Dokument-ID: 635115

Iman Torabia | News | 13.12.2013

Keine Anwendung der actio pro socio im Vereinsrecht

Die Grundsätze der actio pro socio können im Regelfall nicht auf den Verein übertragen werden: das Rechtsschutzsystem des Vereinsrechts steht einer analogen Anwendung der actio pro socio entgegen.

Geschäftszahl

OGH, 18.06.2013, 4 Ob 18/13w

Norm

§ 5 Abs 2 VerG 2002, § 21 Abs 5 VerG 2002

Leitsatz

Quintessenz:

Die Grundsätze der actio pro socio können im Regelfall nicht auf den Verein übertragen werden: das Rechtsschutzsystem des Vereinsrechts steht einer analogen Anwendung der actio pro socio entgegen.

OGH: Der Vereinsgesetz begründet anders als das Recht der Personengesellschaften mehrere Rechte einfacher Vereinsmitglieder, Einfluss auf die Geschäftsführung des Vereins zu nehmen: Mindestens ein Zehntel der Mitglieder kann vom Leitungsorgan die Einberufung einer Mitgliederversammlung verlangen (§ 5 Abs 2 VerG 2002). Diese Bestimmung ist (einseitig) zwingend. Die Satzung darf daher kein höheres Quorum (etwa ein Viertel) für die zwingende Einberufung der Mitgliederversammlung vorsehen.

Das bedeutet, dass eine qualifizierte Minderheit, die mit der Geschäftsführung durch das Leitungsorgan unzufrieden ist, die Durchführung einer Mitgliederversammlung erzwingen kann. Dort kann sie ihren Standpunkt darlegen und gegebenenfalls Änderungen in der Zusammensetzung des Leitungsorgans herbeiführen.

Zudem kann „mindestens ein Zehntel der Mitglieder“ durch Bestellung eines Sondervertreters Ersatzansprüche des Vereins gegen Organwalter geltend machen (§ 25 VerG 2002). Dabei handeln die Mitglieder nicht im eigenen Namen, sondern als Vertreter des Vereins.

Der Verein, nicht die Mitglieder, ist gegebenenfalls Partei des gerichtlichen Verfahrens.

Zu diesen Rechten einer qualifizierten Minderheit tritt das Recht jedes Mitglieds, nach § 7 VerG 2002 die Nichtigkeit von Beschlüssen geltend zu machen und bei Betroffenheit (andere) gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse von Vereinsorganen anzufechten sowie - nach allgemeinen Grundsätzen - eigene subjektive Rechte, die aus dem Vereinsverhältnis entspringen (also insbesondere die Zugehörigkeit zum Verein), durch ordentliche Gerichte klären zu lassen.

Sowohl die Bestimmungen zur Einberufung der Mitgliederversammlung als auch zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organwalter stehen - vorbehaltlich einer günstigeren Regelung in der Satzung - nur einer qualifizierten Minderheit zu. Einzelne Vereinsmitglieder können demgegenüber nur dann aufgrund des Vereinsverhältnisses gegen den Verein vorgehen, wenn besonders schwerwiegende Mängel eines Beschlusses vorliegen (Nichtigkeit), sie durch (andere) gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse beeinträchtigt werden (Anfechtung) oder der Verein in ihre subjektiven Rechte aus dem Vereinsverhältnis eingreift. Das gilt grundsätzlich auch für die Durchsetzung von Ansprüchen des Vereins gegen aktuelle oder ehemalige Vereinsmitglieder. Auch hier kann eine qualifizierte Minderheit die Einberufung einer Mitgliederversammlung verlangen und in der Folge - wenn sie dort eine Mehrheit findet - die Anspruchsverfolgung durch den Verein erzwingen.

Im Weg des § 25 VerG 2002 kann gegenüber Organwaltern die Minderheit auch ohne Befassung der Mitgliederversammlung Ersatzansprüche geltend machen. Dies aber ebenfalls im Namen des Vereins. Zu beachten ist, dass diese Wertung des Gesetzes unterlaufen würde, wenn man einzelnen Mitgliedern aufgrund allgemeiner Grundsätze des Gesellschaftsrechts die Möglichkeit eröffnete, im eigenen Namen und ohne Erfordernis eines Mindestquorums Ansprüche des Vereins zu verfolgen.

Die Grundsätze der actio pro socio können daher -jedenfalls im Regelfall- nicht auf den Verein übertragen werden. Es hat vielmehr dabei zu bleiben, dass nur der Verein seine Ansprüche aus dem Vereinsverhältnis geltend machen kann. Eine qualifizierte Minderheit kann dies mittelbar (§ 5 Abs 2 VerG 2002) oder bei Ersatzansprüchen gegen Organwalter unmittelbar (§ 25 VerG 2002) erzwingen.

Denkbar wäre allenfalls eine analoge Anwendung von § 25 VerG 2002 auf andere Ansprüche gegen Organwalter; eine Geltendmachung durch einzelne Mitglieder kommt aber nach der Systematik des Vereinsgesetzes keinesfalls in Betracht. Auch das Interesse von Mitgliedern auf Unterbleiben statutenwidrigen Verhaltens durch einzelne (hier nach den Behauptungen ehemalige) Organwalter ist grundsätzlich innerhalb des vereinsrechtlichen Rechtsschutzsystems geltend zu machen. Es obliegt daher auch hier ausschließlich dem Verein, dieses - in Wahrheit sein eigenes - Interesse zu verfolgen; eine qualifizierte Minderheit kann nach § 5 Abs 2 VerG 2002 über eine einzuberufende Mitgliederversammlung (nur) mittelbar darauf hinwirken.

In casu scheint zwar der Verein auf den ersten Blick handlungsunfähig zu sein, weil der Ausschluss der Beklagten aus dem Bundesverband - zumindest nach der insofern unbekämpft gebliebenen Beurteilung durch das Erstgericht - zur Folge hatte, dass sie auch im Landesverband keine Vereinsfunktionen mehr ausüben durften. Damit ist davon auszugehen, dass ein handlungsfähiger Vorstand nicht mehr vorhanden war. Den Vereinsstatuten kann aber nicht unterstellt werden, dass für diesen Fall eine subsidiäre Befugnis jedes einzelnen Vereinsmitglieds bestehen sollte, für den Verein zu handeln und (insbesondere) dessen Ansprüche gegen die Beklagten geltend zu machen. Eine solche Lösung wäre bei Vereinen mit hoher Mitgliederzahl völlig unpraktikabel.

Das Leitungsorgan ist auch nach Ablauf der Funktionsperiode oder bei sonstigen Zweifeln an seiner Legitimität befugt, (ausschließlich) zur Durchführung von Neuwahlen eine Mitgliederversammlung. Auch in casu wären die Beklagten daher als (wenngleich vorläufig amtsbehinderte) Vorstandsmitglieder berechtigt und (jedenfalls) bei einem Verlangen nach § 5 Abs 2 VerG 2002 auch verpflichtet gewesen, eine Mitgliederversammlung einzuberufen, um dort die Bestellung eines funktionsfähigen - allenfalls bis zur endgültigen Entscheidung über den Ausschluss bloß geschäftsführenden - Vorstands zu ermöglichen.

Für den Fall einer Weigerung hätte eine ausreichende Zahl von Mitgliedern das Minderheitenrecht nach § 5 Abs 2 VerG 2002 gerichtlich geltend machen können, wobei unter den Voraussetzungen des § 381 EO auch eine einstweilige Verfügung möglich gewesen wäre. Dieses Recht reichte daher grundsätzlich auch in diesem aus, um einen rechtmäßigen Zustand herzustellen.

Bei beharrlichen und schwerwiegenden Verstößen des Leitungsorgans gegen Rechnungslegungspflichten sind Rechnungsprüfer verpflichtet, die Einberufung einer Mitgliederversammlung zu verlangen. Sie können sie auch selbst einberufen. Auch hieraus kann keine Befugnis abgeleitet werden, im eigenen Namen Ansprüche des Vereins gegen Mitglieder des Leitungsorgans geltend zu machen, zumal auch diese Bestimmung den Grundsatz ausdrückt, dass die Konsequenzen aus (behaupteten) Pflichtverletzungen des Leitungsorgans grundsätzlich vom Verein - konkret durch die Mitgliederversammlung - zu ziehen sind.

Die Rechnungsprüfer sind ausschließlich verpflichtet, dem Verein durch Einberufung der Mitgliederversammlung weitere Schritte zu ermöglichen. Dass zwei Klägerinnen nach dem Klagevorbringen auch Rechnungsprüferinnen waren, ändert daher nichts am Nichtbestehen der noch strittigen Ansprüche.

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