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Georg Streit | News | 12.04.2010

Offenlegungspflichten nach UGB: Durch Mitbewerber erzwingbar

Mag. Georg Streit (Kanzlei Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH) befasst sich in diesem Beitrag mit einer Entscheidung des OGH, nach der die Einhaltung der Offenlegungspflicht nach § 277 UGB durch Mitbewerber erzwungen werden kann.

§ 277 UGB verpflichtet gesetzliche Vertreter von Kapitalgesellschaften, den Jahresabschluss und den Lagebericht des Unternehmens spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag beim Firmenbuch einzureichen. Die Geschäftsführer kleinerer GmbHs haben innerhalb dieser Frist die Bilanz und den Anhang beim Firmenbuchgericht einzureichen. Wie ein Blick in das Firmenbuch zeigt, wird diese Verpflichtung nicht immer eingehalten. Wer sich anhand der Jahresabschlüsse und der dazugehörigen, ebenfalls vorzulegenden Unterlagen ein aktuelles Bild über ein Unternehmen machen will, muss sich nicht nur dann und wann mit einem historischen Befund zufrieden geben.

Die Verletzung der Verpflichtung zur Offenlegung nach den §§ 277 ff UGB steht unter der Sanktion der Verhängung von Zwangsstrafen für die nach dem Gesetz zur Einreichung der Unterlagen beim Firmenbuch verpflichteten Organe der Gesellschaft (Vorstand, Geschäftsführer). Diese Zwangsstrafen können bis zu einer Höhe von EUR 3.600,00 verhängt werden, erreichen in der Praxis aber oftmals nur einen Bruchteil dieser Höhe. Das Überschreiten der gesetzlich festgelegten Pflicht zur Offenlegung bei der Verspätung der Fertigstellung des Jahresabschlusses wird offenbar oft als kalkulierbares Risiko hingenommen. Wenn es gar darum geht, der Öffentlichkeit aktuelle wirtschaftliche Daten des Unternehmens vorzuenthalten (sofern ein neun Monate alter Jahresabschluss noch Aktualität besitzt), scheint die Gefahr einer Zwangsstrafe nach § 283 UGB ebenfalls keine ausreichende Abschreckung zu sein. Doch die Zwangsstrafen sind nicht die einzige Sanktion.

Der Anlassfall

Eine Gesellschaft, die in Oberösterreich ein Einkaufszentrum betreibt, war an den wirtschaftlichen Daten ihrer Konkurrentin interessiert, wurde im Firmenbuch aber nicht fündig. Die Konkurrentin legte die Jahresabschlüsse zum 31.12.2005 und 31.12.2006 erst am 18.9. bzw 24.12.2007 dem Firmenbuchgericht vor. Grund dafür waren, wie sich im Verfahren herausstellte, nicht die Verspätung bei der Erstellung der Jahresabschlüsse, sondern vielmehr laufende Gespräche über die Übernahme des Unternehmens. Dieses fürchtete Störungen dieser Übernahmeverhandlungen durch ihre Konkurrentin und rechtfertigte damit die Unterlassung der Offenlegung ihrer Jahresabschlüsse innerhalb der gesetzlichen Frist. Die Konkurrentin wollte dies nicht hinnehmen und sich auch nicht auf die Wirkung einer möglichen Zwangsstrafe durch das Firmenbuchgericht gegen die Geschäftsführer der Mitbewerberin verlassen, sie suchte nach einer anderen Rechtsgrundlage, die Offenlegung der Bilanzen ihrer Konkurrentin zu erzwingen.

Fündig wurde sie im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), konkret in dessen § 1 Abs 1 Z 1, und machte die Unterlassung der Verletzung der Offenlegungs-pflicht nach den §§ 277 ff UGB als unlautere Handlung geltend.

Die Klage war unmittelbar gegen die Konkurrentin gerichtet, was diese angesichts des Gesetzeswortlauts der §§ 277 ff UGB zu dem Einwand veranlasste, die Offenlegungspflicht treffe nur die Geschäftsführer eines Unternehmens. Darüber hinaus sei ein Verstoß gegen die Offenlegungspflicht bereits durch das Zwangsstrafenregime im UGB hinreichend abgesichert, sodass für einen Unterlassungsanspruch nach dem UWG kein Raum mehr bliebe. Schließlich brachte die Beklagte auch noch vor, dass die Unterlassung der Offenlegung bzw die Verspätung der Einreichung des Jahresabschlusses zum Firmenbuch nicht geeignet sei, den Wettbewerb einer Konkurrentin „nicht nur unerheblich zu beeinflussen“, wie es § 1 Z 1 UWG fordert. In formaler Hinsicht wandte die Beklagte ein, dass Unterlassungsansprüche nach dem UWG keine Verpflichtung zu einem Handeln begründen könnten, wie es die Klägerin in Wahrheit forderte.

Die Entscheidung

Erst in zweiter Instanz bekam die Klägerin Recht, die Rechtssache landete aber aufgrund ihrer Bedeutung und wegen fehlender Vorjudikatur vor dem Obersten Gerichtshof. Dieser setzte sich sehr ausführlich mit den Argumenten der Parteien auseinander. Zunächst legte der OGH dar, dass die Offenlegungspflicht nicht nur die Organe einer Gesellschaft trifft, das Verhalten der Organe ist der Gesellschaft zuzurechnen. Zur Begründung führte er die Publizitäts-RL (RL 68/151/EWG) und Art 44 Abs lit g EG ins Treffen, die ihrem Wortlaut nach die Gesellschaften selbst verpflichten. Wenn, wie die Vorjudikatur des OGH ausführte, die Gesellschaft berechtigt ist, gegen ihre Organe er-gangene Strafbeschlüsse mit Rekurs zu bekämpfen, ist ein Unterlassungsanspruch wegen Verletzung der Offenlegungspflicht auch mit gutem Grund gegen die Gesellschaft zu richten.

Die Offenlegungspflicht des Jahresabschlusses dient, wie der OGH ausführt, insbesondere der Information Dritter über die finanzielle Situation eines Unternehmens. Die §§ 277 ff UGB schützen also das Interesse insbesondere von Mitbewerbern, denen der Zugang zu sonst in der Regel nicht bekannten Informationen über die finanzielle Lage einer Gesellschaft ermöglicht werden soll. Selbstverständlich, so der OGH, kann die Verweigerung dieser Offenlegung Auswirkungen auf die wettbewerbliche Situation eines Unternehmens haben. Sowohl Kunden und Lieferanten als auch Mitbewerber können ihr Verhalten nach der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens ausrichten, was wegen Verletzung der Offenlegungspflicht nicht mehr möglich sei. Nur „aufgrund konkreter Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise“ sei eine Konstellation denkbar, in der die Verletzung der Offenlegungspflicht nicht den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern spürbar beeinflussen könne. Der Gegenbeweis ist also möglich. Nicht zum Gegenbeweis war allerdings das Vorbringen geeignet, die Klägerin hätte bei Kenntnis der wirtschaftlichen Lage der Beklagten deren Verhandlungen mit einem potentiellen Geschäftspartner stören können. Damit wurde die potentielle Wettbewerbsbeeinflussung geradezu betont.

Da die Publizitäts-RL geeignete Maßnahmen für den Fall der Verletzung der Offenlegungspflicht anordnet, muss die Sanktion der Verletzung dieser Verpflichtung nicht auf die amtswegig zu verhängenden Zwangsstrafen beschränkt bleiben. Da die Publizitäts-RL keine derartige Beschränkung kennt, spricht nichts dagegen, dass auch Mitbewerber mit Hilfe der Gerichte die Einhaltung dieser Verpflichtung auf dem Klagsweg durchsetzen können. Auch hier stützte sich der OGH auf das Gemeinschaftsrecht und ent-sprechende Judikatur des EuGH.

Mit dieser Entscheidung bekräftigte der OGH auch seine Rechtsprechung zu quasi-negatorischen Ansprüchen nach dem UWG. Der klägerische Anspruch war auf die Unterlassung der Verletzung von Offenlegungspflichten gerichtet, de facto also auf ein aktives Tun, was im Regelfall aus dem UWG nicht abgeleitet werden kann. Wenn der Wettbewerb allerdings dadurch beeinträchtigt wird, dass ein Mitbewerber ein ihm gesetzlich gebotenes Verhalten unterlässt, kann der OGH keinen Grund erkennen, nicht im Ergebnis einen auf aktives Handeln gerichteten Anspruch anzuerkennen, weil es im Ergebnis gleich bleibt, ob ein lauterkeitsrechtswidriger Zustand durch unlauteres Tun oder durch unlauteres Handeln herbeigeführt wurde. In den Konstellationen wie der Gegenständlichen besteht auch nach dem UWG ein Anspruch auf Abwendung eines durch (zukünftige) Untätigkeit verursachten wettbewerbswidrigen Zustandes.

Nach dieser Entscheidung ist nicht notwendigerweise eine Klagsflut zur Erzwingung der Offenlegung von Firmenbuchunterlagen zu erwarten, muss doch die Eignung der Rechtsverletzung zum möglichen Schaden des Mitbewerbers gegeben sein und ist der Gegenbeweis zulässig. Diese Judikatur weist aber den Weg in die Richtung, dass die gesetzlichen Ordnungsvorschriften des Rechnungslegungsrechts auch durch Konkurrenten erzwungen werden können. Zur Vorsicht bei der Einhaltung der wesentlichen gesetzlichen Publizitätsvorschriften ist daher jedem Geschäftsführer und Vorstandsmitgliedern zu raten. Im schlimmsten Fall droht nämlich nicht nur eine verhältnismäßig geringe Zwangsstrafe des Firmenbuchgerichts, sondern auch ein Schadenersatzanspruch der Gesellschaft in Höhe der Verfahrenskosten aufgrund des verlorenen Prozesses.

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Autor

Mag. Georg Streit ist seit 2000 Rechtsanwalt und seit 2001 Partner bei Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Immaterialgüterrecht, Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht, Rundfunkrecht und Vergaberecht. Weiters ist er Lektor an den Universitäten Wien und Salzburg, Vortragender bei Seminaren und Lehrgängen.

Für WEKA ist er Herausgeber des Newsletters für Gesellschaftsrecht Online sowie für das Werk „Personengesellschaften in Fallbeispielen“.

www.h-i-p.at

(12.04.2010)