© WEKA Business Solutions GmbH
A-1200 Wien, Dresdner Straße 45
E-Mail: kundenservice@weka.at

Dokument-ID: 1028550

Eva-Maria Hintringer | News | 19.06.2019

Unzulässigkeit von „Geschlechterklauseln“ in Gesellschaftsverträgen

Die Wertungen des GlBG können bei der Beurteilung von gesellschaftsrechtlichen Regeln für die Konkretisierung des § 879 Abs 1 ABGB herangezogen werden. Nachfolgebestimmungen, die ein Geschlecht diskriminieren, sind sittenwidrig.

Geschäftszahl

OGH 24.01.2019, 6 Ob 55/18h

Norm

§ 879 ABGB; Art 7 Abs 1 B-VG; § 4 Z 3 GlBG

Leitsatz

Quintessenz:

Das GlBG verbietet Diskriminierungen in der Arbeitswelt, wobei auch selbstständig Erwerbstätige geschützt sind. Die Wertungen des GlBG können bei der Beurteilung von gesellschaftsrechtlichen Regeln für die Konkretisierung des § 879 Abs 1 ABGB herangezogen werden. Gesellschaftsvertragliche Nachfolgebestimmungen, die ein Geschlecht diskriminieren, entsprechen nicht mehr dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und sind daher sittenwidrig.

OGH: Im Anlassfall sah der Gesellschaftsvertrag einer KG aus dem Jahr 1963 Nachfolgeklauseln vor, die Frauen gegenüber Männern diskriminierten. Personengesellschaften genießen bei der Gestaltung des Innenverhältnisses grundsätzlich eine sehr weitgehende Vertragsfreiheit. Einschränkungen erfolgen neben zwingendem Recht durch § 879 Abs 1 ABGB.

Die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter ist verfassungsrechtlich verankert (Art 2 StGG; Art 7 Abs 1 B-VG; Art 14 EMRK). Aufgrund der mittelbaren Wirkung der gegen den Staat gerichteten Grundrechte auf das Verhältnis Privater zueinander sind die Wertungen der Grundrechte auch bei der Beurteilung gesellschaftsvertraglicher Regelungen mittels der Generalklausel des § 879 Abs 1 ABGB zu berücksichtigen.

Auf einfachgesetzlicher Ebene hat das GlBG die Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt zum Ziel, wobei nach § 1 Abs 1 Z 4 und § 4 Z 3 GlBG Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ausdrücklich auch bei der Gründung, Einrichtung oder Erweiterung eines Unternehmens bzw der Aufnahme oder Ausweitung einer selbstständigen Tätigkeit verboten sind. Die Wertungen des GlBG können für die Konkretisierung des § 879 Abs 1 ABGB herangezogen werden, auch wenn die Gesellschaft das Unternehmen betreibt und die Gesellschafter selbst nicht Unternehmer iSd UGB sind. Jedenfalls bei einer Gesellschaftsbeteiligung, die auf die Führung des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens unter eigener persönlich unbeschränkter Haftung ausgerichtet ist, ist wertungsmäßig von einer selbstständigen Tätigkeit iSd GlBG auszugehen.

Bei der Prüfung der Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, in casu 1963, abzustellen. Aufgrund des damals noch im ABGB normierten patriarchalischen Familienmodells kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Geschlechterklauseln damals schon sittenwidrig waren.

Eine zunächst gleichheitskonforme Regelung kann allerdings durch eine Änderung der „maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse“ gleichheitswidrig werden. Die Maßstäbe der Beurteilung des Inhalts eines Rechtsgeschäfts als sittenwidrig unterliegen einem Wandel in der Zeit. In der Folge kann das Beharren auf Erfüllung eines ursprünglich nicht sittenwidrigen Vertrags sittenwidrig sein.

Die den Wertungen des Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG und des § 4 Z 3 GlBG widersprechenden nach dem Geschlecht differenzierenden Klauseln des Gesellschaftsvertrags sind nach heutiger Rechtslage sittenwidrig im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB. Sie entsprechen nicht mehr dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wie aus Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG und § 4 Z 3 GlBG hervorgeht. Bei der gebotenen Abwägung zwischen der Privatautonomie der Gesellschafter bei der Gestaltung der Nachfolge und dem Verbot der Diskriminierung nach dem Geschlecht ist die Wertung des GlBG ausschlaggebend.