19.12.2022 | Arbeitssicherheit & Brandschutz | ID: 1128358

§ 12a ARG: Ausnahme zur Wochenend- und Feiertagsruhe – Segen oder Fluch?

Johann Schöffthaler

Gastautor Johann Schöffthaler, BA MA, erläutert die Problematik der Ausnahmebestimmung § 12a ARG „Ausnahme durch Kollektivvertrag“ betreffend die Wochenend- und Feiertagsruhe. Welche Voraussetzungen sollten Kollektivverträge erfüllen?

Grundsätzliche Regelungen gemäß der Arbeitszeit-Richtlinie

  • Laut Art 3 Arbeitszeit-Richtlinie (AZ-RL) der Europäischen Union muss die tägliche Ruhezeit der ArbeitnehmerInnen pro 24-Stunden-Zeitraum 11 zusammenhängende Stunden betragen.
  • Gemäß Artikel 5 AZ-RL über die wöchentliche Ruhezeit ist pro Siebentageszeitraum eine Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der 11 Stunden des Art 3 zu gewähren.
  • Ruhepausen sind bei einer täglichen Arbeitszeit von über sechs Stunden zu gewähren.
  • Artikel 6 AZ-RL legt eine grundsätzliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden inklusive Überstunden fest.
  • Art 6 lit a AZ-RL stellt den Mitgliedstaaten frei, die Bestimmung mittels Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Vereinbarungen der Sozialpartner umzusetzen.

Regelungen des Arbeitsruhegesetzes

§ 3 Abs 1 Arbeitsruhegesetz (ARG) sieht bezüglich der wöchentlichen Ruhezeit vor, dass ArbeitnehmerInnen in jeder Kalenderwoche eine ununterbrochene Ruhezeit von 36 Stunden, in die der Sonntag zu fallen hat, zusteht. Die hier festgelegte Wochenendruhe muss nach Abs 2 grundsätzlich spätestens am Samstag um 13 Uhr beginnen. Hierbei handelt es sich um ein Mindestausmaß, längeren Ruhezeiten steht nichts entgegen.

Wird ein/e ArbeitnehmerIn jedoch „nach der für ihn geltenden Arbeitszeiteinteilung während der Zeit der Wochenendruhe beschäftigt“, hat er/sie gemäß § 4 ARG in jeder Kalenderwoche anstelle der Wochenendruhe Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von 36 Stunden (Wochenruhe). Die Wochenruhe hat einen ganzen Wochentag einzuschließen. Primär ist stets Wochenendruhe zu gewähren, der Gesetzgeber erkennt damit die traditionell besondere Stellung des Sonntags im Gesellschaftsleben an. Eine Ausnahme, wie eine Gewährung der Wochenruhe, kommt nur bei Vorliegen eines gesetzlichen Ausnahmetatbestands in Betracht. Die Anlage der auf Basis von § 12 Abs 1 ARG erlassenen Arbeitsruhegesetz-Verordnung (ARG-VO) listet Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe für bestimmte Tätigkeiten auf.

Hinweis:

Zu beachten ist, dass die Zahl der während der Wochenendruhe „beschäftigten Arbeitnehmer auf das unbedingt notwendige Ausmaß zu beschränken“ ist.

Ausnahmen durch Kollektivvertrag gem § 12a ARG

Gemäß der AZ-RL lässt der Gesetzgeber in Österreich mit der Einführung des § 12a ARG Ausnahmen durch Kollektivvertrag zu, welcher lautet:

§ 12a. (1) Der Kollektivvertrag kann weitere Ausnahmen von der Wochenend- und Feiertagsruhe zulassen, wenn dies zur Verhinderung eines wirtschaftlichen Nachteils sowie zur Sicherung der Beschäftigung erforderlich ist.

(2) Soweit dies nach der Art der Tätigkeit zweckmäßig ist, hat der Kollektivvertrag die nach Abs 1 zulässigen Arbeiten einzeln anzuführen und das für die Durchführung notwendige Zeitausmaß festzulegen.

Wie so oft liegt der Teufel im Detail: Gesetzestexte werden interpretiert nach Wortsinn, Schutzziel und historischer Bedeutung. Der kleine Teufel in § 12a ARG ist das Wort „sowie“. Dieses Wort bzw dessen Bedeutung wird in verschiedenen Wörterbüchern, Duden, etc., folgend erklärt:

so·wie

/sowié/

Konjunktion

  1. und [außerdem], und auch, wie auch "er sowie seine Frau war/waren da"
  2. in dem Augenblick, da "er wird es dir geben, sowie er damit fertig ist"

Synonyme

1) und, wie auch

2) in dem Moment als, sobald als

Anwendungsbeispiele

1) Im Gepäck waren Zelte, Schlafsäcke sowie Proviant.

Somit ist „sowie“ im Kontext des § 12a ARG vergleichbar bzw gleich zu verstehen von der Bedeutung mit dem Wort „und“.

Voraussetzungen für Kollektivverträge

Deshalb ist es eine Voraussetzung für Kollektivverträge, welche diese Regelung gemäß § 12a ARG in Anspruch nehmen möchten, dass folgende Sachverhalte klar definiert werden:

  1. die Verhinderung eines wirtschaftlichen Nachteils
     Der drohende wirtschaftliche Nachteil besteht zB im Verlust eines wichtigen Kunden, in einer drohenden Pönale-Zahlung, im Verlust eines wichtigen Folgeauftrages, etc.
  2. zur Sicherung der Beschäftigung erforderlich
     Dieser Nachweis muss nachvollziehbar sein.
  3. die zulässigen Arbeiten sind einzeln anzuführen und das für die Durchführung notwendige Zeitausmaß ist festzulegen
     Die benötigten ArbeitnehmerInnen verrichten überwiegend genau definierte Tätigkeiten (Beschreibung der Art der Tätigkeit), Benötigtes zeitliches Ausmaß der Sonn- bzw Feiertagsarbeit und Anzahl der benötigten ArbeiterInnen zB pro Schicht.

Erklärung des Gesetzgebers für die Ausnahmeregelung des § 12a ARG

Die Regierungsvorlage beschreibt die Situation, wie es zu diesem § 12a ARG gekommen ist folgendermaßen:

Abseits ideologischer Polemiken ist diese Abänderung von der Sorge der unterzeichneten Abgeordneten darum getragen, daß es aufgrund der wenig eingrenzenden Formulierung des §12a Abs 1 ARG zu einem leichtfertigen und branchenübergreifenden Abgehen von der kulturell verwurzelten Sieben - Tage - Woche unter dem Vorwand des wirtschaftlichen Nachteils kommen könnte. Die in unserer Gesellschaft verankerte Sonntagsruhe ist jedoch als ein wichtiges Element

unserer Kultur mit einem breiten Konsens in der Bevölkerung zu betrachten. Überdies erfüllt ein gemeinsamer (kollektiver) Ruhetag in der Woche besonders auch für Familien und Partnerschaften eine wichtige Funktion. Dessen ungeachtet kann der arbeitsfreie Sonntag nicht als quasi dogmatische

Bestimmung eingefordert werden; immerhin erwarten sich auch die stärksten BefürworterInnen der Sonntagsruhe eine rund um die Uhr funktionierende Betreuung gerade in wichtigen Dienstleistungsbetrieben wie Spitälern, Medien, Telekommunikation oder Verkehrsbetrieben, aber auch in Freizeit, Gastgewerbe und Tourismus.

Insbesondere im Handel werden beträchtliche Teile des Jahresumsatzes in der Vorweihnachtszeit getätigt. Um den Handel in die Lage zu versetzen, dem Nachfrageverhalten flexibel zu begegnen, soll eine Beschäftigung an den vier Adventsonntagen ermöglicht werden. Diese Bestimmung korrespondiert mit der Aufhebung des Ladenöffnungszeitengesetzes im Artikel VI dieses Bundesgesetzes. Die bisherige Regelung des § 13a (Sonderregelung für den 8. Dezember) wird nach

diesem Bundesgesetz unnötig, da die ebenfalls enthaltene Änderung des Feiertagsruhegesetzes eine generelle Aufhebung der Arbeitsfreistellung für den 15. August (Maria Himmelfahrt) und den 8. Dezember (Maria Empfängnis) vorsieht.

In Österreich sind im internationalen Vergleich zu viele Feiertage arbeitsfrei. Das wirkt lohn(neben)kostenerhöhend und somit für die österreichische Volkswirtschaft und das Ziel der Wohlstandssicherung negativ. Aus diesem Grund wird durch die gegenständliche Änderung des Feiertagsruhegesetzes vorgeschlagen, auf die Beschäftigungsfreistellung an zwei Feiertagen zu verzichten. So erscheint insbesondere der 8. Dezember (Maria Empfängnis) als Arbeitstag sinnvoll, da ja schon bisher durch die Sonderregelung des § 13a Arbeitsruhegesetz die Beschäftigung von ArbeitnehmerInnen möglich war. Aber auch der Verzicht auf die Beschäftigungsfreistellung am 15. August (Maria Himmelfahrt) erscheint aus Sicht aller Beteiligten vertretbar, da dieser sowieso in die Haupturlaubszeit fällt. Daß diesbezügliche Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl Erfolg zeitigen können, beweist das Beispiel Peter und Paul, im Konkordat noch als Feiertag vorgesehen,

und doch nicht arbeitsfrei. (sic!)

(Siehe dazu 679/A XX.GP, Antrag der Abgeordneten Helmut Peter, Volker Kier, Partnerinnen und Partner betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz 1969 (BGBl 19691461) in der geltenden Fassung (idgF), Arbeitsverfassungsgesetz 1974 (BGBl 1974/22) idgF, das Arbeitsruhegesetz 1983 (BGBl 1983/144) idgF, das Feiertagsruhegesetz 1957 (BGBl 1957/153) idgF und das Urlaubsgesetz 1976 (BGBl 1976/390) idgF geändert und das Öffnungszeitengesetz 1991 (BGBl 1992/50) idgF sowie das Sonn - und Feiertags - Betriebszeitengesetz 1984 (BGBl 1984/129) idgF aufgehoben werden (Wirtschaftsflexibilisierungsgesetz 1998)).

Fazit

Erkennbar sind die Bedenken, dass die Vertragspartner bei den Verhandlungen der Kollektivverträge die drei Kriterien für die Rechtmäßigkeit einer § 12a ARG-Vereinbarung nicht so genau nehmen werden. Für einen Vergleich, wie genau diese drei Sachverhalte zu nehmen sind, gibt es Beispiele in der Judikatur, wie zB die Auslegung des § 13a ARG welcher eine Sonderregelung für den 8. Dezember ist:

Judikatur zu § 13a ARG (OGH vom 27.07.2017, 4 Ob 53/17y)

Die Ausnahmebestimmung des § 13a ARG ist eng auszulegen. Im Fall eines Mischbetriebs erlaubt sie die Beschäftigung von Arbeitnehmern nur für Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Kleinverkauf, sodass der Unternehmer am 8.12. geeignete Maßnahmen zur Hintanhaltung des Großhandels zu treffen hat.

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