Dokument-ID: 867710

Judikatur | Entscheidung

8 Ob 55/16w; OGH; 28. Juni 2016

GZ: 8 Ob 55/16w | Gericht: OGH vom 28.06.2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, Rosa-Fischer-Gasse 2, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei E*****, vertreten durch Dr. Peter Birgmayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 6. April 2016, GZ 38 R 303/15p-36, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 33 Abs 1 zweiter Satz MRG hat der Vermieter in der (gerichtlichen) Kündigung die Kündigungsgründe kurz anzuführen. Andere können in diesem Verfahren nicht mehr geltend gemacht werden. Werden neben der ziffernmäßigen Bezeichnung der Kündigungsgründe bestimmte Tatsachen als Begründung angeführt, kommt es bei der Entscheidung darüber, welcher Kündigungsgrund geltend gemacht wurde, nur auf die Tatsachenbehauptungen an (RIS-Justiz RS0081764). Dabei schadet es nach der jüngeren Rechtsprechung nicht, wenn bei ordentlich bezeichnetem Kündigungsgrund in der Aufkündigung nur einzelne Vorfälle demonstrativ angeführt werden und dann im Rahmen dieses Kündigungsgrundes noch weitere Vorfälle nachgetragen werden (3 Ob 69/08f; RIS-Justiz RS0106599 [T3]).

Ob im Hinblick auf diese Rechtsprechung das Erstgericht das Vorbringen der Klägerin zu einschränkend ausgelegt hat, ist allerdings nicht von Relevanz, weil sich das Berufungsgericht inhaltlich auch mit dem von der Klägerin zur Begründung des Kündigungsgrundes des unleidlichen Verhaltens erstatteten Vorbringen, dass die Söhne der Beklagten einer Nachbarin durch Beleidigungen das Zusammenleben verleiden, auseinandergesetzt hat. Angesichts der umfangreichen Feststellungen des Erstgerichts auch zu diesem Themenkomplex nahm es jedoch nachvollziehbar keine Ergänzungsbedürftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens an.

2. Der Frage, ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches Verhalten nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG handelt, kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu (RIS-Justiz RS0042984), sofern dem Berufungsgericht nicht eine auffallende und im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Ebenso kann die Frage, ob bei einer Verhaltensänderung nach Einbringung der Aufkündigung der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten auszuschließen ist, nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RIS-Justiz RS0042790; RS0070340 [T3]).

3. Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt (RIS-Justiz RS0070303). Dabei verantwortet der Mieter auch das Verhalten anderer Personen, die mit seinem Willen den Mietgegenstand benutzen.

Grundsätzlich sind für die Beurteilung von Kündigungsgründen die Umstände im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung maßgeblich. Wenn allerdings der gekündigte Mieter nach Zustellung der Aufkündigung sein unleidliches Verhalten einstellt, ist die Verhaltensänderung bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens mitzuberücksichtigen (RIS-Justiz RS0067519 [T3]; RS0067534 [T2]) und kann bei Vorliegen einer positiven Zukunftsprognose zur Klagsabweisung führen, sofern die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten ausgeschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0070340). Unter Umständen kann auch auf Entwicklungen Bedacht genommen werden, die zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung bereits in die Wege geleitet wurden (RIS-Justiz RS0070340 [T4]).

4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass im Hinblick darauf, dass die Nachbarin, die von zwei Söhnen der Beklagten beschimpft worden war, zeitgleich mit der Zustellung der Aufkündigung auszog, mit anderen Personen im Haus keine Konflikte bestehen und es seit nunmehr drei Jahren zu keinen weiteren Vorfällen im Haus oder gegenüber Mietern des Hauses gekommen ist, wobei die nunmehr wieder durchgehende Anwesenheit der demenzkranken und laufend betreuten Beklagten in der Wohnung ebenfalls zur Beruhigung der Situation beitrug, von einer positiven Zukunftsprognose ausgegangen werden kann, ist nicht korrekturbedürftig.

Die außerordentliche Revision ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

Leitsätze

  • Zur Einstellung des unleidlichen Verhaltens eines gekündigten Mieters nach Zustellung der Aufkündigung

    Im Falle, dass der gekündigte Mieter nach Zustellung der Aufkündigung sein unleidliches Verhalten (in casu: Söhne der Beklagten haben eine Nachbarin beschimpft) einstellt, ist die Verhaltensänderung bei der Beurteilung des Gesamtverhaltens mitzuberücksichtigen. Bei Vorliegen einer positiven Zukunftsprognose kann diese zur Klagsabweisung führen, sofern die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten ausgeschlossen werden kann.
    WEKA (ato) | Judikatur | Leitsatz | 8 Ob 55/16w | OGH vom 28.06.2016 | Dokument-ID: 867711