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Stefan Schermaier - Dorian Schmelz | News | 10.02.2012

Kapitalerhaltungsrechtliche Aspekte der Verschmelzung der Enkel- auf deren Großmuttergesellschaft

Die Gastautoren Dr. Schermaier und Mag. Schmelz erläutern, was es bei Verschmelzung von Enkelin auf Großmutter aus Sicht der Kapitalerhaltung zu beachten gilt und welche Maßnahmen eine solche kapitalerhaltungsrechtlich zulässig machen können.

Problemstellung

Im Rahmen einer Verschmelzung zur Aufnahme wird das Vermögens einer Gesellschaft als Ganzes mit allen Rechten und Pflichten und unter Verzicht auf die Liquidation der übertragenden Gesellschaft im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf eine andere Gesellschaft übertragen (§ 96 GmbHG, § 219 AktG). Als Ausgleich hierfür werden den Gesellschaftern der übertragenden Gesellschaft prinzipiell Anteile an der übernehmenden Gesellschaft gewährt; diese Gegenleistung hat (§ 224 Abs 1 AktG) bzw kann (§ 224 Abs 2 AktG) nur in gesetzlich genannten Fällen unterbleiben; sie kann es gemäß § 224 Abs 2 Z 1 AktG insb dann, wenn „die Gesellschafter sowohl an der übernehmenden als auch an der übertragenden Gesellschaft im gleichen Verhältnis unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind“.

Einer Verschmelzung der – aus Sicht der übernehmenden Gesellschaft – Enkelgesellschaft („Enkelin“) auf deren Großmuttergesellschaft („Großmutter“) steht typischer Weise in einem Spannungsverhältnis zu einem der zentralen Grundsätze des österreichischen (Kapital-)Gesellschaftsrechts: Dem Grundsatz der Kapitalerhaltung. Eine Gewähr von Anteilen an der übernehmenden Großmutter zugunsten der um ihre Beteiligung verkürzten Muttergesellschaft der Enkelin („Mutter“) darf nämlich nicht nur unterbleiben, sie muss es vielmehr, andernfalls gegen das Verbot des Erwerbs von Anteilen an der Mutter durch deren Tochter verstoßen würde (§ 81 GmbHG, § 51 Abs 2 AktG; vgl auch Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 § 81 Rz 15 und Reich-Rohrwig, Kapitalerhaltung 232 f).

Die folgenden Ausführungen stellen auf die praktisch häufigere Verschmelzung von GmbHs ab, gelten jedoch sinngemäß für Verschmelzungen von AGs, zumal bei Verschmelzungen von GmbHs subsidiär aktienrechtliche Bestimmungen Anwendung finden (§ 96 Abs 2 GmbHG) und das Gebot der Kapitalerhaltung in § 82 GmbHG und § 52 AktG ähnlich normiert ist.

Das Kapitalerhaltungsgebot

Das Gebot der Kapitalerhaltung ergibt sich aus § 82 Abs 1 GmbHG, demzufolge Gesellschafter ihre Stammeinlage nicht zurückfordern dürfen und, solange die Gesellschaft besteht, nur Anspruch auf den sich nach dem Jahresabschluss ergebenden Bilanzgewinn haben, soweit dieser nicht durch Gesellschaftsvertrag oder Beschluss der Gesellschafter von der Verteilung ausgeschlossen ist. Da die spezifisch verschmelzungsrechtlichen Vorgaben des AktG bzw GmbHG den Gläubigerschutz nicht abschließend regeln (§ 224 Abs 2 Z 1 AktG), sind der Grundsatz der Kapitalerhaltung und das ihm entspringende Verbot der Einlagenrückgewähr auch im Rahmen von Verschmelzungen zu beachten und deren Einhaltung vom Firmenbuchgericht bei der gebotenen Untersuchung des Vorliegens der formellen und materiellen Eintragungsvoraussetzungen bei einer Anmeldung von Verschmelzungen zur Eintragung in das Firmenbuch amtswegig zu überprüfen (OGH RS0112747). Dabei gilt das Kapitalerhaltungsgebot nicht nur in der mehrpersonalen GmbH, sondern auch bei einer Vermögensverschiebung zugunsten des alleinigen Gesellschafters (OGH NZ 1929, 28), also etwa im Anlassfall bei einer jeweils 100%igen Beteiligung von Großmutter an Mutter und von dieser an der Enkelin.

§ 82 Abs 1 GmbHG verbietet sowohl offene Verletzungen des Verbots der Einlagenrückgewähr, als auch jede verdeckte Begünstigung eines Gesellschafters; maW jede unmittelbare oder mittelbare Leistung an einen Gesellschafter, der keine gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht und die wirtschaftlich das Vermögen der Kapitalgesellschaft verringert oder, wie es die Judikatur ausgedrückt, jeden „Vermögenstransfer von der Gesellschaft zum Gesellschafter in Vertragsform oder auf andere Weise, die den Gesellschafter aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses zu Lasten des gemeinsamen Sondervermögens bevorteilt“ (OGH 29.09.2010, 7 Ob 35/10p; OGH 20.01.2000, 6 Ob 288/99t).

Hieraus ergibt sich, dass eine einseitige Leistung der Mutter an ihre Gesellschafterin, die Großmutter, der gegen das Gebot der Kapitalerhaltung verstößt (Kalss in Kalss, Verschmelzung/Spaltung/Umwandlung § 224 AktG Rz 10; Reich-Rohrwig, Kapitalerhaltung 232), zu einer Vermögenseinbuße der Mutter in Höhe des Verkehrswerts der Enkelin und aus Sicht der Gläubiger der Mutter zu einer Aushöhlung von deren Haftungsfonds führt. Das eine Einlagenrückgewähr darstellende Rechtsgeschäft ist prinzipiell mit absoluter Nichtigkeit beschwert, die vom Firmenbuchgericht bei Anmeldung der Verschmelzung zur Eintragung in das Firmenbuch zu relevieren, dh die Anmeldung abzuweisen ist. Trägt das Firmenbuchgericht hingegen (rechtswidriger Weise) die Verschmelzung in das Firmenbuch ein, ist auf den in § 230 Abs 2 AktG positivierten Bestandschutz zu verweisen, sodass die Firmenbucheintragung zu einer Änderung der materiellen Rechtslage führt (Reich-Rohrwig, Kapitalerhaltung 165), die allerdings die Haftung der begünstigten Großmutter wie auch der handelnden Geschäftsführer nicht berührt.

Im Ergebnis ist somit zur Einhaltung des Kapitalerhaltungsgebots bei einer Verschmelzung von Enkelin auf Mutter für einen angemessenen Ausgleich zugunsten der Mutter zu sorgen. Die Überprüfung der Angemessenheit von Vermögenstransfers zwischen Gesellschaft und ihren Gesellschaftern erfolgt prinzipiell durch Betrachtung von Leistung und Gegenleistung, deren objektives Missverhältnis zulasten der Gesellschaft nach der Rechtsprechung auf einen Verstoß gegen § 82 Abs 1 GmbHG schließen lässt (OGH 12.03.1992, 6 Ob 5/91). Sind Leistung und Gegenleistung nicht gleichwertig, ist entscheidend, ob ein sorgfältig handelnder Geschäftsführer das zu beurteilende Rechtsgeschäft auch mit einem Dritten hätte abschließen dürfen (OGH 01.12.2005, 6 Ob 271/05d), wobei bei Beurteilung dieser Frage ein strenger Maßstab anzulegen ist (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG § 82 Rz 16). Ist ein Drittvergleich nicht möglich, sind Leistung und Gegenleistung als solche zu bewerten, was etwa bei Beurteilung der Übertragung eines 100%igen Geschäftsanteils an einer GmbH an ihren Alleingesellschafter zu einem bloß dem Stammkapital entsprechenden Kaufpreis gilt.

Mögliche Ausgleichsmaßnahmen

Im Anlassfall sind folgende Maßnahmen denkbar, um die zu beurteilende Verschmelzung von Enkelin auf Großmutter kapitalerhaltungsrechtlich zulässig auszugestalten:

  • Sachdividendenausschüttung: Ausschüttung einer dem Wertabgang der Enkelin entsprechenden Sachdividende durch die Mutter an die Großmutter, soweit die Mutter einen entsprechenden Bilanzgewinn ausweist (Reich-Rohrwig, Kapitalerhaltung 231).
  • Kapitalherabsetzung: Durchführung einer der Verschmelzung vorausgehenden Sachkapitalherabsetzung bei der Mutter im Umfang des Verkehrswerts der Enkelin, soweit die Mutter in der Lage ist, ihr Stammkapital in Höhe des Verkehrswerts der verschmelzungsbedingt wegfallenden Beteiligung herabzusetzen (Schwarzinger/Wiesner, Umgründungssteuer-Leitfaden I 103) und dabei das gesetzliche Mindeststammkapital nicht unterschritten wird (OGH 15.04.2010, 6 Ob 226/09t).
  • Gesellschafterzuschuss: Leistung eines Zuschusses in Höhe des Verkehrswerts der Enkelin durch die übernehmende Großmutter an die verkürzte Mutter zum Ausgleich von deren Vermögensabgang (OGH 15.04.2010, 6 Ob 226/09t; Kalss in Kalss, Verschmelzung/Spaltung/Umwandlung § 224 AktG Rz 10, 22; Reich-Rohrwig, Kapitalerhaltung 231).
  • Einlageversprechen: Strittig ist, ob die bloße Vereinbarung eines klagbaren, verzinsten und wertausgleichenden Zuschussversprechens geeignet ist, eine Einlagenrückgewähr auszuschließen (bejahend Schwarzinger/Wiesner, Umgründungssteuer-Leitfaden I 103, differenziert Reich-Rohrwig, Kapitalerhaltung 232).

Über die Autoren

Dr. Stefan Schermaier ist Rechtsanwalt und Partner, Mag. Dorian Schmelz wissenschaftlicher Mitarbeiter bei TONNINGER | SCHERMAIER | RIEGLER | MAIERHOFER Rechtsanwälte (http://www.tsrm.at). Schwerpunkttätigkeiten der Autoren sind Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, M & A, Schadenersatz- und Gewährleistungsrecht sowie Vertragsrecht.