Dokument-ID: 338174

Lisa Korninger | News | 20.12.2011

Kapitalverkehrsfreiheit: Kapitalveranlagung durch Erwerb einer Portfoliobeteiligung an ausländischer Gesellschaft

Kapitalveranlagung durch Erwerb einer Portfoliobeteiligung an einer in einem anderen Staat ansässigen Kapitalgesellschaft unterliegt dem Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit. Die Schutzwirkung erstreckt sich auch auf Kapitalverkehr mit Drittstaaten.

Geschäftszahl

VwGH 25.10.2011, 2011/15/0070

Norm

Art 63 AEUV; Art 18 Abs 1 B-VG; § 10 KStG

Leitsatz

Quintessenz:

Kapitalveranlagung durch Erwerb einer Portfoliobeteiligung an einer in einem anderen Staat ansässigen Kapitalgesellschaft unterliegt dem Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit. Die Schutzwirkung erstreckt sich auch auf Kapitalverkehr mit Drittstaaten. Bei Verstoß gegen Unionsrecht ist nach Ansicht des VwGH jene Lösung anzuwenden, mit welcher materiell am wenigsten in das nationale Recht eingegriffen wird. Die Anrechnungsmethode greift weniger ein als die Befreiungsmethode.

OGH: Die Veranlagung von Kapital durch Erwerb einer Portfoliobeteiligung an einer in einem anderen Staat ansässigen Kapitalgesellschaft unterliegt dem Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit des Art 63 AEUV. Diese Schutzwirkung erstreckt sich auch auf den Kapitalverkehr mit Drittstaaten.

Wenn eine Kapitalgesellschaft Gewinnausschüttungen aus einer anderen Kapitalgesellschaft bezieht, stellt sich das Problem der „wirtschaftlichen Doppelbesteuerung“ des ausgeschütteten Gewinnes: einerseits Körperschaftsteuer bei der ausschüttenden Kapitalgesellschaft und andererseits Körperschaftsteuer bei der empfangenden Kapitalgesellschaft. Um dies zu verhindern, gibt es die „Anrechnungsmethode“ und die „Befreiungsmethode“.

Für Dividenden (auch inländische Portfoliodividenden), die eine Gesellschaft von einer inländischen Gesellschaft bezieht, gewährt der österreichische Gesetzgeber mit § 10 Abs 1 Z 1 KStG eine Steuerentlastung. Um die Kapitalverkehrsfreiheit zu wahren, muss auch für Dividenden, die aus Portfoliobeteiligungen an in Drittstaaten ansässigen Gesellschaften bezogen werden, eine Entlastung gewährt werden. Dabei ist es zur Wahrung des Unionsrechts irrelevant, ob für die aus einem Drittland bezogene Dividende eine Steuerbefreiung oder eine Steueranrechnung gewährt wird. In § 10 KStG in der hier behandelten Fassung des BBG 2009 ist jedoch für Portfoliodividenden aus Drittstaaten, die nicht zum EWR gehören, sowie aus zum EWR gehörenden Drittstaaten, mit welchen keine umfassende Amtshilfe besteht, weder die Befreiung von der Körperschaftsteuer noch die Anrechnung der im Ausland entrichteten Körperschaftsteuer eingeräumt. Dies stellt eine Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen dem Mitgliedstaat und dem Drittstaat dar und verstößt grundsätzlich gegen die Kapitalverkehrsfreiheit.

Belastendes nationales Recht, das im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht bleibt insoweit unangewendet, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist. Diese „Verdrängungswirkung“ erreicht nur jenes Ausmaß, das hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen. Werden durch das Unionsrecht mehrere Lösungen zugelassen, kann der Gesetzgeber innerhalb des zulässigen Rahmens des Unionsrechts eine nationale Regelung normieren. Bis der Gesetzgeber diese Entscheidung getroffen hat, ist der Rechtsanwender dazu verpflichtet, eine „bereinigte Rechtslage“ zur Anwendung bringen. Bestehen mehrere gleichwertige unionsrechtskonforme Lösungen, hat dieser jedoch kein Wahlrecht, sondern er hat jene Lösung anzuwenden, mit welcher materiell am wenigsten in das nationale Recht eingegriffen wird.

In diesem Fall war der angefochtene Bescheid als rechtswidrig aufzuheben, da es zu einer Zurückdrängung der vom österreichischen Gesetz angeordneten Besteuerung auf jenes Ausmaß hätte kommen müssen, das sich unter Zugrundelegung der „Anrechnungsmethode“ errechnet, da hier die „Anrechnungsmethode“ weniger in die normative Anordnung des Gesetzgebers eingreift also die „Befreiungsmethode“.

Stellt eine Regelung prinzipiell eine verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zwischen einem Mitgliedstaat und bestimmten Drittstaaten dar, ist auch zu prüfen, ob diese Beschränkung nach den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann. Unter Berücksichtigung des Urteils Haribo und Salinen ist daher die Anrechnungsmethode nur dann zu gewähren, wenn die Möglichkeit besteht, vom Drittstaat die erforderlichen Auskünfte zu erhalten. Unterliegt der betreffende Ansässigkeitsstaat keiner Auskunftsverpflichtung, besteht kein Verstoß gegen Unionsrecht und die Dividenden sind weiterhin uneingeschränkt zu besteuern.

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