02.05.2022 | Gesellschaftsrecht | ID: 1114422

Datenschutz: Bedenken gegen die Einsichtnahme in das Mitgliederregister einer Genossenschaft?

Alexander Koukal

Gastautor RA Mag. Alexander Koukal erläutert anhand einer aktuellen OGH-Entscheidung, ob ein Einsichtsrecht der Genossenschafter in das Mitgliederregister mit der DSGVO vereinbar ist.

OGH 22.12.2021, 6 Ob 214/21w

Sachverhalt

Der Oberste Gerichtshof hat nun auch für Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften klargestellt, dass das Begehren einzelner Genossenschafter auf Einsichtnahme in das Mitgliederregister, und vor allem auch das Begehren auf Einsichtnahme in eine Liste mit den Adressen der Genossenschafter, nicht mit einem Verweis auf das Datenschutzrecht abgeschmettert werden können. Die Herausgabe personenbezogener Daten eines Genossenschafters an einen anderen Genossenschafter ist vielmehr vom Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit b DSGVO umfasst. Damit knüpft der Gerichtshof an die Rechtsprechung zu Wohnungseigentümergemeinschaften und Vereinen an.

Die Genossenschaft verweigerte einem ihrer Mitglieder die volle Einsicht in das Mitgliederregister. Der spätere Antragsteller[1] vor Gericht erhielt vor allem keinen Zugang zu den Adressdaten der übrigen Genossenschafter. Offenbar wollte die Genossenschaft dem Antragsteller möglichst große Hürden in den Weg legen, die den Mitgliedern zustehenden Minderheitenrechte auszuüben.

Zu diesen Rechten gehört etwa, dass zehn Prozent der Mitglieder nach § 29 Abs 2 GenG die sofortige Einberufung der Generalversammlung „in einer von ihnen unterzeichneten Eingabe unter Anführung des Zweckes“ verlangen können.[2]

Die Einsichtnahme in eine Liste mit Namen und Adressen anderer Genossenschafter ist essenziell für die Geltendmachung derartiger Minderheitenrechte. Nur dann, wenn ein Genossenschafter in der Lage ist, potenzielle Mitstreiter zu kontaktieren, seine Anliegen zu besprechen und die gemeinsame Antragstellung an das Leitungsorgan zu koordinieren, wird er eine Chance haben, die für Minderheitenrechte nötigen Antragsquoren und Formalvoraussetzungen (z.B. die Übersendung einer von allen Antragstellern unterzeichneten Eingabe) zu erfüllen.

Einsichtsrecht der Genossenschafter

Nach § 14 GenG ist am Sitz der Genossenschaft ein Register zu führen, in welches der Vor- und Zuname und „Stand“ eines jeden Genossenschafters, der Tag seines Eintrittes in die Genossenschaft und seines Ausscheidens aus derselben, die Anzahl der einem jeden gehörigen Geschäftsanteile sowie die Kündigung eines oder mehrerer Geschäftsanteile einzutragen sind. Die Einsichtnahme in dieses Register sowie des Genossenschaftsvertrages und seiner allfälligen Abänderungen muss „jedermann“ gestattet werden.

Der OGH hatte bereits in der Vergangenheit klargestellt, dass sich dieses Einsichtsrecht auch auf die allenfalls im Verzeichnis vorkommenden Adressen der Genossenschafter erstreckt. Außerdem umfasst § 14 GenG das Recht, eine Abschrift aus dem Register anzufertigen.

Die Adressen der Genossenschafter müssen allerdings gar nicht in das Mitgliederregister eingetragen werden. Sie kommen in der Aufzählung des § 14 GenG nicht vor. Dennoch wird die Genossenschaft regelmäßig für die Zwecke der Verwaltung und Kontaktaufnahme über ein Adressverzeichnis verfügen.

Der OGH leitet ein Einsichtsrecht der Genossenschafter in dieses Adressverzeichnis aus Bestimmungen des ABGB über Kontrollrechte der Gesellschafter einer GesbR ab.

Nach § 1194 Abs 1 ABGB ist ein geschäftsführender Gesellschafter dazu verpflichtet, „jedem anderen Gesellschafter die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand der Geschäfte Auskunft zu erteilen und Rechenschaft abzulegen. Ein Gesellschafter kann sich, auch wenn er von der Geschäftsführung ausgeschlossen ist, von den Angelegenheiten der Gesellschaft persönlich unterrichten, die Aufzeichnungen der Gesellschaft einsehen und sich aus ihnen eine Abrechnung anfertigen oder die Vorlage einer solchen Abrechnung fordern.“ Eine Vereinbarung, durch die dieses Recht ausgeschlossen oder beschränkt wird, ist nach § 1194 Abs 2 ABGB unwirksam.

Das damit normierte Einsichtsrecht eines Gesellschafters in die „Aufzeichnungen der Gesellschaft“ gilt nach § 1175 Abs 4 ABGB[3] sinngemäß für Genossenschaften. Es umfasst nach hA neben vermögensbezogenen Aufzeichnungen auch alle sonstigen mit den Angelegenheiten der Gesellschaft in Zusammenhang stehenden Aufzeichnungen. Dazu zählen auch Namen und Anschriften der Gesellschafter.

Aus diesen ABGB-Bestimmungen folgert der OGH, dass auch eine separat von dem Mitgliederverzeichnis nach § 14 GenG geführte Adressliste grundsätzlich für den Genossenschafter einsehbar sein muss.

Vereinbarkeit der Einsichtnahme in Mitgliederadressen mit der DSGVO

Der OGH bestätigt das Rekursgericht darin, dass die Einsichtnahme in Namen und Adressen von Genossenschaftern für den Zweck der Ausübung und Organisation von Minderheitenrechten im Zusammenhang mit der Einberufung einer Generalversammlung zulässig ist. Denn diese Verarbeitung personenbezogener Daten ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt. Sie ist nach Art 6 Abs 1 lit b DSGVO gerechtfertigt.

Der von der Einsichtnahme betroffene Genossenschafter ist Vertragspartei des Genossenschaftsvertrags. Ihm steht das oben beschriebene Einsichtsrecht in eine Adressliste der Genossenschafter gemäß § 1194 Abs 1 S 2 iVm § 1175 Abs 4 ABGB zu. Damit korrespondiert die Pflicht der Genossenschaft, diese Einsicht zu gewähren. Weiters besteht für den OGH auch die (Neben-)Pflicht der Genossenschaft, ihren Mitgliedern die effektive Ausübung der Minderheitenrechte zu gewährleisten. Diese Ausübung wäre gefährdet, wenn dem Genossenschafter die übrigen Genossenschafter und ihre Erreichbarkeit unbekannt wären.

Dem Argument der Antragsgegnerin, dass sich der Genossenschafter ja eines Aushangs im Geschäftslokal der Genossenschaft hätte bedienen können und daher die Adressen gar nicht benötigen würde, erteilte der OGH eine Absage. Der Antragsteller müsse sich nicht auf bestimmte Kommunikationsmittel verweisen lassen.

Somit sei die Verarbeitung der Adressdaten für die Erfüllung bzw Abwicklung des Genossenschaftsvertrags notwendig im Sinne von Art 6 Abs 1 lit b DSGVO.

Der OGH verweist darauf, dass dies bereits ausdrücklich für die Ausübung der Individualrechte innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft bejaht worden ist (OGH 5 Ob 175/08h). Er setzt sich auch mit der vergleichbaren Situation im Vereinsrecht auseinander. Das deutsche Bundesverfassungsgericht[4] habe aus der die Einberufung der Mitgliederversammlung eines Vereins auf Verlangen der Minderheit regelnden Bestimmungen des § 37 BGB abgeleitet, dass sich daraus ein berechtigtes Interesse im Sinne des Datenschutzrechts auf Einsicht in die Vereins-Mitgliederliste mit dem Ziel der Kontaktaufnahme mit anderen Vereinsmitgliedern zu Erörterung vereinsrechtlicher Belange ergebe.

In der österreichischen Vereinsrechtsliteratur wird ebenso vertreten, dass die Weitergabe der Mitgliederdaten, um die Ausübung von Minderheitenrechten zu ermöglichen, mit dem Datenschutzrecht grundsätzlich vereinbar ist. Für Keinert[5] müsse das schon deshalb so sein, weil der Zweck dieser Datenweitergabe die Ausübung einer rechtlichen Befugnis der Mitglieder (des Minderheitenrechts auf Einberufung der Mitgliederversammlung) ist. Für eine differenziertere Betrachtung ist Höhne[6]: Es müsse im Einzelfall zu einer Abwägung der Güter kommen, wenngleich der Grund zur Verweigerung der Datenweitergabe schon ein gewichtiger sein müsste. Denn jemand, der sich in einem Verein organisiert, setze sich ja bewusst der Vereinsöffentlichkeit aus.

Eine Abwägung zwischen den Interessen desjenigen, der Einsicht in die Adressdaten nehmen will, und den anderen Genossenschaftern, ist für den OGH, jedenfalls in der vorliegenden Konstellation, nicht erforderlich. Denn eine solche Abwägung sei lediglich anzustellen, wenn die Datenverarbeitung mit einem überwiegenden Interesse (Art 6 Abs 1 lit f DSGVO) gerechtfertigt werden soll. Hier aber ist Art 6 Abs 1 lit b DSGVO einschlägig.

Doch eine solche Abwägung müsste hier ohnehin zu Gunsten der Person ausgehen, die Einsicht in die Mitgliederadressen begehrt, um Minderheitenrechte auszuüben. Denn die Genossenschaftsmitglieder sind, so schon das Erstgericht, mit ihrem Beitritt zur Genossenschaft in eine gewollte Rechtsgemeinschaft zu anderen, also auch unbekannten Mitgliedern getreten und hätten hinzunehmen, dass andere Mitglieder in berechtigter Verfolgung genossenschaftspolitischer Ziele an sie herantreten.

Zusammenfassung

Genossenschafter haben einen Anspruch auf Einsichtnahme in die Liste mit Namen und Adressen der Genossenschafter. Dieses Recht besteht auch ohne gesetzliche Grundlage im GenG oder dem Genossenschaftsvertrag.

Für Genossenschafter ergibt sich das Einsichtsrecht aus § 1194 Abs 1 S 2 iVm § 1175 Abs 4 ABGB.

Die Herausgabe personenbezogener Daten eines Genossenschafters an einen anderen Genossenschafter ist vom Erlaubnistatbestand des Art 6 Abs 1 lit b DSGVO umfasst.

Autor

Alexander Koukal ist Partner bei Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte (Wien).

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[1] Es handelt sich um eine Außerstreitsache.

[2] Ein vergleichbares Recht sieht § 5 Abs 2 VerG für Vereinsmitglieder vor.

[3] § 1175 Abs 4 ABGB lautet: „Die Bestimmungen dieses Hauptstücks sind auch auf andere Gesellschaften anzuwenden, soweit für diese keine besonderen Vorschriften bestehen und die Anwendung dieser Bestimmungen auch unter Berücksichtigung der für die jeweilige Gesellschaft geltenden Grundsätze angemessen ist.“

[4] BVerfG 18.2.1991, 1 BVR 185/91.

[5] Keinert, Mitgliederversammlung des Vereins (2011), 54.

[6] Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, Das Recht der Vereine6 (2020), 238.

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