23.06.2025 | Bau & Immobilien | ID: 1200718

Prüf- und Warnpflichten auf der Baustelle

Ayo-Victor Hübl

Die Prüf- und Warnpflichten sind ein zentrales Thema in der Baupraxis, das oft unterschätzt wird. Was müssen Auftragnehmer und Auftraggeber dazu wissen?

„Augen zu und durch“ gilt auf der Baustelle nicht. Wer als Unternehmer einen Werkvertrag übernimmt, hat nicht nur die Pflicht zur fachgerechten Ausführung, sondern auch zur kritischen Prüfung der Grundlagen und Beistellungen des Auftraggebers (AG). Das österreichische Zivilrecht kennt hierfür die Prüf- und Warnpflichten – ein zentrales Thema in der Baupraxis, das oft unterschätzt wird, aber weitreichende Folgen hat.

Prüf- und Warnpflicht: Rechtsgrundlage und Bedeutung

Die Prüf- und Warnpflichten ergeben sich aus § 1168a Satz 3 ABGB. Sie gelten sowohl im allgemeinen Werkvertragsrecht als auch im Rahmen des Bauvertragsrechts.

Ziel ist es, Kooperationspflichten zwischen Werkbesteller (AG) und Werkunternehmer (AN) zu etablieren, um Mängel und Schäden frühzeitig zu vermeiden.

Was muss der AN prüfen?

Der AN muss prüfen, ob:

  • Die Vorgaben des AG, insbesondere Pläne und Anordnungen ausführbar und fachlich korrekt sind.
  • Die örtlichen Gegebenheiten, die beigestellten Materialien und Vorleistungen Dritter eine Ausführung wie geplant überhaupt zulassen.
  • Die gewünschte technische Umsetzung mit den allgemein anerkannten Regeln der Technik vereinbar ist.

Die Prüfpflicht besteht nur im Rahmen des Zumutbaren – der Unternehmer muss keine umfassenden Gutachten einholen. Offensichtliche („erkennbare“) Mängel oder Risiken dürfen aber nicht ignoriert werden. Zumutbar ist alles, was ein Unternehmer im Rahmen seiner branchenspezifischen Fachkenntnisse erkennen kann.

Die Warnpflicht: Rechtzeitig und deutlich!

Wenn der AN Bedenken hat und er erkennt, dass die Beistellungen und Vorgaben („Stoff“ und „Anweisungen“) des AG dem Gelingen des Werks entgegenstehen, muss er:

  • Unverzüglich (also ohne schuldhafte Verzögerung) den AG darüber informieren
  • Die Bedenken klar und deutlich mitteilen – allgemein gehaltene Hinweise („ich verweise auf die Prüf- und Warnpflicht“) genügen nicht
  • Die möglichen negativen Auswirkungen einer weiteren Ausführung darlegen
  • Alternativen aufzeigen
  • Gegebenenfalls die Ausführung bis zur Klärung stoppen, wenn ein erheblicher Mangel bzw das Scheitern des Werks droht

Achtung:

Kommt der AN dieser Pflicht nicht nach, kann er seinen Anspruch auf Werklohn verlieren und sogar haften, wenn dem AG daraus ein Schaden entsteht. 

Achtung:

Der AN ist von seinen gewährleistungsrechtlichen Pflichten befreit, wenn der AG trotz Warnung des AN die unveränderte Ausführung des Werks verlangt. 

Was sagt die Judikatur? – Ein Blick auf die OGH-Rechtsprechung

  • OGH 04.07.2023, 5 Ob 26/23v: Ein Ingenieurunternehmen und ein Bauunternehmen haften der AG teils anteilig, teils solidarisch für die Sanierungskosten, weil sie mit einer fehlerhaften Dammgeometrie gearbeitet haben, ohne den für sie erkennbaren Fehler zu melden.
  • OGH 19.02.2020, 7 Ob 191/19t: Durch die unterlassene vorvertragliche Warnung vor der erkennbaren Untauglichkeit des aus der Seitenentnahmestelle vorgesehenen Materials verletzte die Klägerin ihre Warnpflicht und verlor damit ihren Anspruch auf zusätzliches Entgelt.

Praktische Handlungsempfehlungen für AN

  • Frühzeitig und gründlich prüfen – auch bei Zeitdruck
  • Warnungen stets schriftlich dokumentieren und negative Auswirkungen darlegen
  • Mögliche Alternativen aufzeigen
  • Im Zweifel: Auftrag ruhen lassen, bis schriftliche Freigabe durch den Besteller erfolgt

Praktische Handlungsempfehlungen für AG

  • Auf fundierte Hinweise achten und ernst nehmen
  • Ggf. eigene Fachleute einbinden, um strittige Punkte zu klären
  • Dokumentation aller Kommunikation aufbewahren

Fazit: Sorgfalt schützt

Die Prüf- und Warnpflichten sind ein zentrales Instrument zur Risikominimierung – für beide Seiten. Wer prüft, bevor er baut, ist rechtlich auf der sicheren Seite. Und wer warnt, wenn es kritisch wird, kann Haftungsfallen vermeiden.

Ähnliche Beiträge

  • „Störung der Leistungserbringung“ nach ÖNORM B 2110 führt nicht automatisch zur Vertragsanpassung

    Zum Beitrag
  • Sicherheit auf Baustellen – Rechtliche Vorgaben und Baustelleneinrichtung

    Zum Beitrag
  • Bauvertrag – Wichtige Fakten im Überblick

    Zum Beitrag

Produkt-Empfehlungen

Seminar-Empfehlungen

Produkt-Empfehlungen

Seminar-Empfehlungen