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Stefan Schermaier - Dorian Schmelz | News | 13.09.2010

Die Wirkung der Entlastung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern einer AG

Die Autoren Dr. Schermaier und Mag. Schmelz (Kanzlei Lansky, Ganzger + Partner) erläutern anhand relevanter Judikatur und auf Basis der gesetzlichen Grundlagen die Wirkung der Entlastung von Vorstands- und Aufsichtsratmitgliedern.

Gesetzliche Grundlagen

Die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft beschließt gemäß § 104 Abs 2 Z 3 AktG alljährlich mit der gemäß § 121 Abs 2 AktG erforderlichen (das heißt grundsätzlich einfachen) Stimmenmehrheit über die Entlastung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, wobei kein klagsweise durchsetzbarer Anspruch von Organmitgliedern auf Entlastungserteilung besteht. Eine klare gesetzliche Regelung über die konkreten Rechtsfolgen dieser Billigung, insbesondere ob sie als Verzicht auf die Geltendmachung etwaiger Ansprüche der Gesellschaft gegenüber Organwaltern anzusehen ist, fehlt in diesem Zusammenhang. Allerdings ist bei Beurteilung der Rechtsfolgen einer erteilten Entlastung § 84 Abs 4 Satz 3 AktG zu berücksichtigen, demzufolge eine Aktiengesellschaft erst nach fünf Jahren seit der Entstehung des Anspruchs und nur dann auf Ersatzansprüche verzichten oder sich darüber vergleichen kann, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit von 20 % widerspricht; diese zeitliche Beschränkung gilt nicht, wenn der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung oder Beseitigung des Konkurses mit seinen Gläubigern vergleicht.

Verzichtswirkung des Entlastungsbeschlusses?

Durch Erteilung der Entlastung, die jeweils nur uneingeschränkt erfolgen kann (und nicht etwa bloß teilweise oder unter Vorbehalt), billigt die Hauptversammlung für eine abgelaufene Periode pauschal die Geschäftsführung bzw die Aufsichtsratstätigkeit durch die dazu berufenen Gesellschaftsorgane und bringt ihr Vertrauen zum Ausdruck. Unstrittiger Weise bedeutet die Entlastung dabei grundsätzlich keinen Verzicht auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft (OGH RS0123705; Bydlinski/Potyka in Jabornegg/Strasser, AktG II5 § 104 Rz 31; Strasser in Jabornegg/Strasser, AktG II5 §§ 77-84 Rz 112).

Der OGH anerkannte allerdings in seiner Entscheidung vom 3.7.1975 zu 2 Ob 356/74, dass eine beschlossene Entlastung des Vorstands zwar in Hinblick auf die durch § 84 Abs 3 Satz 3 AktG getroffene Regelung grundsätzlich nicht die Wirkung eines Verzichts auf Schadenersatzansprüche oder eines Anerkenntnisses des Nichtbestehens solcher Ansprüche haben kann, die letztgenannte Norm aber dem Schutz der Minderheitsaktionäre dient und daher dann keine Berechtigung hat, wenn die Entlastung von sämtlichen Aktionären erteilt wird; diesfalls sei die Entlastung eine Verzichtserklärung bzw ein Anerkenntnis des Nichtbestehens von Ersatzansprüchen.

Diese Entscheidung des OGH wurde in der Literatur insbesondere deshalb kritisiert, weil, dieser Ansicht der Literatur folgend, die in § 84 Abs 4 AktG gesetzlich statuierten Schranken einer Verzichtswirkung des Entlastungsbeschlusses nicht nur den im Zeitpunkt der Entlastung bestehenden Aktionärsstand schützen soll, sondern auch künftige Aktionäre (Schima, GesRz 1991, 185; Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 104 Rz 5).

Ungeachtet der kritischen Lehrmeinungen hielt der OGH an seiner Rechtsprechung fest und bestätigte diese im Jahr 2008 durch seine Entscheidung vom 8.5.2008 zu 6 Ob 28/08y. Dabei hielt der OGH fest, dass der Entlastungsbeschluss im Hinblick auf § 84 Abs 3 Satz 3 AktG zwar grundsätzlich keinen Anspruchsverzicht impliziert, allerdings im Fall einer von allen Aktionären beschlossenen Entlastung der Schutzweck des § 84 Abs 3 Satz 3 nicht mehr eingreift, sodass in diesem Sonderfall auch bei Aktiengesellschaften dem Entlastungsbeschluss die Wirkung eines Verzichts der Gesellschaft auf Ersatzansprüche gegen die entlasteten Organmitglieder zuerkannt wird. Hintergrund der Entscheidung des OGH war ein Urteil des BGH aus dem Jahr 1959, auf dessen Grundlage der deutsche Gesetzgeber das deutsche Aktiengesetz dahingehend klargestellt hat, dass einer Entlastung explizit keine Verzichtswirkung zukommt (Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG § 104 Rz 5); eine vergleichbare Gesetzesänderung nahm der österreichische Gesetzgeber hingegen nicht vor.

Umfang einer allfälligen Verzichtswirkung

Die vom OGH anerkannte Wirkung der von sämtlichen Aktionären erteilten Entlastung bezieht sich als Verzichtserklärung bzw Anerkenntnis nicht auf Ersatzansprüche aus Tatbeständen, die den Aktionären bei sorgfältiger Prüfung aller ihnen offen gewesenen Unterlagen und erstatteten Berichte nicht erkennbar waren, wobei der OGH präzisiert, dass die einstimmig erteilte Entlastung „die den Aktionären erkennbar gewesenen Schadenersatzbestände“ erfassen muss (OGH 8.5.2008, 6 Ob 28/08y). Was die Aktionäre tatsächlich wissen müssen, damit die Entlastung als Verzicht zu qualifizieren ist, ist nicht abschließend geklärt. Der Entlastung durch Gesellschafter einer GmbH kommt etwa dann Verzichtswirkung zu, soweit diese Umstände bei der Beschlussfassung aus den vorgelegten Unterlagen und Berichten erkennbar oder allen Gesellschaftern tatsächlich bekannt waren (OGH RS0060000; Neumayr, JBl 1990, 273 mwN).

Vergleich zur Entlastung im GmbH-Recht

Der Unterschied der Rechtswirkung des durch Aktionäre einer Aktiengesellschaft gefassten Entlastungsbeschlusses zur durch die Gesellschafter einer GmbH erteilten Entlastung beruht im Wesentlichen darauf, dass § 84 Abs 4 Satz 3 AktG eine aktienrechtliche Sonderbestimmung ist. Der Hintergrund und die sachliche Rechtfertigung dieser Unterscheidung zum GmbH-Recht ist strittig, mag aber vor allem darin liegen, dass die Aktiengesellschaft vom gesetzlichen Konzept her eine Publikumsgesellschaft mit häufigem und erleichtertem Aktionärswechsel ist, während der Wechsel von GmbH-Gesellschaftern strengen formalen Regulativen unterworfen wird, wodurch bei Aktiengesellschaften die Abgabe von Verzichten aus Gründen des Aktionärsschutzes eher erschwert werden soll (Schima, GesRz 1991, 185). Im Ergebnis besteht die Wirkung der von der Generalversammlung den Geschäftsführern und Aufsichtsratsmitgliedern erteilten Entlastung daher – unabhängig von der Erzielung eines einstimmigen Gesellschafterbeschlusses – darin, dass die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen sowie eine Abberufung bzw Kündigung aus wichtigem Grund präkludiert sind, sofern den Gesellschaftern ein betreffender Anspruch der Gesellschaft gegenüber den entlasteten Geschäftsführern erkennbar war (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG 3 §35 Rz 19).

Über die Autoren

Dr. Stefan Schermaier ist Rechtsanwalt und Partner, Mag. Dorian Schmelz Rechtsanwaltsanwärter bei LANSKY, GANZGER + partner Rechtsanwälte GmbH (http://www.lansky.at), einer der führenden österreichischen Rechtsanwaltskanzleien mit starkem regionalem Fokus auf CIS- und SEE-Staaten. Schwerpunkttätigkeiten der Autoren sind Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, M & A, Schadenersatz- und Gewährleistungsrecht sowie Vertragsrecht.

(13.09.2010)