Dokument-ID: 572506

Iman Torabia | News | 08.05.2013

Genehmigung eines Bescheids durch Sektionschefin, die zu diesem Zeitpunkt Aufsichtsratsmitglied der Projektwerberin ist

Verwaltungsorgane haben sich der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn sonstige wichtige Gründe iSd § 7 Abs 1 Z 3 AVG vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.

Geschäftszahl

VwGH 12.11.2012, 2011/06/0202

Norm

§ 7 AVG; § 24f UVP-G 2000 (idF BGBl I Nr 97/2009)

Leitsatz

Quintessenz:

Verwaltungsorgane haben sich der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn sonstige wichtige Gründe iSd § 7 Abs 1 Z 3 AVG vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.

VwGH: In casu genehmigt die Sektionschefin den angefochtenen Bescheid. Sie ist zu diesem Zeitpunkt auch Mitglied des Aufsichtsrates der ASFINAG (Projektwerberin) gewesen. Zu prüfen war, ob eine Interessenskollision vorliegt, die geeignet ist, die volle Unbefangenheit dieser Sektionschefin in Zweifel zu ziehen. Diese „eingeschränkte Unbefangenheit“ habe sich – so die Beschwerdeführer - auch auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides ausgewirkt.

Grundsätzlich stellt das Vorliegen von Befangenheit nur dann einen wesentlichen, zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führenden Verfahrensmangel dar, wenn Bedenken gegen die sachliche Richtigkeit des Bescheides bestehen. Allerdings setzt dies voraus, dass der Entscheidungsspielraum der Behörde ein enger ist, sodass die sachliche Richtigkeit eindeutig ist und vom Verwaltungsgerichtshof ohne weiteres beurteilt werden kann. Für den Fall aber, dass ein weiter Entscheidungsspielraum der Behörde vorliegt, bei dem im Einzelfall nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass ohne Befangenheit ein anderes, für den Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis, wenn auch nur in Teilen der Entscheidung, erzielt worden wäre, kann der Befangenheit die Relevanz als Verfahrensmangel nicht abgesprochen werden.

Nach der „relativen Befangenheit“ im Sinne des § 7 Abs 1 Z 3 AVG haben sich Organwalter immer dann der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Maßgeblich für die Befangenheit ist, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Organwalters zu zweifeln, sodass eine parteiliche Ausübung seines Amtes als wahrscheinlich angesehen werden kann. Damit ist es erforderlich, dass der Vorwurf einer Befangenheit konkrete Umstände aufzeigt, welche die Objektivität des Entscheidungsträgers (in casu Sektionschefin der belangten Behörde, die den angefochtenen Bescheid genehmigt hat und die im Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides auch Aufsichtsratsmitglied der mitbeteiligten Projektswerberin war) infrage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist.

Ausreichend ist, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Entscheidungsträger tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Dies ist in casu zu bejahen. Hierbei ist zunächst zu betonen, dass der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft der Überwachung der Geschäftsführung dient und insofern die Interessen der Gesellschafter wahrnimmt. Hauptaufgabe des Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft ist es somit, die Geschäftsführung des Vorstands auf ihre Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu überwachen.

Für Aufsichtsratsmitglieder gilt die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder sinngemäß und damit ist auch für ein Aufsichtsratsmitglied jene Sorgfalt maßgeblich, mit der eine ordentliche und gewissenhafte Person geschäftliche Unternehmen der betreffenden Art für eigene Rechnung zu leiten pflegt. Es ist verpflichtet, den Vorteil der Gesellschaft zu wahren und Schaden von ihr abzuwenden.

Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass bezüglich des beschwerdegegenständlichen Verwaltungsverfahrens in diesem Kontext insbesondere bedeutend ist, dass das UVP-G 2000 bei Beurteilung von Infrastrukturprojekten der in casu zu beurteilenden Art die Möglichkeit der Vorschreibung eines breiten Spektrums an Auflagen vorsieht. Jedoch hat die mitbeteiligte Aktiengesellschaft als Projektwerberin ein wesentliches Interesse daran, mit solchen Auflagen nicht allzusehr wirtschaftlich belastet zu werden. Die Sektionschefin als Organwalterin, die die erwähnte Sorgfaltspflicht gegenüber einer Verfahrenspartei trifft, ist demnach als befangen im aufgezeigten Sinn anzusehen. Insbesondere bezüglich der Nebenbestimmungen kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass auch andere rechtmäßige, für die Beschwerdeführer günstigere Entscheidungsmöglichkeiten gegeben waren. Die Genehmigung des vorliegenden Projektes der mitbeteiligten Aktiengesellschaft durch deren Aufsichtsrätin belastet somit aus diesen Gründen den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

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