Dokument-ID: 306122

Judikatur | Entscheidung

10 Ob 44/11k; OGH; 31. Mai 2011

GZ: 10 Ob 44/11k | Gericht: OGH vom 31.05.2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI M*****, vertreten durch Engin-Deniz Reimitz Hafner Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Dr. Hannes Pflaum und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. März 2011, GZ 38 R 200/10h-30, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

  1. Die Vorinstanzen gelangten übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass der vom Kläger geltend gemachte Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 12 MRG vorliege.
  2. In ihrer außerordentlichen Revision macht die Beklagte geltend, dieser Kündigungsgrund könne nicht verwirklicht sein, weil zwischen den Parteien ein Hauptmietverhältnis vorliege.
  3. Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 12 MRG liegt vor, wenn bei Untermietverhältnissen durch die Fortsetzung der Untermiete wichtige Interessen des Untervermieters verletzt werden, namentlich wenn der Untervermieter den Mietgegenstand für sich selbst oder für nahe Angehörige dringend benötigt oder wenn ihm nach den Umständen die Aufrechterhaltung der Wohngemeinschaft mit dem Untermieter billigerweise nicht zugemutet werden kann.
    1. 3.1. Untermietverhältnisse können somit gekündigt werden, wenn durch die Fortsetzung der Untermiete wichtige Interessen des Untervermieters verletzt würden. Diese gegenüber der Kündigung eines Hauptmieters erweiterte Kündigungsmöglichkeit besteht auch bei der Untermiete von Geschäftsräumen (6 Ob 79/01p mwN). Nach ständiger Rechtsprechung sind unter diesen wichtigen Interessen des Untervermieters alle Momente zu verstehen, die für den Untervermieter vom Standpunkt seiner Familieninteressen oder seiner geschäftlichen Bedürfnisse von maßgeblicher Bedeutung sind, ohne dass es sich dabei geradezu um Lebensnotwendigkeiten handeln muss. Zu diesen Interessen gehört zufolge ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung auch der Eigenbedarf, jedoch unter Anlegung eines weniger strengen Maßstabs als bei der Aufkündigung einer Hauptmiete und ohne Interessenabwägung oder Ersatzbeistellung (RIS-Justiz RS0070689). Auch die geplante Expansion eines Unternehmens stellt ein wichtiges Interesse des Untervermieters iSd § 30 Abs 2 Z 12 MRG dar. Wenn der Untervermieter daher eine solche Expansion (zB durch Einstellung weiterer Mitarbeiter) plant und sie nicht nur (oder überwiegend) dazu dient, den Untermieter loszuwerden – die Kündigung also rechtsmissbräuchlich wäre –, stellt der dadurch herbeigeführte Bedarf an den untervermieteten Räumen einen Kündigungsgrund iSd § 30 Abs 2 Z 12 MRG dar. Eine Interessenabwägung hat dabei nicht zu erfolgen (2 Ob 38/03g mwN).
    2. 3.2. Ob die auf § 30 Abs 2 Z 12 MRG gestützte Aufkündigung des Klägers berechtigt ist, hängt daher auch davon ab, ob die Beklagte Haupt- oder Untermieterin (§ 2 MRG) des aufgekündigten Büroraums ist.

      3.3. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 MRG in der hier maßgebenden Fassung des WohnungseigentumsbegleitG 2002, BGBl I 2002/71, liegt Hauptmiete vor, wenn der Mietvertrag mit dem Eigentümer oder dem dinglich oder obligatorisch berechtigten Fruchtnießer der Liegenschaft oder mit dem Mieter oder Pächter eines ganzen Hauses geschlossen wird. Nach § 2 Abs 2 MRG liegt Untermiete vor, wenn der Mietvertrag mit einer Person geschlossen wird, die in Abs 1 nicht genannt ist.

      3.4. Seit dem In-Kraft-Treten des 3. WÄG (BGBl 1993/800) mit 01.03.1994 begründet auch der „Mieter oder Pächter eines ganzen Hauses“, wie schon vor dem In-Kraft-Treten des MRG, Hauptmietrechte. Dieser Begriff muss im Sinne der Rechtsprechung zum MG verstanden werden, wonach der Vertragszweck darauf gerichtet sein muss, den Mieter (Pächter) eine gewinnbringende Verwertung der Bestandobjekte durch Weitergabe zu ermöglichen; insofern ist eine teleologische Korrektur des Begriffs angebracht. Einerseits ergibt sich schon aus dem sonst sinnlosen Attribut „ganz“, dass es sich um ein Haus handeln muss, das seiner Art nach aus selbstständigen Mietgegenständen besteht, die üblicherweise gesondert vermietet werden, andererseits müssten darunter auch eine wirtschaftliche Einheit bildende Teile des Hauses, jedenfalls selbstständige Trakte, verstanden werden (vgl Würth in Rummel, ABGB³ § 2 MRG Rz 4a mwN; A. Fenyves in Hausmann/Vonkilch, Österr. Wohnrecht § 2 MRG Rz 12 mwN).

      3.5. In diesem Sinne stellte bereits die Judikatur vor In-Kraft-Treten des MRG den Mieter oder Pächter des ganzen Hauses oder von (selbständigen) Teilen eines Hauses dem Fruchtnießer gleich, da auch hier nicht die Benützung des Bestandobjekts durch den Mieter im Vordergrund stehe, sondern der Vertragszweck darauf gerichtet sei, ihm die gewinnbringende Verwertung des Bestandobjekts zu ermöglichen, weshalb auch die mit dem Mieter oder Pächter abgeschlossenen Verträge als Hauptmietverträge anzusehen seien (vgl Fenyves in Korinek/Krejci, Handbuch zum Mietrechtsgesetz 277 mwN). Diese in ständiger Rechtsprechung vertretene Einschränkung, dass der Vertragszweck auf eine gewinnbringende Verwertung gerichtet sein müsse, ist auch bei der Auslegung des Begriffs „Mieter oder Pächter eines ganzen Hauses“ iSd § 2 Abs 1 MRG weiterhin beachtlich. So hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 5 Ob 2099/96d im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 2 Abs 3 MRG ausgeführt, dass auch die Verleasung eines ganzen Hauses jedenfalls dann, wenn der Leasingnehmer das Objekt selbst nicht benützt, sondern gewinnbringend weiter vermietet, regelmäßig den Abschluss einer Haupt- und nicht einer bloßen Untermiete indiziert. Durch die vorhin erwähnte Einschränkung, dass der Vertragszweck auf eine gewinnbringende Verwertung gerichtet sein muss, soll nämlich ausgeschlossen werden, dass die Inbestandgabe des ganzen Hauses zum Zwecke der Befriedigung eines eigenen Wohn- bzw geschäftlichen Bedürfnisses des Mieters unter die Bestimmung des § 2 Abs 1 MRG fällt. Mietet daher etwa ein Unternehmer ein Haus mit mehreren für geschäftliche Zwecke geeigneten Einheiten, um dort für den eigenen Betrieb Büros einzurichten, und vermietet er einzelne Räumlichkeiten, die er derzeit nicht benötigt, soll einer darin aufgenommenen dritten Person nicht der starke Schutz eines Hauptmieters zukommen, da das Haus primär zur Sicherung der räumlichen Existenz des Unternehmens gemietet wurde (vgl Iro, Die Hauptmiete nach dem 3. WÄG, wobl 1994, 125 ff [132]).

      3.6. Auch wenn man daher mit den Revisionsausführungen der Beklagten davon ausgeht, dass der vom Kläger als Hauptmieter für geschäftliche Zwecke seines Unternehmens gemietete Hoftrakt als selbstständiger Teil des ganzen Hauses anzusehen sei, vermittelte der Kläger der Beklagten, der er im Jahr 2003 gegen Bezahlung des Selbstkostenpreises einen von ihm damals für seinen eigenen Betrieb noch nicht benötigten Büroraum überlassen hat, nach den dargelegten Grundsätzen keine Hauptmietrechte.

      3.7. Die Richtigkeit der Rechtsansicht des Erstgerichts, dass auch die Voraussetzungen des § 2 Abs 3 MRG für eine Anerkennung der Beklagten als Hauptmieterin nicht vorliegen, wird auch in den Revisionsausführungen nicht mehr in Zweifel gezogen.

      3.8. Schließlich kann auch in der weiteren Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 12 MRG sei im vorliegenden Fall erfüllt, weil der Kläger nach den getroffenen Feststellungen eine Expansion seines Unternehmens und die Einstellung weiterer Mitarbeiter plant, wodurch weitere Büroräumlichkeiten benötigt werden, keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden.

  4. Auf die Frage, ob die Beklagte auch den vom Kläger weiters geltend gemachten Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 1 MRG verwirklicht hat, kommt es daher nicht mehr an.

Die außerordentliche Revision war somit mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Leitsätze

  • Verletzung von wichtigen Interessen des Untervermieters iSd § 30 Abs 2 Z 12 MRG

    Wichtige Interessen des Untervermieters sind alle Momente, die für ihn vom Standpunkt seiner Familieninteressen oder seiner geschäftlichen Bedürfnisse von maßgeblicher Bedeutung sind, ohne dass es sich geradezu um Lebensnotwendigkeiten handeln muss.
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