mag. Streit & Mag. Jung geben Überblick über die Entwicklungen der letzten Jahre.

Rückblick: „Daily Mail“ – kein Recht auf Wegzug von Gesellschaften

Die Reise der Gesellschaften begann vor rund 25 Jahren. Damals setzte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) erstmals mit dem grenzüberschreitenden Gesellschaftsrecht auseinander. Konkret ging es um die Frage der Zulässigkeit von nationalen Wegzugsbeschränkungen für Gesellschaften aus einem Mitgliedstaat der EU in einen anderen.

Die im Vereinigten Königreich gegründete und registrierte Daily Mail and General Trust PLC hatte während der Dauer ihres Bestehens beachtliche stille Reserven angesammelt. Um eine Versteuerung dieser stillen Reserven zu vermeiden, plante die Daily Mail and General Trust PLC die Begründung eines steuerrechtlichen Sitzes in den Niederlanden, mit der Folge, dass nicht mehr die gesamten stillen Reserven seit Gründung aufzudecken und zu versteuern gewesen wären, sondern lediglich der nach Verlegung des steuerlichen Sitzes generierte Wertzuwachs. Voraussetzung für die Begründung eines ausländischen (niederländischen) Steuersitzes war es, den Sitz der Geschäftsleitung in die Niederlande zu verlegen. Das königliche Finanzministerium verweigerte die dafür notwendige Zustimmung, weswegen die Daily Mail and General Trust PLC Klage erhob.

Der EuGH hielt in seiner Entscheidung vom 27.9.1988, Rs C 81/87 fest, dass das Unionsrecht (damals Gemeinschaftsrecht) Gesellschaften kein Recht einräumt, den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat als den jeweiligen Gründungsmitgliedstaat zu verlegen. Der Grund dafür liegt darin, dass Gesellschaften (im Gegensatz zu natürlichen Personen) stets nach einer bestimmten nationalen Rechtsordnung gegründet werden. Die jeweilige nationale Rechtsordnung regelt allerdings auch die Erfordernisse für den Fortbestand einer Gesellschaft. Folglich steht es den Mitgliedstaaten, in denen eine Gesellschaft rechtswirksam gegründet wurde, frei, die Bedingungen für eine allfällige Sitzverlegung festzusetzen – oder eben den Fortbestand einer Gesellschaft von einem inländischen Sitz abhängig zu machen.

„Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“ – Recht auf Zuzug von Gesellschaften

In mehreren Folgeentscheidungen (C-212/97 - Centros, C-208/00 – Überseering und C -167/01 - Inspire Act) hatte der EuGH im jeweiligen Einzelfall unterschiedlich ausgeprägte nationale Zuzugsbeschränkungen zu prüfen. In allen drei Fällen kam er zu dem Ergebnis, dass die Mitgliedstaaten nicht verhindern können, dass eine in einem anderen Mitgliedstaat rechtswirksam gegründete Gesellschaft ihren operativen Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Somit stellt jede Form der Zuzugsbeschränkung einen Verstoß gegen die in der EU (damals EG) zu beachtende Niederlassungsfreiheit dar. Während also ein Mitgliedstaat den Wegzug einer „eigenen“ Gesellschaft verhindern konnte, war der Zuzug einer „fremden“ Gesellschaft stets zu dulden.

„Cartesio“ – Niederlassungsfreiheit umfasst keine generelle Wegzugsfreiheit, allerdings ein Recht auf Wegzug in Form einer grenzüberschreitenden Umwandlung

Am 19.12.2008 hatte der EuGH (Rs C-210/06 - Cartesio) nochmals darüber zu entscheiden, inwiefern ein Mitgliedstaat die Verlegung des operativen Sitzes einer „eigenen“ (also in diesem Mitgliedstaat gegründeten und registrierten) Gesellschaft verhindern kann, ohne dabei gegen die Niederlassungsfreiheit zu verstoßen. Die Ausgangsfrage glich somit jener in der Rechtssache „Daily Mail“, allerdings ging der EuGH nunmehr verstärkt auf die Frage ein, ob die Niederlassungsfreiheit auch eine Wegzugsfreiheit mitumfasst – und verneinte dies.

Eine ungarische Kommanditgesellschaft wollte ihren Sitz von Ungarn nach Italien verlegen. Das maßgebliche ungarische Gesellschaftsrecht sah in diesem Zusammenhang (im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen) vor, dass rechtlicher Sitz und tatsächlicher (operativer) Sitz einer Gesellschaft nicht aufteilbar sind. Eine „bloße“ Verlegung des operativen Sitzes war somit nach ungarischem Gesellschaftsrecht nicht möglich.

Der EuGH bestätigte die Unionsrechtskonformität dieser Bestimmung des ungarischen Gesellschaftsrechts. Da es den Mitgliedstaaten freisteht, die Bedingungen für die Gründung und Aufrechterhaltung der Rechtspersönlichkeit einer Gesellschaft festzulegen, steht es ihnen auch frei, für die Aufrechterhaltung der Rechtspersönlichkeit nicht nur (alternativ) auf den rechtlichen oder den tatsächlichen (operativen) Sitz abzustellen, sondern die untrennbare Verbindung dieser beiden Sitzerfordernisse zu fordern. Es kommt somit zu keiner Berührung der Niederlassungsfreiheit, wenn eine Sitzverlegung nur deshalb rechtlich unzulässig ist, weil die für die Gründung und den Fortbestand der Gesellschaft maßgeblichen nationalen Bestimmungen nicht (weiterhin) eingehalten werden.

In einem Nebensatz ließ der EuGH allerdings aufhorchen: Ein Mitgliedstaat darf die grenzüberschreitende Umgründung „seiner eigenen“ Gesellschaften nicht dadurch verhindern, dass er deren Auflösung und Liquidation erfordert, wenn eine solche Umgründung nach dem Recht jenes Mitgliedstaates, in den sich die Gesellschaft begeben möchte, zulässig ist. In aller Kürze bedeutet dies nichts anderes, als dass Mitgliedstaaten den Wegzug von nach ihrem Recht gegründeten Gesellschaften in Form einer grenzüberschreitenden Umwandlung nicht verbieten dürfen. Zu beachten ist allerdings, dass der EuGH diese Ansicht als obiter dictum äußerte und auch eine nähere Begründung fehlen ließ.

„Vale“ – Recht auf Zuzug in Form einer grenzüberschreitenden Umwandlung

Vor wenigen Monaten, im Urteil vom 12.7.2012 bot sich dem EuGH nun die Möglichkeit, den soeben beschriebenen Nebensatz der „Cartesio“-Entscheidung zu erweitern (Rs C-378/10 – Vale).

Eine italienische Gesellschaft wollte ihren Sitz nach Ungarn verlegen und dort nach ungarischem Recht tätig werden. Zu diesem Zweck beantragte die italienische Gesellschaft zunächst ihre Löschung aus dem italienischen Handelsregister und sodann die Eintragung einer ungarischen Gesellschaft als Rechtsnachfolgerin der italienischen Gesellschaft im ungarischen Handelsregister. Die ungarischen Gerichte verweigerten die beantragte Eintragung mit dem Hinweis, dass das ungarische Gesellschaftsrecht zwar eine nationale, nicht jedoch eine grenzüberschreitende Umwandlung vorsehe.

Die Antwort des EuGH auf die Vorlagefrage fiel in diesem Punkt eindeutig aus: Eine nationale Regelung, die zwar für inländische Gesellschaften die Möglichkeit einer Umwandlung vorsieht, aber die Umwandlung einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft nicht erlaubt, greift in die Niederlassungsfreiheit ein.

Wenngleich der EuGH somit endgültig den Boden für grenzüberschreitende Umwandlungen geebnet hat, bleiben in der Praxis dennoch viele Fragen offen – dies schon deshalb, weil das Unionsrecht selbst und auch die nationalen Rechtsordnungen zahlreicher Mitgliedstaaten keine Bestimmungen über die grenzüberschreitende Umwandlung enthalten. Auch in Österreich fehlen explizite Bestimmungen für die grenzüberschreitende Umwandlung, dort könnten die bestehenden Normen durchaus im Sinn der EuGH-Judikatur für erste „Versuchsballons“ fruchtbar gemacht werden.

Auch Wegzugssteuern verstoßen gegen die Niederlassungsfreiheit

Dass auch Wegzugssteuern die Reise von Gesellschaften innerhalb der Europäischen Union nicht beschränken dürfen, bestätigte der EuGH nur wenige Wochen später: Ein portugiesisches Gesetz, das für den Fall, dass eine portugiesische Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt oder eine nicht in Portugal ansässige Gesellschaft Vermögenswerte einer festen Niederlassung in Portugal ganz oder teilweise in einen andern Mitgliedstaat überführt, eine sofortige Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse vorsieht, war für den EuGH ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (EuGH 6.9.2012 Rs C-38/10 – Kommission/Portugal). Diese Entscheidung erging vor dem Hintergrund, dass die portugiesische Regelung für eine Sitzverlegung innerhalb des portugiesischen Hoheitsgebiets nicht galt. Die unterschiedliche Behandlung dieser Sachverhalte, nämlich die Wegzugsbesteuerung nur für die Sitzverlegung ins EU-Ausland, verstößt gegen das Unionsrecht. Anders sah dies der EuGH allerdings bei der portugiesischen Besteuerung der Einstellung der Tätigkeit im Hoheitsgebiet, die nicht Folge einer Verlagerung der Gesamtheit der Tätigkeiten einer portugiesischen Niederlassung in einen anderen Mitgliedstaat ist, sondern schlicht der Einstellung der Geschäftstätigkeiten durch die steuerpflichtige Gesellschaft. Hier lag keine Ungleichbehandlung mit portugiesischen Gesellschaften vor, die ebenfalls einer entsprechenden Steuer unterworfen waren. Daher gab es in diesem Fall nichts zu beanstanden.

Europäische Gesellschaften haben ihre Reise im Dickicht des Unionsrechts ein gehöriges Stück fortgesetzt, ein Ziel ist allerdings noch nicht in Sicht. Durch die jüngste Rechtsprechung des EuGH zur Verlegung von Gesellschaften in andere Mitgliedstaaten ist die Reise juristischer Personen durch die Europäische Union aber wohl endgültig nicht mehr aufzuhalten. Es bleibt spannend abzuwarten, auf welchen Weg die europäischen Gesellschaften in Zukunft geführt werden. Der Boden ist durch die EuGH-Rechtsprechung aufbereitet, setzt sich diese fort, wird der Weg früher oder später in einen Highway zur Europäisierung des Gesellschaftsrechts münden.

Autoren

Mag. Georg Streit

Mag. Georg Streit ist seit 2000 Rechtsanwalt und seit 2001 Partner bei Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Immaterialgüterrecht, Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Rundfunkrecht und Vergaberecht. Weiters ist er Lektor an den Universitäten Wien und Salzburg, Vortragender bei Seminaren und Lehrgängen.

Für WEKA ist er Herausgeber des Newsletters für Gesellschaftsrecht Online sowie für das Werk „Personengesellschaften in Fallbeispielen“.

www.h-i-p.at

Mag. Sascha Jung, LL.M.

Ist Rechtsanwaltsanwärter bei Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte.