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Dokument-ID: 972092

WEKA (ato) | News | 15.12.2017

Niederlassungsfreiheit bei grenzüberschreitender Umwandlung einer Gesellschaft

Art 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass die Niederlassungsfreiheit für die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat gilt.

Geschäftszahl

C-106/16; EuGH; 25. Oktober 2017

Norm

Art 49 und 54 AEUV

Leitsatz

Quintessenz:

Art 49 und 54 AEUV stehen der Regelung eines MS, die die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer nach dem Recht eines MS gegründeten Gesellschaft in einen anderen MS, durch die sie unter Einhaltung der dort geltenden Bestimmungen in eine dem Recht dieses anderen MS unterliegende Gesellschaft umgewandelt werden soll, von der Auflösung der ersten Gesellschaft abhängig macht, entgegen.

EuGH: Im Mittelpunkt der gegenständlichen Entscheidung stand eine beschränkt haftende Gesellschaft mit Sitz in Polen. Am 30.09.2011 fassten ihre Gesellschafter den Beschluss, den Gesellschaftssitz gem Art 270 des polnischen Gesetzbuchs über die Handelsgesellschaften („Kodeks spółek handlowych“) nach Luxemburg zu verlegen. Der Verwaltungssitz der Gesellschaft und der Ort der tatsächlichen Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit sollten unverändert bleiben – das Ziel war, die Gesellschaft unter Wahrung ihrer Rechtspersönlichkeit dem luxemburgischen Recht zu unterstellen. Art 270 KSH schreibt vor:

„Die Gesellschaft wird aufgelöst durch:

2. einen Beschluss der Gesellschafter über die Auflösung der Gesellschaft oder über die Verlegung des Sitzes der Gesellschaft ins Ausland, der durch ein notariell erstelltes Protokoll bestätigt wird;

…“

Am 19.10.2011 beantragte die Gesellschaft beim Registergericht (für die Führung des Handelsregisters zuständiges Gericht) die Eintragung der Eröffnung des Liquidationsverfahrens, die sodann – unter gleichzeitiger Bestellung des Liquidators – vollzogen wurde. Die Verlegung des Gesellschaftssitzes erfolgte schließlich am 28.05.2013, wobei die Gesellschaft gleichzeitig von „Polbud“ in „Consoil Geotechnik“ umfirmiert wurde.

Am 24.06.2017 stellte die Gesellschaft beim Registergericht einen Antrag auf Löschung im polnischen Handelsregister, der mit der Verlegung des Gesellschaftssitzes nach Luxemburg begründet war. Das Registergericht trug ihr auf, den Beschluss der Gesellschafterversammlung, in dem der Verwahrer der Bücher und Unterlagen der aufgelösten Gesellschaft benannt wird, die Finanzberichte für die Zeiträume vom 1. Januar bis 29. September 2011, vom 30. September bis 31. Dezember 2011, vom 1. Januar bis 31. Dezember 2012 und vom 1. Januar bis 28. Mai 2013, unterzeichnet durch den Liquidator und die Person, der die Führung der Rechnungsbücher übertragen worden ist, sowie den Beschluss der Gesellschafterversammlung über die Annahme des Liquidationsberichts, vorzulegen. Die Gesellschaft plädierte darauf, dass die Vorlage der angeführten Unterlagen nicht erforderlich sei, weil sie nicht aufgelöst, ihr Vermögen nicht unter den Gesellschaftern verteilt und der Löschungsantrag wegen der Verlegung des Gesellschaftssitzes nach Luxemburg gestellt worden sei, wo sie als Gesellschaft luxemburgischen Rechts fortbestehe. Das Registergericht wies den Löschungsantrag dennoch – mangels Vorlage der angeforderten Unterlagen – ab.

Die Niederlassungsfreiheit gilt gem Art 49 iVm 54 AEUV für diejenigen Gesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der EU haben. Sie umfasst ua das Recht auf Gründung und Leitung dieser Gesellschaften nach den Bestimmungen des Niederlassungsstaats für seine eigenen Gesellschaften und somit auch den Anspruch einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft auf Umwandlung in eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft, soweit die Voraussetzungen des Rechts des anderen Mitgliedstaats eingehalten werden. Auch muss insbesondere jenes Kriterium erfüllt sein, das in diesem Mitgliedstaat für die Verbundenheit einer Gesellschaft mit seiner nationalen Rechtsordnung erforderlich ist. Polbud als Gesellschaft polnischen Rechts hat somit aufgrund der Niederlassungsfreiheit einen Anspruch auf Umwandlung in eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts, soweit sie die nach luxemburgischem Recht für die Gründung einer Gesellschaft geltenden Voraussetzungen und insbesondere das in Luxemburg erforderliche Kriterium für die Verbundenheit einer Gesellschaft mit der luxemburgischen Rechtsordnung erfüllt.

Der EuGH stellt in seinen Ausführungen klar, dass allein der Umstand, dass die Gesellschaft beschlossen hat, nur ihren satzungsmäßigen Sitz nach Luxemburg zu verlegen und ihr tatsächlicher Sitz von dieser Verlegung unberührt bleibt, nicht dazu führen kann, dass diese Verlegung nicht in den Anwendungsbereich der Art 49 und 54 AEUV fällt. Der Rsp zufolge fällt ein Sachverhalt, bei dem eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet wurde, eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gründen will, unter die Niederlassungsfreiheit, selbst wenn die Gesellschaft im ersten Mitgliedstaat nur errichtet wurde, um sich im zweiten Mitgliedstaat niederzulassen, in dem die Geschäftstätigkeit im Wesentlichen oder ausschließlich ausgeübt werden soll. Das Gleiche gilt für den Fall, dass eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft eine Umwandlung in eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft unter Beachtung des in diesem anderen Mitgliedstaat für die Verbundenheit einer Gesellschaft mit seiner nationalen Rechtsordnung zu erfüllenden Kriteriums vornehmen will, selbst wenn diese Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit im Wesentlichen oder ausschließlich im ersten Mitgliedstaat ausüben soll. Von der Frage der Anwendbarkeit der Art 49 und 54 AEUV ist die Frage zu unterscheiden, ob ein Mitgliedstaat Maßnahmen ergreifen kann, um zu verhindern, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den Vertrag geschaffenen Erleichterungen der Anwendung des nationalen Rechts entziehen – was der ständigen Rsp entspricht. Dass eine Gesellschaft ihren (satzungsmäßigen oder tatsächlichen) Sitz nach dem Recht eines Mitgliedstaats begründet, um in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen, stellt für sich allein noch keinen Missbrauch dar.

Art 49 AEUV sieht die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vor und betrifft dabei alle Maßnahmen, welche die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen. Aus dem IPR-Gesetz und dem polnischen Recht (insbesondere Art 288 § 1 KSH) ergab sich vorliegend, dass eine Gesellschaft polnischen Rechts ihren satzungsmäßigen Sitz zwar grundsätzlich ohne Verlust ihrer Rechtspersönlichkeit von der Republik Polen in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, aber nur unter der Voraussetzung im polnischen Handelsregister gelöscht werden kann, dass zuvor ein Liquidationsverfahren durchgeführt wurde. Von der Liquidation sind hierbei die Beendigung der laufenden Geschäfte, die Beitreibung der Forderungen der Gesellschaft, die Erfüllung der Verbindlichkeiten, die Verflüssigung des Gesellschaftsvermögens, die Befriedigung oder Absicherung der Gläubiger, die Erstellung eines Finanzberichts über die Vornahme dieser Handlungen sowie die Benennung des Verwahrers der Bücher und Unterlagen der Gesellschaft, die abgewickelt wird, erfasst. Angesichts dessen ging der EuGH in casu davon aus, dass die in Rede stehende nationale Regelung geeignet ist, die grenzüberschreitende Umwandlung einer Gesellschaft zu erschweren oder gar zu verhindern und somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt.

Zulässig ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nach stRsp nur dann, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Sie muss außerdem geeignet sein, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und darf nicht darüber hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Das vorlegende Gericht brachte vor, dass die gegenständliche Beschränkung durch das Ziel gerechtfertigt sei, die Gläubiger, Minderheitsgesellschafter und Arbeitnehmer der wegziehenden Gesellschaft zu schützen. Da deren Schutz zu den vom EuGH anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehört, stehen Art 49 und 54 AEUV Maßnahmen eines Mitgliedstaats, mit denen verhindert werden soll, dass die Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter und der Arbeitnehmer einer Gesellschaft, die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats gegründet wurde und dort weiterhin tätig ist, durch die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes dieser Gesellschaft und ihre Umwandlung in eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft übermäßig beeinträchtigt werden, grds nicht entgegen. Eine Regelung, die eine allgemeine Verpflichtung zur Liquidation vorsieht, ohne dabei zu berücksichtigen, ob tatsächlich eine Gefahr für Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter und der Arbeitnehmer besteht, und ohne eine Möglichkeit vorzusehen, weniger einschneidende Maßnahmen zu wählen, durch die diese Interessen ebenso geschützt werden können, geht jedoch über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. So könnten insbesondere die Interessen der Gläubiger zB durch Bankbürgschaften oder andere gleichwertige Garantien angemessen geschützt werden. In Bezug auf das Vorbringen der polnischen Regierung, die die gegenständliche Regelung mit der Bekämpfung missbräuchlicher Verhaltensweisen zu rechtfertigen versucht hat, wies der EuGH auf das bereits Ausgeführte hin und wiederholte, dass es für sich allein keinen Missbrauch darstellt, wenn eine Gesellschaft ihren (satzungsmäßigen oder tatsächlichen) Sitz nach dem Recht eines Mitgliedstaats begründet, um in den Genuss günstigerer Rechtsvorschriften zu kommen. Der bloße Umstand, dass eine Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, kann keine allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung begründen und die Wahrnehmung einer vom Vertrag garantierten Grundfreiheit beeinträchtigende Maßnahme rechtfertigen. Da die allgemeine Pflicht zur Durchführung eines Liquidationsverfahrens einer allgemeinen Missbrauchsvermutung gleichkommt, ist eine Regelung, die eine solche vorsieht, als unverhältnismäßig anzusehen.