10.04.2025 | Arbeitsrecht | ID: 1196753

Betriebsvereinbarungen – Chancen und Tücken

Johann Schöffthaler

Gastautor Johann Schöffthaler, BA MA, erläutert anhand eines praktischen Beispiels, welche Chancen, aber auch Probleme, eine Betriebsvereinbarung mit sich bringen kann, vor allem wenn sich die Rahmenbedingungen verändern.

Betriebsvereinbarungen sind Verträge mit rechtlichen Bindungen. Eine Betriebsvereinbarung ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber:innen und dem Betriebsrat eines Unternehmens. Sie regelt betriebliche Angelegenheiten, die für die Arbeitnehmer:innen wichtig sind, wie Arbeitszeiten, Telearbeits-Regelungen oder Urlaubsrichtlinien.

Betriebsvereinbarung: Vorteile

Die Vorteile einer Betriebsvereinbarung für beide Seiten (Arbeitgeber:innen wie Arbeitnehmer:innen), sind zB:

  • Es ist ein Vertrag zwischen Arbeitgeber:in und Betriebsrat:rätin, somit braucht es seitens der Arbeitgeber:in keine individuelle Absprachen mit einzelnen Arbeitnehmer:innen.
  • Der Vertrag ist rechtlich bindend, gilt für alle betroffenen Arbeitnehmer:innen und muss eingehalten werden.
  • Man kann mit diesem Vertag betriebliche Themen regeln, wie zB Arbeitszeiten, Prämien, Datenschutz oder mobile Arbeit.
  • Der Vertrag ergänzt gesetzliche Regelungen. Der Vertrag darf keine schlechteren Bedingungen festlegen als im Gesetz oder Kollektivvertrag stehen.

Betriebsvereinbarung: Mögliche Tücken

Die Probleme mit Betriebsvereinbarungen kommen leider erst im Laufe der Jahre, wenn sich betriebliche Bedingungen oder die gesetzlichen Grundlagen ändern.

Beispiele

Klassische Beispiele sind:

  • die Verschiebung der Normalarbeitszeit bei Schichtarbeit oder
  • die Zulässigkeit von Arbeitszeiten von 12 Stunden pro Tag und 60 Stunden in der Woche bei hohem Arbeitsbedarf sowie pauschalierte Arbeitszeitblöcke für zB Umzieh- und Wegzeiten.

Ältere Betriebsvereinbarungen noch rechtskonform?

Bei der Kontrolltätigkeit durch die Arbeitsinspektion fällt auf, dass solche Betriebsvereinbarungen, insbesondere ältere Betriebsvereinbarungen, viele Fragen aufwerfen, ob die rechtskonforme Zulässigkeit gegeben ist bzw aufgrund der geänderten Bedingungen als sittenwidriger Vertrag anzusehen sind und somit der Rechtsgültigkeit eingebüßt werden.

Diese Betriebsvereinbarungen werden meist in gutem Glauben abgeschlossen, um zB bei Schichtarbeit oder in personalintensiven Firmen eine verbesserte Situation für den Sommerurlaub zu gestalten, so dass mehrere Arbeitnehmer:innen gleichzeitig diesen Urlaub konsumieren können.

Problem: Geänderte Bedingungen seit Abschluss der BV

Wenn sich die Situation bzw die Bedingungen bei Vertragsabschluss mittlerweile geändert haben, wie zB der Personalstand ist gleichgeblieben, die zu bearbeitenden Aufgaben haben eine signifikante Steigerung erfahren oder umgekehrt aufgrund der wirtschaftlichen Lage hat sich der Personalstand wesentlich verringert, kann sich die Anwendung dieser Betriebsvereinbarungen sehr steigern.

Was früher nur in den Sommermonaten angewendet wurde, kommt jetzt ständig zum Einsatz, denn wer entscheidet über hohen Arbeitsbedarf wie zB bei Krankenständen, ob dieser nun vorliegt. Diese Entscheidung wird von der betroffenen Firma getroffen.

Die Situation wird dann noch schwieriger, wenn die Verfasser:innen dieser Betriebsvereinbarungen nicht mehr zur Verfügung stehen für eine Interpretation derselben.

Auslegung von Verträgen bzw Betriebsvereinbarungen

Für eine Interpretation von Verträgen ist das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) heranzuziehen:

„Auslegungsregeln bey Verträgen.

§ 914. Bei Auslegung von Verträgen ist nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht.

§ 915. Bey einseitig verbindlichen Verträgen wird im Zweifel angenommen, daß sich der Verpflichtete eher die geringere als die schwerere Last auflegen wollte; bey zweyseitig verbindlichen wird eine undeutliche Aeußerung zum Nachtheile desjenigen erkläret, der sich derselben bedienet hat (§. 869).

§ 916. (1)Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber mit dessen Einverständnis zum Schein abgegeben wird, ist nichtig. Soll dadurch ein anderes Geschäft verborgen werden, so ist dieses nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen.
(2)Einem Dritten, der im Vertrauen auf die Erklärung Rechte erworben hat, kann die Einrede des Scheingeschäftes nicht entgegengesetzt werden.“ (sic!)

Wichtiges VwGH-Erkenntnis zu Betriebsvereinbarung hinsichtlich Überstunden (12-Stunden-Tag)

Für diese Problematik gilt als praktisches und ausjudiziertes Beispiel folgendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshof vom 14.11.2018, (Geschäftszahl Ra 2017/11/0263):

Hier ist am 18. März 1991 eine am 1. April 1991 in Kraft getretene Betriebsvereinbarung betreffend Überstunden zur Ermöglichung des Schichtwechsels abgeschlossen worden, um eine Verlängerung der Normalarbeitszeit bei Vorliegen eines höheren Arbeitsbedarfes zu ermöglichen. Interessant in diesem Fall ist, dass es sich hier um einen Schichtbetrieb handelte, wonach gem § 4a Abs 3 Z 2 Arbeitszeitgesetz (AZG), dass „bei durchlaufender mehrschichtiger Arbeitsweise mit Schichtwechsel“ die tägliche Normalarbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden ausgedehnt werden kann, „wenn dies mit einem Schichtwechsel in Verbindung steht.

Schichtwechsel ist nach einhelliger Meinung in der Lehre die im Schichtplan vorgesehene Veränderung der Lage der Arbeitszeit (zB von der Nachtschicht in die Frühschicht) für einen (oder mehrere) Arbeitnehmer:innen). Der Arbeiterbetriebsrat hat vereinbart, „daß in jenen Fällen, in denen ausnahmsweise zur Ermöglichung des Schichtwechsels von der Nachtschicht auf die Frühschicht im Durchfahrbetrieb die Tages-Normalarbeitszeit von 8 Stunden überschritten wird, die anfallenden Überstunden mit 100 % Zuschlag bezahlt werden.“

Weiters ist in dieser Betriebsvereinbarung ausgeführt: „Diese Regelung kommt nur dann zur Anwendung, wenn keine andere Möglichkeit besteht, den Schichtwechsel sicherzustellen. Die Zustimmung des Betriebsrates zu obigen Überstunden und anderen, die zur Ermöglichung des Schichtwechsels erbracht werden, ist im Voraus gegeben. Diese Regelung tritt mit 1.4.1991 in Kraft.“

Im gegenständlichen Fall wendete die Firma diese Betriebsvereinbarung an um aufgrund einer Krankheitswelle 16 Arbeitnehmer:innen dementsprechend zu beschäftigen.

Die rechtliche Folgerung des Verwaltungsgerichts lautete daraufhin:

„die Betriebsvereinbarung sei jedenfalls so zu interpretieren (...), dass beide Vertragsparteien die Leistung aller notwendigen Überstunden im gesetzlichen Rahmen ermöglichen wollten". „Teleologisch betrachtet“ beziehe sich die Betriebsvereinbarung insbesondere nicht ausschließlich auf die Fälle eines Schichtwechsels von der Nachtschicht auf die Frühschicht und sei "die gesetzlich erlaubte tägliche Arbeitszeit von bis zu 12 Stunden (...) somit eingehalten".“ (sic!)

Zusammenfassung des VwGH zur Betriebsvereinbarung

Dieser Auffassung ist der Verwaltungsgerichtshof nicht gefolgt, insbesondere unter anderem mit den folgenden zusammengefassten und gekürzten Begründungen:

  • Die Betriebsvereinbarung wurde 1991 abgeschlossen, hatte dadurch keine Bezugnahme auf den damals in dieser Form noch nicht bestehenden § 7 Abs 4 leg. cit AZG (zum damaligen Zeitpunkt hatte Abs 4 noch einen gänzlich anderen Inhalt), sondern betrifft (lediglich) die Bezahlung (den Zuschlag) von (bei) Überstunden, die zur Ermöglichung eines Schichtwechsels geleistet werden.
  • Da die genannte Betriebsvereinbarung mehrere Jahre vor der Einführung des (damals von Grund auf neugefassten) § 7 Abs 4 AZG durch die Novelle BGBl I Nr 46/1997 abgeschlossen wurde, muss gefolgert werden, dass sie nicht als Betriebsvereinbarung im Sinne der genannten Bestimmung angesehen werden kann, weil sie sich nach dem Willen der sie Abschließenden auf letztere noch gar nicht beziehen konnte.
  • Vor allem aber bezieht sich die Vereinbarung ausschließlich auf die Leistung bzw Abgeltung von Überstunden, die –ausschließlich – zur Ermöglichung eines Schichtwechsels erforderlich sind. In diesem Zusammenhang darüber hinaus fehlt die geforderte Konkretisierung des Zeitraums, auf welchen sich die Vereinbarung beziehen muss, weil eine Erlaubnis auf „Vorrat“ unzulässig und unwirksam bzw die Betriebsvereinbarung grundsätzlich im konkreten Anlassfall abzuschließen sei, braucht bei diesem Ergebnis nicht mehr eingegangen zu werden.
  • Wie die Revision zutreffend vorbringt, waren die der mitbeteiligten Partei angelasteten zwölfstündigen Tagesarbeitszeiten der genannten Mitarbeiter:innen demnach nicht durch die vorgelegte Betriebsvereinbarung „gedeckt“. Das Verwaltungsgericht hat insoweit die Rechtslage verkannt.
  • Im Revisionsfall fehlt es bereits an konkreten Feststellungen, aus denen abgeleitet werden könnte, dass die als außergewöhnlicher Umstand geltend gemachte Grippewelle im Februar 2016 über in dieser Jahreszeit jedenfalls nicht unübliche Grippewellen hinausgegangen ist. Weder Beginn noch Dauer der Grippewelle sind festgestellt, außerdem fehlen Feststellungen zu den Krankenständen an den Tattagen. Dass es eine unvorhergesehene und ungewöhnlich hohe Anzahl von Krankenstandstagen gegeben hat, lässt ohne nähere Angaben eine Beurteilung, dass gerade an den Tattagen die in § 20 Abs 1 AZG genannten außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Umstände vorlagen, nicht zu. Ebenso wenig kann aufgrund der getroffenen Feststellungen beurteilt werden, weshalb in den in Rede stehenden 16 Fällen gerade durch die Heranziehung der betroffenen Arbeitnehmer:innen über die gesetzliche Arbeitszeit hinaus der ins Treffen geführte drohende wirtschaftliche Schaden abgewendet werden konnte.

Fazit: Tipps für die Praxis

Als Hilfe für vertragsabschließende Parteien von Betriebsvereinbarungen wird angeraten immer anzugeben, welche Intention und welches Schutzziel zu diesem Vertrag geführt hat:

  • Ist der Vertrag rechtlich zulässig?
  • Was ist der Grund bzw die Absicht?
  •  Warum will/braucht man diesen Vertrag?
  •  Wie ist derzeitige Situation, dass so ein Vertrag notwendig ist?

So können künftige Missverständnisse und/oder Missbrauch mit rechtlichen Folgen am besten vorgebeugt werden.

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