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WEKA (ato) | News | 14.12.2016

Prokuristen als in der Geschäftsführung tätige Personen iSd § 68 Abs 1 Z 1 und 4 BVergG 2006

Gemäß § 2 Abs 1 VbVG stellen Prokuristen Entscheidungsträger iSd VbVG dar – von ihnen begangene Straftaten werden der juristischen Person unmittelbar zugerechnet (§ 3 Abs 2 VbVG). Dies hat auch im Falle des § 68 Abs 1 BVergG 2006 zu gelten.

Geschäftszahl

VwGH 12. September 2016, Ra 2015/04/0081

Norm

§ 68 Abs 1, 72 BVergG 2006; §§ 2 Abs 1, 3 Abs 1 und 2 VbVG

Leitsatz

Quintessenz:

Angesichts der Zielsetzung der Zuverlässigkeitsprüfung können für die Auslegung des § 68 Abs 1 Z 1 und Z 4 BVergG 2006 die Regelungen des VbVG herangezogen werden. Gemäß § 2 Abs 1 VbVG stellen Prokuristen Entscheidungsträger iSd VbVG dar – von ihnen begangene Straftaten werden der juristischen Person unmittelbar zugerechnet (§ 3 Abs 2 VbVG). Dies hat auch im Falle des § 68 Abs 1 BVergG 2006 zu gelten.

VwGH: Den VwGH beschäftigte in casu ua die Frage, ob Prokuristen als in der Geschäftsführung tätige Personen iSd § 68 Abs 1 Z 1 und 4 BVergG 2006 anzusehen sind.

Ausschreibungsbestimmungen sind zufolge der Rsp des VwGH nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt auszulegen. Enthaltene Festlegungen sind im Zweifel gesetzeskonform, das heißt in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen zu lesen.

Im Anlassfall wurde im Rahmen des Vergabeverfahrens die Vorlage einer Strafregisterbescheinigung oder einer gleichwertigen Bescheinigung „sämtlicher Geschäftsführer und sonstiger in der Geschäftsführung tätigen natürlichen Personen, aus der jeweils hervorgeht, dass die berufliche Zuverlässigkeit des Unternehmers oder im Falle einer juristischen Person seiner Geschäftsführung, nicht infrage gestellt ist und keine Ausschlussgründe gem § 68 Abs 1 Z 1 BVergG vorliegen“ gefordert. Im Hinblick auf das Gebot der im Zweifel gesetzeskonformen Auslegung war diese Festlegung – auch wenn ihre Formulierung geringfügig von jener der zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmung des § 68 Abs 1 Z 1 und Z 4 BVergG 2006 abweicht – vor dem Hintergrund dieser Gesetzesbestimmungen auszulegen.

Hierbei ist auf Art 45 der Richtlinie 2004/18/EG bezüglich der persönlichen Lage – Zuverlässigkeit – der Bewerber und Bieter hinzuweisen. Gemäß Abs 1 letzter Satz betreffen die Ersuchen um Informationen nach Maßgabe des nationalen Rechts „gegebenenfalls auch die jeweiligen Unternehmensleiter oder jede andere Person, die befugt ist, den Bewerber oder Bieter zu vertreten, in seinem Namen Entscheidungen zu treffen oder ihn zu kontrollieren“. Aus diesem Grund kann der Kreis der (bei der Prüfung der Zuverlässigkeit einer juristischen Person als maßgeblich anzusehenden) natürlichen Personen in richtlinienkonformer Weise weit gezogen werden.

Dass der Auftraggeber bei Prüfung der Zuverlässigkeit der an einem Verfahren teilnehmenden Unternehmer – wie von der revisionswerbenden Partei vorgebracht – eine Einzelfallprüfung dahingehend vorzunehmen hat, welche natürlichen Personen (von ihrer Position unabhängig) faktisch Einfluss auf die Geschäftsführung der juristischen Person haben, sehen weder die hierbei einschlägigen Bestimmungen (§§ 68 Abs 1, 72 BVergG 2006) noch das BVergG 2006 allgemein vor. Die Pflicht, derartige Erhebungen vorzunehmen, würde den Auftraggebern einen Ermittlungsaufwand überbürden, der in einem Spannungsverhältnis zur effizienten Abwicklung von Vergabeverfahren stünde. Folglich geht der VwGH davon aus, dass bei der Auslegung des Begriffes der „in der Geschäftsführung tätigen physischen Personen“ eine typisierende Betrachtungsweise vorzunehmen ist, die sowohl Auftraggebern als auch Unternehmern Sicherheit über den erfassten Personenkreis zu bieten vermag.

Die Zuverlässigkeitsprüfung zielt darauf ab, festzustellen, ob ein Unternehmer seinen Verpflichtungen nachgekommen ist und demnach eine sorgfältige und einwandfreie Auftragsausführung entsprechend den rechtlichen Normen verspricht. Der Auftraggeber soll davor geschützt werden, ein Vertragsverhältnis mit einem Unternehmer einzugehen, der aufgrund bestimmter Umstände keine Gewähr dafür bietet, die bei einer Leistungserbringung zu beachtenden rechtlichen Vorgaben einzuhalten. Angesichts dieser Zielsetzung können für die Auslegung des § 68 Abs 1 Z 1 und Z 4 BVergG 2006 die Regelungen des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes – VbVG herangezogen werden.

Das VbVG unterscheidet bezüglich der Verantwortung eines Verbandes zwischen Straftaten von Entscheidungsträgern und Straftaten von Mitarbeitern. Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist ein Verband dann verantwortlich, wenn dieser die Tat in Ausübung seiner Funktion rechtswidrig und schuldhaft begangen hat – das Fehlverhalten der Entscheidungsträger trifft den Verband somit unmittelbar (§ 3 Abs 2 VbVG). Im Falle von durch Mitarbeiter begangenen Straftaten bedarf es für die Zurechnung hingegen weiterer Voraussetzungen, so ua, dass ein Entscheidungsträger die Tatbegehung des Mitarbeiters durch das Außerachtlassen der gebotenen Sorgfalt ermöglicht oder wesentlich erleichtert hat (§ 3 Abs 3 VbVG).

Prokuristen stellen nach der Definition des § 2 Abs 1 VbVG Entscheidungsträger iSd VbVG dar – von ihnen begangene Straftaten werden der juristischen Person somit unmittelbar zugerechnet. Dies hat auch im Rahmen des § 68 Abs 1 BVergG 2006 zu gelten. Seine Formulierung („in der Geschäftsführung tätig“) ist weit gefasst und ermöglicht ihrem Wortlaut nach eine Einbeziehung von nicht dem Organ der Geschäftsführung angehörenden Personen. Auch im Hinblick auf die Zielsetzung der Zuverlässigkeitsprüfung ist es nicht zu beanstanden, wenn Personen, die zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Unternehmens mit sich bringt, ermächtigt sind und die somit auch gegenüber dem Auftraggeber für die juristische Person auftreten bzw handeln können, in den Kreis derjenigen Personen einbezogen werden, deren Fehlverhalten zu einem Ausschluss der juristischen Person führt.

Des Weiteren gilt, dass die Erteilung der Prokura im Firmenbuch einzutragen ist, womit der Kreis der in der Geschäftsführung tätigen physischen Personen für Auftraggeber erkennbar und für Unternehmer klar abgegrenzt ist. Die Rechtsordnung sieht Prokuristen außerdem auch in anderem Zusammenhang als in der Geschäftsführung tätige Personen an – gemäß § 67 Abs 6 Z 3 ASVG haftet der Betriebsnachfolger unter bestimmten weiteren Voraussetzungen für Beitragsschulden, wenn der Betrieb auf eine Person „mit wesentlichem Einfluss auf die Geschäftsführung“ des Betriebsvorgängers (so zB einen Prokurist) übergeht.

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