05.04.2022 | Arbeitsrecht | ID: 1112802

Abfertigung Neu – wichtige Rechtsfragen

WEKA (red)

Dieser Beitrag beantwortet wichtige Rechtsfragen zur Abfertigung Neu: Von der Höhe der Beiträge, bis hin zum Übertritt aus dem Abfertigungssystem Alt ins Abfertigungssystem Neu.

Geltungsbereich

Das betriebliche Mitarbeiter- und Selbstständigenvorsorgegesetz (BMSVG), besser bekannt unter der Bezeichnung „Abfertigung Neu“, ist seit 01.07.2002 in Kraft. Das Wesensmerkmal der Abfertigung neu ist, dass sie jedem gebührt und unabhängig von der Art der Beendigung des Dienstverhältnisses, im Unterschied zur bisherigen Abfertigungsregelung, nicht verloren geht.

Die Regelungen des BMSVG gelten für

  • echte Dienstverhältnisse – Arbeiter und Angestellte (auch Saisonbeschäftigte)
  • freie Dienstverhältnisse iSd § 4 Abs 4 ASVG
  • geringfügige echte und freie Beschäftigungsverhältnisse
  • Lehrlinge
  • Präsenz- und Zivildiener
  • Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften sowie
  • Selbständige, die einer Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem GSVG unterliegen.

Freiberuflich Selbständige (insb nach dem FSVG Versicherte und Rechtsanwälte, Ziviltechniker etc) sowie Land- und Forstwirte sind grundsätzlich nicht vom Anwendungsbereich des BMSVG erfasst.

Beitragspflicht

Der Arbeitgeber hat für Arbeitsverhältnisse, die dem BMSVG unterliegen, verpflichtend einen laufenden Beitrag an eine ausgewählte Mitarbeitervorsorgekasse zu leisten. Die Einhebung der Beiträge erfolgt über die jeweils zuständige Krankenkasse und ist gemeinsam mit den anderen gesetzlichen SV-Beiträgen abzuführen (also bis 15. des Folgemonats). Die Krankenkasse hat die Beiträge bis spätestens 20. des Folgemonats an die entsprechende Mitarbeitervorsorgekasse weiterzuleiten. Für den Arbeitgeber besteht die Wahlmöglichkeit, die BV-Beiträge für geringfügig beschäftigte Dienstnehmer entweder monatlich oder jährlich an die Gebietskrankenkasse zu überweisen. Wird die jährliche Zahlungsweise der Beiträge gewählt, ist zusätzlich noch ein Zuschlag von 2,5 % – auf Basis der BV-Beiträge – zu leisten.

Die Beiträge sind zu leisten, solange ein Entgelt aus dem Arbeitsverhältnis zusteht (inkl etwaiger Urlaubsentschädigungen etc). Grundsätzlich sind für entgeltfreie Zeiträume keine Beiträge an die Mitarbeitervorsorgekasse zu leisten. Hier gibt es jedoch drei Ausnahmen. Der Arbeitgeber hat ebenfalls Beiträge zu leisten für Zeiten während eines Präsenz- bzw Zivildienstes, Wochengeld- bzw Krankengeldbezuges.

Die Beitragspflicht nach dem BSMVG berührt den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers in keiner Weise. Ein Umstieg auf das System der Abfertigung neu darf daher nicht zum Anlass genommen werden, dass der Arbeitgeber einseitig das Entgelt um 1,53 % reduziert. Korrekterweise erfolgt die Beitragsleistung aus dem eigenen Vermögen des Arbeitgebers, der sich dafür im Vergleich zum Altrecht die Bildung einer Abfertigungsrückstellung spart.

Rückforderung von irrtümlich geleisteter BV-Beiträge

Entrichtet ein Dienstgeber zu Unrecht BV-Beiträge für einen Dienstnehmer, welcher der „Abfertigung Alt“ unterliegt, so kann er diese Beiträge nicht vom Dienstnehmer zurückfordern (OGH 29.07.2015, 9 ObA 65/15x).

Rückforderung einer zu viel ausbezahlten Abfertigung Neu

Bei einer nach § 17 Abs 1 Z 1 BMSVG ausbezahlten Abfertigung kommt im Falle einer nachträglichen Korrektur des Beitragsgrundlagennachweises durch den Arbeitgeber eine Rückforderung des zu viel ausbezahlten Betrags trotz vereinbarter Vorbehaltsklausel nach § 107 ASVG nicht in Betracht, wenn sie vom Empfänger gutgläubig verbraucht wurde. Bei einem relativ geringen Betrag liegt die Verwendung für den normalen Lebensaufwand nahe (9 ObA 120/12f).

Fehlende Redlichkeit des Empfängers ist vom Arbeitgeber nachzuweisen. Fehlende Redlichkeit liegt zB nicht vor, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Vorbehaltsklausel mit dem Antrag auf Auszahlung der Abfertigung Neu zwei Monate zuwartet, um dem Arbeitgeber Zeit für die Überprüfung des Abfertigungsanspruchs zu geben (vgl 8 ObA 18/17f).

Die Umstände, die einen Dienstnehmer bei objektiver Betrachtung zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines vom Dienstgeber erhaltenen Betrags veranlassen müssen, können vielfältig sein:

  • Doppelzahlung innerhalb weniger Tage (vgl 4 Ob 108/81, 8 ObA 289/01k
  • Den gesetzlichen Anspruch weit übersteigender Betrag (9 ObA 32/88)
  • Erkennbar rechtsgrundlose Zahlung (8 ObA 176/02v)

Höhe der Beiträge

Die Beiträge belaufen sich auf 1,53 % des monatlichen Entgelts iSd § 49 ASVG. Die Bemessungsgrundlage ist unabhängig von der Geringfügigkeitsgrenze bzw der Höchstbeitragsgrundlage. Es gibt weder einen Mindest- noch Höchstbeitrag. Für die bereits erwähnte Beitragspflicht in entgeltfreien Zeiträumen kommen fiktive Bemessungsgrundlagen zur Anwendung. Bei Bezug von Kinderbetreuungsgeld und bei Inanspruchnahme einer Familienhospizkarenz ist die Bemessungsgrundlage das Kinderbetreuungsgeld. Für die Dauer einer Bildungskarenz nach § 11 AVRAG beläut sich der Beitrag auf 1,53 % des vom Arbeitnehmer in dieser Zeit bezogenen Weiterbildungsgeldes.

Während des Wochengeldbezuges hat der Arbeitgeber den Beitrag in Höhe von 1,53 % jenes Entgelts einschließlich anteiliger Sonderzahlungen zu leisten, welches in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft gebührt hat.

Selbständige haben die in der gesetzlichen Pflichtversicherung in der Krankenversicherung geltende Beitragsgrundlage heranzuziehen (§ 52 Abs 3 BMSVG).

Die Beitragspflicht für den Arbeitgeber beginnt mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses, wobei der erste Monat beitragsfrei ist.

Übertritt ins System Abfertigung Neu

Für bereits bestehende Arbeitsverhältnisse zum 01.01.2003 gelten grundsätzlich die bisherigen Abfertigungsbestimmungen weiter. Ein Wechsel ins neue Abfertigungssystem zu einem bestimmten zu vereinbarenden Stichtag ist durch Teilübertritt (= Einfriervariante) oder Vollübertritt möglich. Für den Wechsel ins neue Abfertigungssystem ist eine schriftliche Einzelvereinbarung zwingend erforderlich. Im Kollektivvertrag bzw der Betriebsvereinbarung können lediglich die Rahmenbedingungen des Übertritts geregelt werden. Schriftliche Übertrittsvereinbarungen, die bereits zu einem vor dem 01.01.2003 liegenden Zeitpunkt abgeschlossen wurden, sind zulässig und wirksam, sofern der Beginn der Geltung des Übertritts frühestens mit dem Tag des Inkrafttretens des BMSVG (01.01.2003) festgelegt wurde (OGH 27.5.2008, 8 ObA 31/08d).

Da § 47 Abs 5 BMSVG mit 31.12.2012 abgeschafft wurde, besteht weiterhin die Möglichkeit eines Wechsels zwischen den Abfertigungssystemen „alt“ und „neu“, wenn es eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt. Dabei bestehen zwei Möglichkeiten des Übertrittes:

  • Teilübertritt und
  • Vollübertritt.

Teilübertritt

Bei einem Teilübertritt werden alle Abfertigungsanwartschaften, die der Arbeitnehmer im Abfertigungssystem Alt erworben hat, eingefroren. Das bedeutet, dass alle Dienstzeiten, die der Arbeitnehmer bisher (also bis zum Übertragungsstichtag) erworben hat, bestehen bleiben und daher weiterhin dem bisherigen (alten) Abfertigungssystem unterliegen. Ab dem Übertragungsstichtag können keine weiteren Dienstzeiten erworben werden, sondern der Arbeitgeber hat für diesen Mitarbeiter ab dem Zeitpunkt des Übertrittes monatliche Beiträge in die MV-Kasse zu leisten. Für einen solchen Teilübertritt ist keine zeitliche Beschränkung vorgesehen.

Vollübertritt

Hier vereinbaren Arbeitnehmer und Arbeitgeber, dass auf Grundlage der bisher erworbenen Dienstzeiten im alten Abfertigungssystem ein sog Übertragungsbetrag an eine MV-Kasse einbezahlt wird. Dieser Übertragungsbetrag ist quasi eine Abschlagszahlung für die bisher erworbenen Abfertigungsmonate. Für einen Vollübertritt gilt die zehnjährige Übergangsfrist, somit ist ein Vollübertritt nur bis zum Ende des Kalenderjahres 2012 zulässig. Diese Übergangsfrist (§ 47 Abs 5 BMSVG) wurde jedoch abgeschafft. Daher ist es auch nach dem 31.12.2012 ein Vollübertritt möglich.

Gesetzliche Voraussetzungen

Für einen Vollübertritt gibt es einige gesetzliche Voraussetzungen:

  • Einzelvereinbarung: Zunächst muss es eine zwingende schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geben, die vor allem den Übertragungsbetrag beinhalten muss, den der Dienstgeber leistet. Dieser Übertragungsbetrag darf niedriger sein als die am Übertragungsstichtag bereits erworbenen gesetzlichen Abfertigungsanwartschaften.
  • Überweisung: der Übertragungsbetrag muss binnen längstens fünf Jahren an die MV-Kasse überwiesen werden. Zudem muss der vereinbarte Übertragungsbetrag jährlich mit mindestens einem Fünftel überwiesen werden, dazu kommen noch Rechnungszinsen von 6 % pro Jahr des noch aushaftenden Übertragungsbetrages. Vorzeitige Überweisungen sind natürlich zulässig. Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss der vereinbarte Übertragungsbetrag natürlich vorzeitig und zur Gänze überwiesen werden. Dies gilt nicht, wenn das Dienstverhältnis wegen Arbeitnehmerkündigung, verschuldeter Entlassung oder einem unberechtigten vorzeitigen Austritt endet.

Höhe des Übertragungsbetrages

Die Höhe des Übertragungsbetrages muss in einer schriftlichen Einzelvereinbarung bestimmt sein. Dieser Betrag kann von den gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Bestimmungen über die Abfertigung abweichen. Dabei muss nicht der volle, am Übertrittstichtag bestehende fiktive Abfertigungsanspruch übertragen werden, nachdem für den Arbeitnehmer das Risiko des Verlustes der Abfertigungsanwartschaften für den Fall der Selbstkündigung, einer verschuldeten Entlassung oder einem unberechtigten vorzeitigen Austritt ja wegfällt. Dieser Abschlag darf aber nicht ungebührlich hoch sein, da in diesem Fall das Risiko bestehen würde, dass die Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit angefochten wird. Eine diesbezügliche Rechtsprechung liegt derzeit aber noch nicht vor, auch eine einhellige Rechtsauffassung in der Literatur fehlt. Vor einem Übertragungsbetrag, der unter 50 % bzw 60 % der vollen Abfertigung liegt, wird in der Literatur aber abgeraten. In der Literatur wird zumindest die Ansicht vertreten, dass einem beweglichen System bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Übertragungsvereinbarung der Vorzug vor einer mehr oder weniger starren Grenze zu geben ist, da dadurch auf die Besonderheiten des Einzelfalles eingegangen werden kann, was bei einer starren Grenze für die Sittenwidrigkeit nicht der Fall ist. Jedenfalls bestehen nach oben hin für den Übertragungsbetrag keine Grenzen.

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