Führungskräfte machen oft Überstunden – Was nun?
In der Regel machen mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer:innen in Österreich regelmäßig Überstunden. In leitenden Positionen werden am häufigsten Überstunden geleistet.
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber im Normalfall die geleisteten Überstunden zu vergüten oder durch Freizeit auszugleichen. Wenn nicht, bedarf es des Abschlusses einer vertraglichen Vereinbarung.
Führungskräfte – Wer fällt unter diesem Begriff im Sinne des Arbeitszeitgesetz (AZG) bzw Arbeitsruhegesetz (ARG)?
Die Bezeichnung ,,Führungskraft“ wird im Sprachgebrauch häufig als Synonym für ,,Leitender Angestellter“ verwendet. Die Abgrenzung dieser Begriffe ist nicht ganz einfach.
Sowohl im Arbeitszeitgesetz (§ 1 Abs 2 Z 8 AZG) als auch im gleichlautenden Arbeitsruhegesetz (§ 1 Abs 2 Z 5 ARG) sind bestimmte Arbeitnehmer:innen von der Anwendung dieses Gesetzes ausgenommen.
Dort heißt es: Ausgenommen vom Geltungsbereich des AZR bzw ARG sind,,Leitende Angestellte oder sonstige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen maßgebliche selbstständige Entscheidungsbefugnis übertragen ist und deren gesamte Arbeitszeit aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit
- nicht gemessen oder im Voraus festgelegt wird, oder
- von diesen Arbeitnehmerinnen bzw Arbeitnehmern hinsichtlich Lage und Dauer selbst festgelegt werden kann.“
Daraus ergibt sich, dass der Begriff,,Führungskraft“ weder im Arbeitszeitgesetz (AZG) noch im Arbeitsruhegesetz (ARG) mit keinem einzigen Wort ausdrücklich Erwähnung findet. Es kann daher gesagt werden, dass mit der Bezeichnung,,Führungskräfte“ im Arbeitszeitgesetz (AZG) als auch im Arbeitsruhegesetz (ARG) sowohl leitende Angestellte als auch Arbeitnehmer:innen, denen maßgebliche Entscheidungsbefugnis zukommt, gemeint sein müssen.
Voraussetzungen für den Ausnahmetatbestand
Es müssen somit zwei Voraussetzungen vorliegen, damit der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 2 Z 8 AZG bzw § 1 Abs 2 Z 5 ARG erfüllt ist.
- Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin muss entweder leitender Angestellter oder sonstiger Dienstnehmer mit maßgeblicher selbstständiger Entscheidungsbefugnis sein.
- Aufgrund der besonderen Merkmale der Tätigkeit wird die gesamte Arbeitszeit nicht gemessen oder im Voraus festgelegt bzw dem Arbeitnehmer bzw der Arbeitnehmerin steht es frei, die Arbeitszeit bezüglich der Lage und Dauer selbst festzulegen.
Unter dem Begriff ,,Entscheidungsbefugnis“ versteht man die Fähigkeit, arbeitsrelevante Entscheidungen zu treffen. Damit auch das Kriterium der Selbständigkeit gegeben ist, ist es erforderlich, dass diese Entscheidungen allein getroffen werden. Das Kriterium der ,,Maßgeblichkeit“ liegt dann vor, wenn es sich um eine wesentliche Entscheidung handelt oder diese von entscheidender Bedeutung ist und für den jeweiligen Arbeitgeber erhebliche Auswirkungen hat.
Es genügt nicht, dass bloß Routineentscheidungen getroffen werden. Es reicht aber aus, dass die Entscheidungen über den eigenen Arbeitsbereich hinausgehen und den gesamten Betrieb oder wesentliche Teile des Betriebes betroffen sind. Auch müssen die Leitungsbefugnisse tatsächlich gelebt werden.
Bedeutung der Zeitsouveränität
In Bezugnahme auf die Zeitsouveränität ist von einer Gesamtbetrachtung auszugehen. Arbeitnehmer:innen müssen in der Lage sein, über den Beginn, das Ende, die Dauer, die Lage und die Unterbrechungen der Arbeitszeit selbstständig zu entscheiden. Es wird daher verlangt, dass die Zeitautonomie während der gesamten Arbeitszeit besteht. Es reicht nicht aus, wenn Arbeitnehmer:innen die Arbeitszeit bloß überwiegend frei einteilen können.
Die Arbeitszeitautonomie ist jedenfalls dann nicht mehr gegeben, wenn durch das Weisungsrecht des Arbeitgebers in die freie Zeiteinteilungsmöglichkeit stark oder regelmäßig eingegriffen werden kann.
Rechtsprechung zu leitenden Funktionen trotz Weisungsbindung
Nach gefestigter Rechtsprechung (RIS-Judikatur RS005128) liegt der Tatbestand des Arbeitnehmers bzw der Arbeitnehmerin in leitenden Funktionen auch dann vor, wenn er/sie an die Weisungen der Geschäftsleitung gebunden war, weil es eine völlige Entscheidungsfreiheit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gar nicht geben kann. Somit liegt der Begriff des leitenden Angestellten auch dann vor, wenn er an die Weisungen der Geschäftsführung gebunden ist (OGH 15.09.1988, 8 Ob 619/87). Die Weisungen dürfen aber nicht so weit gehen, dass damit praktisch die Entscheidungsbefugnis auf das bei sonstigen Arbeitnehmern übliche Ausmaß eingeschränkt wird.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Einteilung in ,,Leitende Angestellte“, in ,,Arbeitnehmer, denen maßgebliche Entscheidungsbefugnis zukommt“ oder in ,,nicht leitende Angestellte“ äußerst schwierig ist. Die Voraussetzungen, die für das Vorliegen des leitenden Angestelltenbegriffs im Sinne des § 1 Abs 2 Z 8 Arbeitszeitgesetz (AZG) und des § 1 Abs 2 Z 5 Arbeitsruhegesetz (ARG) vorliegen müssen, sind sehr weit gefasst.
Welche Besonderheiten bestehen nach dem Arbeitszeitgesetz (AZG) bzw Arbeitsruhegesetz (ARG)?
Wenn bestimmte Positionen als leitende Funktionen im Sinne des § 1 Abs 2 Z 8 Arbeitszeitgesetz (AZG) bzw § 1 Abs 2 Z 5 Arbeitsruhegesetz (ARG) eingestuft werden, zieht dies erleichterte Folgen nach sich.
Erwähnenswert sind die Erleichterungen im Hinblick auf die Verwaltungsübertretungen, weil Überschreitungen der Höchstarbeitszeit, Unterschreitungen der Mindestruhezeiten, die Nichteinhaltung von Arbeitspausen, die Nichtführung von Arbeitsaufzeichnungen, sowie die Nichteinhaltung der Ersatzruhezeiten und andere Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz (AZG) und Arbeitsruhegesetz (ARG) nicht mehr strafbar sind.
Empfehlung zur Arbeitszeitaufzeichnung auch für Führungskräfte
Trotz dieser Tatsache ist die Führung von Arbeitszeitaufzeichnungen auch für Arbeitnehmer:innen in leitenden Positionen empfehlenswert. Da Kollektivverträge in den meisten Fällen auch auf diese Personengruppe Anwendung finden, ist eine Überprüfung von Überstunden und der Reisezeiten zum Zwecke des Lohn- und Sozialdumpings erforderlich. Jedoch kann eine Überprüfung nur dann erfolgen, wenn Arbeitszeitaufzeichnungen geführt werden.
Stellt sich im Nachhinein heraus, dass beispielsweise ein Arbeitnehmertrotz Einstufung kein leitender Angestellter ist, muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass er sowohl von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) als auch von den Verwaltungsbehörden belangt werden kann.
Es empfiehlt sich daher als Arbeitgeber, die Ausnahmebestimmungen des § 1 Abs 2 Z 8 AZG und des gleichlautenden § 1 Abs 2 Z 5 ARG sorgfältig einer Prüfung zu unterziehen. Beim Arbeitszeitgesetz (AZG) und Arbeitsruhegesetz (ARG) handelt es sich um Arbeitnehmerschutzgesetze, die im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen eine Rolle spielen. Auch darf keineswegs vergessen werden, dass Kollektivverträge im Hinblick auf die Entgeltthemen nicht dieselben Ausnahmebestimmungen wie das AZG und das ARG vorsehen.
Anspruch auf Abgeltung von Überstunden und Mehrstunden nach dem Arbeitszeitgesetz (AZG) bzw Arbeitsruhegesetz (ARG)
Für leitende Angestellte und sonstige Arbeitnehmer:innen, denen selbstständige maßgebliche Entscheidungsbefugnis übertragen sind, besteht keine gesetzliche Normalarbeitszeit, kein Anspruch auf Überstundenabgeltung nach dem Arbeitszeitgesetz (AZG) sowie keine Höchstgrenzen der Arbeitszeit und Ruhezeiten, es sei denn der Kollektivvertrag oder Dienstvertrag sieht etwas anderes vor.
Sie haben nur dann Anspruch auf Abgeltung von Überstunden und Mehrstunden, wenn entweder dem Arbeitsverhältnis ein Kollektivvertrag zugrunde liegt oder wenn dem Arbeitsverhältnis ein Einzelarbeitsvertrag zugrunde liegt, in dem eine Überstundenpauschale vereinbart war.
Fazit ist, dass Arbeitnehmer:innen in leitenden Positionen im Sinne des § 1 Abs 2 Z 8 AZG grundsätzlich vom Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes (AZG) ausgenommen sind. Es besteht daher kein Anspruch auf eine Überstundenabgeltung, wenn von dieser Personengruppe Mehrarbeit und Überstunden geleistet werden.
Im Einzelfall kann jedoch im Kollektivvertrag oder Einzelarbeitsvertrag eine Verpflichtung zur Vergütung von Überstunden wirksam begründet werden, sodass individuell geprüft werden muss, ob der jeweilige Kollektivvertrag auf das konkrete Arbeitsverhältnis mit dem leitenden Angestellten bzw mit dem sonstigen Arbeitnehmer:innen Anwendung findet und ob in diesem Kollektivvertrag Bestimmungen über die Vergütung von Überstunden vorgesehen sind, welche auch leitende Angestellte und allenfalls sonstige Arbeitnehmer mit maßgeblicher Entscheidungsbefugnis erfassen.
Grundsätzlich ist bei Übernahme gesetzlicher Begriffe durch einen Kollektivvertrag im Zweifel davon auszugehen, dass der Kollektivvertrag diese Begriffe im gleichen Sinne verwendet wie das Gesetz. Eine davon abweichende Absicht der Kollektivvertragsparteien muss daher klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden (RIS-Justiz RS0008761).
Unterschiedliche Definitionen des Begriffs „Leitende Angestellter“
Der Begriff des leitenden Angestellten zum Beispiel wird zwar in mehreren Gesetzen mit teilweise abweichenden Begriffsverständnis verwendet, weil sich die Zielrichtung der Ausnahmebestimmung nach § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG ganz wesentlich von jener nach § 1 Abs 2 Z 8 AZG und § 1 Abs 2 Z 5 ARG unterscheidet (RIS-Justiz RS0052228).
Nach § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG sind als leitende Angestellte vor allem Arbeitnehmer:innen anzusehen, denen maßgeblicher Einfluss auf die Führung des Betriebs zukommt. Das sind Arbeitnehmer:innen, die durch ihre Position an der Seite des Arbeitgebers und durch Ausübung von Arbeitgeberfunktionen in einen Interessengegensatz zu anderen Arbeitnehmern geraten können (RIS-Justiz RS0051002).
So ist für den leitenden Angestellten nach § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG entscheidend, ob der Arbeitnehmer Personalbefugnisse (Einstellung, Kündigung, Gehaltsfragen, Anordnung von Überstunden) hat, weil er vor allem durch Ausübung von Arbeitgeberfunktionen in einen Interessengegensatz zu anderen Arbeitnehmern geraten kann (RIS-Justiz RS0051002, RS0051011, RS0050979), während die Ausnahmen der § 1 Abs 2 Z 8 AZG und § 1 Abs 2 Z 5 ARG) darin begründet sind, dass der Aufgabenbereich leitender Angestellter eine Bindung an fixe Arbeitszeitgrenzen und an die Arbeitszeitverteilung des AZG kaum zulässt, sich diese Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit weitgehend selbst einteilen können und gewöhnlich ein überdurchschnittliches Entgelt beziehen (RIS-Justiz RS0052228).
Fazit zu Überstunden bei Führungskräften
Wenn mit leitenden Angestellten oder mit sonstigen Arbeitnehmer:innen, die über selbstständige maßgebliche Entscheidungsbefugnis im Betrieb verfügen, Überstundenpauschalentlohnungen oder All-Inclusive Vereinbarungen vereinbart werden, so ist im Anwendungsbereich des Kollektivvertrages auch der jeweils anzuwendende Kollektivvertrag zu beachten und die getroffene Vereinbarung dementsprechend anzupassen.