01.04.2021 | Bau & Immobilien | ID: 1086880

Probleme im Zusammenhang mit Ausschreibungen

Karin Zahiragic

Rechtsexpertin Dr. Karin Zahiragic gibt praktische Tipps, wie Sie vorgehen können, wenn Ausschreibungsunterlagen unklar oder unvollständig sind oder von elektro- und normentechnischen Standards abweichen.

Die Ausschreibung ist nach § 2 Z 7 BVergG 2018 die Erklärung des öffentlichen Auftraggebers an eine bestimmte oder unbestimmte Zahl von Unternehmern, in der er festlegt, welche Leistung zu welchen Bedingungen er erhalten will. Die Ausschreibung umfasst sowohl die Bekanntmachung als auch die Ausschreibungs- oder Wettbewerbsunterlagen.

In der Praxis kommt es häufig vor, dass die Ausschreibungsunterlagen unklar und unvollständig abgefasst sind oder dass sie von den normentechnischen Standards abweichen. Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich eingehend mit der Frage, wie man in diesem Fall vorzugehen hat.

Ausschreibungsunterlagen

Die Voraussetzungen für die Teilnahme an einem Vergabeverfahren, sind im Voraus eindeutig festzulegen und öffentlich bekannt zu geben, Bewerber und Bieter sollen genau erkennen können, welche Bedingungen sie im Vergabeverfahren zu beachten haben, und damit sie die Gewissheit haben können, dass für alle Wettbewerber die gleichen Bedingungen gelten.

Aufgrund des § 88 BVergG 2018 sind die Ausschreibungsunterlagen vom Auftraggeber so auszuarbeiten, dass die Preise ohne Übernahme nicht kalkulierbarer Risiken und ohne unverhältnismäßige Ausarbeitungen von den Bietern ermittelt werden können und die Vergleichbarkeit der Angebote sichergestellt ist.

Grundsätzlich sind unklare oder unvollständige Ausschreibungsbestimmungen nach § 914 ABGB nach dem objektiven Erklärungswert auszulegen. Zuerst ist vom Wortlaut auszugehen. Dabei ist die Absicht der Parteien zu erforschen und sind die Ausschreibungsbestimmungen so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Im Zweifel sind die Ausschreibungsbestimmungen gesetzeskonform und in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen zu lesen. Eine undeutliche Äußerung kann nach § 915 ABGB jedenfalls zum Nachteil desjenigen gereichen, der sich derselben bedient, was zur Folge hat, dass sie zu Lasten des Auftraggebers geht.

Die in der Ausschreibung festgelegten Bestimmungen entfalten Bindungswirkung. Dies bedeutet, dass sowohl der Auftraggeber als auch der Bieter an die Ausschreibungsunterlagen gebunden sind. Somit entfalten auch unzweckmäßige oder rechtswidrige Ausschreibungsbestimmungen Rechtsverbindlichkeit.

Leistungsbeschreibung

Die Leistungsbeschreibung bezweckt, das beste Angebot, das aufgrund der Ausschreibung einlangt, auszuwählen.

In der Praxis gibt es zwei Arten von Leistungsbeschreibungen. Der Auftraggeber kann eine von ihnen auswählen:

  • konstruktive Leistungsbeschreibung oder
  • funktionale Leistungsbeschreibung.

Bei einer konstruktiven Leistungsbeschreibung sind die Leistungen so eindeutig, vollständig und neutral zu beschreiben, dass die Vergleichbarkeit der Angebote gewährleistet ist. Eine konstruktive Leistungsbeschreibung hat technische Spezifikationen zu enthalten und ist erforderlichenfalls durch Pläne, Zeichnungen, Modelle, Proben, Muster und dergleichen zu ergänzen.

Bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung haben die technischen Spezifikationen das Leistungsziel so hinreichend genau und neutral zu beschreiben, dass alle für die Erstellung des Angebots maßgebenden Bedingungen und Umstände erkennbar sind. Aus der Leistungsbeschreibung müssen sowohl der Zweck der fertigen Leistung als auch die an der Leistung gestellten Anforderungen in technischer, wirtschaftlicher, gestalterischer und funktionsbedingter Hinsicht soweit erkennbar sein, dass die Vergleichbarkeit der Angebote im Hinblick auf die vom Auftraggeber vorgegebenen Leistungs- oder Funktionsanforderungen gewährleistet ist.

Umgang mit unklaren Leistungsbeschreibungen bzw Abweichungen von den elektrotechnischen Standards 

Sofern sich im Zuge des Vergabeverfahrens herausstellt, dass in der Ausschreibung unklare oder unvollständige Leistungsbeschreibungen enthalten sind, so ist während der Frist für das Einlangen der Angebote, der so genannten,,Angebotsfrist“, eine Berichtigung der Ausschreibungsunterlagen möglich. Die Berichtigung ist nicht nur auf die Anwendungsfälle des § 62 Abs 4 AVG (Schreib- oder Rechenfehler oder Unrichtigkeiten) beschränkt, sondern erfasst auch die vom Auftraggeber übersehenen oder vergessenen Bestimmungen in den Ausschreibungsbestimmungen, unter der Voraussetzung, dass diese nicht zu einer inhaltlichen Änderung der Ausschreibung führen.

Eine Berichtigung der Ausschreibung ist nur insoweit zulässig, als es dadurch nicht zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung kommt.

Ist die Berichtigung der Ausschreibung unzulässig, weil es dadurch zu einer inhaltlich wesentlich anderen Ausschreibung kommt, wäre die Ausschreibung wegen Vorliegens zwingender Gründe gemäß § 148 ff BVergG zu widerrufen.

Das sachlich nicht gerechtfertigte Unterlassen der Reihung oder Gewichtung von Zuschlagskriterien und die daraus resultierende Unmöglichkeit einer objektiven nachvollziehbaren Bestbieterermittlung stellen einen zwingenden Grund dar, der den Auftraggeber zum Widerruf der Ausschreibung verpflichtet.

Auch rechtliche Gründe, die auf einen Fehler des Auftraggebers beruhen, wie beispielsweise in den Ausschreibungsunterlagen vorgesehene rechtswidrige Bedingungen, die den Auftraggeber erst nachträglich bekannt werden, verpflichten ihm zum Widerruf.

Fazit

Bei unklaren oder missverständlichen Formulierungen oder bei unvollständigen Angaben in den Ausschreibungsbestimmungen empfiehlt es sich, mittels Bieteranfrage beim Auftraggeber um Aufklärung anzusuchen, weil eine Durchsetzung der unklaren und missverständlichen Formulierungen erst im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens beim Bundesverwaltungsgericht möglich ist.

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