Dokument-ID: 377855

Judikatur | Entscheidung

8 Ob 125/11g; OGH; 20. Jänner 2012

GZ: 8 Ob 125/11g | Gericht: OGH vom 20.01.2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, 1082 Wien, Doblhoffgasse 6, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei S***** N*****, vertreten durch Dr. Othmar Slunsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Entfernung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 4. Mai 2011, GZ 39 R 72/11v-12, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 13. Oktober 2010, GZ 5 C 349/10t-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Wohnhauses in Wien. Als solche hat sie der Beklagten im Jahr 1993 eine Wohnung samt Garten sowie einen Kfz-Abstellplatz in einer Sammelgarage vermietet. Die Beklagte montierte sowohl an der Außenwand des Hauses im Bereich des mitgemieteten Gartens als auch an der Innenwand bei dem von ihr gemieteten Kfz-Abstellplatz insgesamt zwei Videokameraattrappen, die nicht als Attrappen erkennbar sind. Die der Wohnung der Beklagten zugeordnete Terrasse ist vom allgemein zugänglichen Hof- bzw Hausgartenbereich nur durch einen etwa 1,10 m hohen Maschendrahtzaun abgetrennt. Nach den Bestimmungen des Mietvertrags ist nur der Innenraum des Mietgegenstands sowie der näher bezeichnete Pkw-Einstellplatz vermietet.

Die Klägerin begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, sowohl die an der Außenwand des Hauses im Bereich des Gartens als auch die an der Garagenwand im Bereich des Pkw-Abstellplatzes angebrachte Videokamera bzw Videokameraattrappe zu entfernen. Die Beklagte habe diese Gegenstände ohne Zustimmung der Vermieterin und somit widerrechtlich an allgemeinen, nicht mitvermieteten Teilen des Hauses angebracht. Die Klägerin habe als Vermieterin auch die Interessen der anderen Mieter zu wahren und Vorsorge dafür zu treffen, dass nicht der Eindruck einer unzulässigen Videoüberwachung entstehe.

Die Beklagte entgegnete, dass die fragliche Hauswand sowie die Garagenwand vom Mietvertrag erfasst seien. Die Klägerin habe kein rechtliches Interesse an der begehrten Entfernung der Videokameraattrappen. Das Klagebegehren sei als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren. Die Anbringung der Gegenstände sei gerechtfertigt, um allfällige Diebe abzuschrecken. In letzter Zeit habe es mehrere Einbrüche in die fragliche Garage gegeben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Mieter habe auch ein Benützungsrecht an der Außenfläche des Bestandgegenstands, soweit berechtigte Interessen dazu vorhanden seien und weder das Haus beschädigt noch ein Nachbar gestört werde. Die Beklagte habe berechtigte Angst vor Einbrechern. Die Montage der Videokameraattrappen entspreche der Verkehrssitte.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Vom Benützungsrecht eines Mieters seien auch das außerhalb des Bestandobjekts gelegene Zubehör, die Zugänge sowie die allgemeinen Teile der Liegenschaft erfasst. Die Anbringung von Videokameras in großen, öffentlich zugänglichen Wohnhausanlagen entspreche der Orts- und Verkehrsübung. Dies ergebe sich aus der offenkundigen Tatsache, dass die Klägerin in ihren Wohnhausanlagen von der Videoüberwachung Gebrauch mache. Schützenswerte Interessen dritter Personen seien nicht betroffen, weil die Klägerin nicht behauptet habe, dass die Attrappen auf allgemeine Teile des Hauses oder auf andere Bestandobjekte gerichtet seien oder sich andere Mieter bereits beschwert hätten.

Über Antrag der Klägerin auf Abänderung des Ausspruchs über die Zulässigkeit der Revision gemäß § 508 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Anbringung einer Videokamera bzw einer nicht als solche erkennbaren Videokameraattrappe durch einen Mieter an allgemeinen Flächen des Hauses sowie zur Wahl des Begehrens eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Die Revision ist im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.

Die Vorinstanzen haben an sich zutreffend zwischen dem Umfang des Gebrauchsrechts an der vermieteten Sache einerseits und dem Recht zur (Mit-)Benützung der Außenflächen des Bestandobjekts oder anderer allgemeiner Flächen andererseits unterschieden. Entsprechend dem Standpunkt der Klägerin sind sie davon ausgegangen, dass laut Mietvertrag die fragliche Außenwand der Wohnung der Beklagten und die Wand in der Sammelgarage nicht mitvermietet sind, sondern es sich dabei um allgemeine Flächen bzw sonstige allgemein benützte Einrichtungen des Hauses handelt.

2.1

Nach einhelliger Ansicht wird dem Bestandnehmer im Rahmen des Bestandzwecks auch ein Recht zur (Mit-)Benützung der Außenflächen des Bestandobjekts zugestanden, soweit er berechtigte Interessen daran hat, und weder das Haus beschädigt oder verunstaltet noch ein Nachbar gestört bzw sonst in seinen Interessen beeinträchtigt wird. Dementsprechend wird dem Mieter etwa das Recht auf Anbringung von Namens- oder Firmentafeln, von Geschäftsschildern, aber auch anderer Gegenstände wie Antennen, Automaten oder Markisen auch an der Außenfläche der von ihm gemieteten Räume zuerkannt, sofern das Haus nicht verunstaltet wird und andere Mieter nicht belästigt werden (Würth in Rummel § 1098 ABGB Rz 3; Binder in Schwimann³ § 1098 ABGB Rz 34; Iro in KBB³ § 1098 ABGB Rz 2; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht22 § 8 MRG Rz 2 jeweils mwN).Die Anbringung solcher Gegenstände an anderen allgemeinen Flächen des Hauses, etwa im Hausflur, ist unter den dargestellten Bedingungen grundsätzlich nur mit Zustimmung des Vermieters gestattet, der diese allerdings nicht verweigern kann, wenn eine derartige Benützung der vereinbarten Benützung des Bestandobjekts oder dem Ortsgebrauch bzw der Verkehrsübung entspricht (RIS-Justiz RS0020548).

2.2

Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts kann die Orts- bzw Verkehrsüblichkeit des Anbringens von Videokameras bzw (nicht als solche erkennbaren) Videokameraattrappen zur Überwachung von Wohnungsbereichen und Pkw-Abstellplätzen durch einzelne Mieter nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass die Klägerin als Vermieterin (von der Datenschutzkommission geprüfte und registrierte) Videoüberwachungen an sicherheitsneuralgischen Orten in Gemeindebauten durchführt (vgl dazu auch Prader/Kuprian, Videoüberwachung im wohnrechtlichen Bereich, immolex 2005, 230). Davon abgesehen ist entscheidend, dass Nachbarn durch (vermeintliche) Überwachungsmaßnahmen nicht gestört oder belästigt werden. In dieser Hinsicht müssen auch deren Persönlichkeitsrechte beachtet und Beeinträchtigungen der Privatsphäre verhindert werden. In der Entscheidung 6 Ob 6/06k wurde unter Hinweis auf die Entscheidung 8 Ob 108/05y auch der durch eine Videokameraattrappe geschaffene Überwachungsdruck auf einen Nachbarn als Eingriff in die Privatsphäre beurteilt (vgl auch RIS-Justiz RS0120422; RS0009003). Müsse sich der Kläger immer kontrolliert fühlen, wenn er sein Haus betrete oder verlasse oder sich in seinem Garten aufhalte, so bewirkten Überwachungsmaßnahmen, selbst wenn das Gerät nur eine Attrappe einer Videokamera gewesen sein sollte, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Privatsphäre (Geheimnissphäre) des Klägers.

2.3

Nach den dargestellten Grundsätzen darf für Nachbarn bzw andere Mieter nicht der Eindruck des Überwachtwerdens entstehen. Den anderen Mietern ist auch ein berechtigtes Interesse daran zuzubilligen, dass das Betreten oder Verlassen ihrer Wohnung durch sie selbst, ihre Mitbewohner oder Gäste nicht überwacht bzw aufgezeichnet wird (RIS-Justiz RS0107155). Können diese Personen etwa durch den Standort oder die Ausrichtung einer Videokamera oder einer nicht als solche erkennbaren Videokameraattrappe die berechtigte Befürchtung haben, dass sie sich im Überwachungsbereich befinden und von den Aufnahmen bzw Aufzeichnungen erfasst sind, so ist ein Eingriff in die Privatsphäre grundsätzlich zu bejahen. In diesem Sinn gesteht auch die Beklagte zu, dass die Montage auch einer Videokameraattrappe einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre anderer Mieter darstellt, wenn diese den Eindruck bzw das subjektive Gefühl des Überwachtseins haben könnten.

2.4

Der Vorwurf des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht behauptet, dass die Videokameraattrappen auf allgemeine Teile des Hauses oder auf andere Bestandobjekte gerichtet gewesen wären, ist nicht berechtigt. Immerhin hat die Klägerin in ihrem Vorbringen darauf hingewiesen, dass sie als Vermieterin auch die Interessen anderer Mieter zu wahren und in diesem Sinn Vorsorge dafür zu treffen habe, dass auch nicht der Eindruck einer unzulässigen Videoüberwachung entstehe. Demgegenüber hat die Beklagte nur vorgetragen, dass sie die Attrappen in dem zu ihrer Wohnung gehörigen Garten und in der Garage angebracht habe. Dass die Attrappen nach dem Eindruck für einen unbeteiligten Betrachter nur den eigenen Wohn- und Garagenbereich bzw nur die von ihr gemieteten Flächen erfassen würden, wurde von der Beklagten erstmals in der Berufungsbeantwortung vorgebracht. Den Feststellungen lässt sich die Ausrichtung der Attrappen und der Eindruck, der bei einem unbeteiligten Betrachter über den Überwachungsbereich entstehen muss, nicht entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus diesen nur, dass die (überwachte) Terrasse der Beklagten vom allgemein zugänglichen Hof- bzw Hausgartenbereich nur durch einen etwa 1,10 m hohen Maschendrahtzaun abgetrennt ist. Daraus lässt sich nur die Sichtbarkeit der im Gartenbereich angebrachten Attrappe für andere Hausbewohner ableiten.

Die Frage des Vorliegens eines Eingriffs in die Privatsphäre anderer Hausbewohner lässt sich anhand der getroffenen Feststellungen somit noch nicht abschließend beurteilen.

3.

Darüber hinaus ist das von der Klägerin erhobene Begehren erörterungsbedürftig.Im vorliegenden Fall würden Überwachungsmaßnahmen, die die Privatsphäre anderer Mieter beeinträchtigen, zu einem Übergriff der beklagten Mieterin in der Benützung der Bestandsache führen. In einem solchen Fall wird auch dem Vermieter ein Anspruch gegen den Mieter zuerkannt, dass dieser die Überschreitung der Grenzen der zulässigen Benützung unterlässt (RIS-Justiz RS0024879). Daraus resultiert die auch unstrittige Aktivlegitimation der Klägerin. Persönlichkeitsrechte sind absolute Rechte und genießen absoluten Schutz (RIS-Justiz RS0008999). Allgemein werden bei Persönlichkeitsverletzungen Unterlassungsansprüche zugelassen. Ein solcher Anspruch setzt kein Verschulden voraus; auch eine Abmahnung ist nicht erforderlich. Bei einem bereits erfolgten Verstoß stehen grundsätzlich auch Beseitigungsansprüche zu, die allerdings nicht von vornherein mit einem Entfernungsbegehren gleichgesetzt werden können (siehe dazu 6 Ob 6/06k; auch 8 Ob 108/05y). Da die Überwachung bzw die Schaffung des Eindrucks der Überwachung des eigenen Grundstücks (6 Ob 6/06k) und analog dazu auch die Überwachung des ausschließlich eigenen Wohn- und Garagenbereichs grundsätzlich als zulässig anzusehen sein wird, stößt das von der Klägerin erhobene allgemeine Entfernungsbegehren auf Bedenken. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung muss die Formulierung des Begehrens mit der Klägerin erörtert werden.

4.1

Zusammenfassend ergibt sich: Zur Vermeidung eines Eingriffs in die Privatsphäre anderer Hausbewohner durch einen nicht hinzunehmenden Überwachungsdruck darf bei diesen nicht der Eindruck entstehen, dass sie von einer systematischen, identifizierenden Überwachungsmaßnahme eines Mieters betroffen sind und sich etwa im Überwachungsbereich einer Videokamera befinden. Eine solche Überwachungsmaßnahme darf sich nach Maßgabe des Eindrucks für einen unbeteiligten Betrachter grundsätzlich nur auf den eigenen gemieteten (Wohn-)Bereich des Mieters beziehen. Die Beurteilung der Vorinstanzen hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof somit nicht stand. Da aufgrund der sekundären Feststellungsmängel und des Erörterungsbedarfs zum Entfernungsbegehren die Rechtssache noch nicht abschließend beurteilt werden kann, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Stattgebung der Revision aufzuheben.

4.2

Sollte im fortgesetzten Verfahren aufgrund der Überwachungsmaßnahmen der Beklagten ein Eingriff in die Privatsphäre anderer Mieter und damit eine Beeinträchtigung rechtlicher Interessen dritter Personen zu bejahen sein, so wäre eine Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und zu beurteilen, ob dem durch die Überwachungsmaßnahmen begründeten Eingriff in die Privatsphäre auf Seiten der Beklagten ausreichende Gründe bzw Ziele entgegenstehen, die den Eingriff aufwiegen. Der Schutz des Eigentums vor Einbrechern stellt durchaus ein geeignetes Schutzziel dar (8 Ob 108/05y). In der Entscheidung 6 Ob 6/06k wurde dazu beurteilt, das für derartige Schutz- bzw Abschreckungsmaßnahmen die Überwachung des eigenen Grundstücks (hier des eigenen Wohn- bzw Garagenbereichs) genüge.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Leitsätze

  • Persönlichkeitsrechtsverletzung durch eine Überwachungskamera eines Mieters

    Systematische, verdeckte, identifizierende Videoüberwachung stellt immer einen Eingriff in das geschützte Recht auf Achtung der Geheimsphäre dar. Das Recht auf Achtung der Geheimsphäre unterliegt als Persönlichkeitsrecht dem § 16 ABGB.
    Judikatur | Leitsatz | 8 Ob 125/11g | OGH vom 20.01.2012 | Dokument-ID: 377273