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Roman Reßler | News | 19.11.2018

Abschaffung des Pflegeregresses – Auswirkungen auf Liegenschaften und Wohnungseigentum?

Gastautor Mag. Roman Reßler erläutert anhand einer aktuellen OGH-Entscheidung, welche Reichweite die Abschaffung des Pflegeregresses hat. Was passiert mit laufenden Verfahren über Pflegeregressansprüche?

Noch vor dem Sommer 2017 hat der Nationalrat beschlossen, dass der Regress auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen ebenso wie auf das Vermögen von Angehörigen (das betrifft insbesondere auch Liegenschaften und Wohnungseigentum), Erben sowie Geschenknehmern im Rahmen der Sozialhilfe zur Deckung der Pflegekosten abgeschafft werden soll. Seit 01. Jänner 2018 dürfen Pflegeregressansprüche nicht mehr geltend gemacht werden. Was passiert jedoch mit derzeit laufenden Verfahren über Pflegeregressansprüche?

Aktuelle OGH-Entscheidung

Sachverhalt

In der Entscheidung 1 Ob 62/18a vom 30.04.2018 hatte sich der OGH wiederum mit dieser Frage beschäftigt. Im gegenständlichen Fall klagte ein Fond der Stadt Wien, der Förderleistungen aus Steuergeldern nach dem Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG) erbringt den Sohn als eingeantworteten Erben nach dem Tod seiner Mutter auf EUR 22.363,94 für übernommene Sozialhilfekosten. Gemäß § 26 Abs 1 WSHG ist der Empfänger zum Ersatz für übernommene Sozialhilfekosten verpflichtet. Die Verbindlichkeit zum Ersatz von Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes geht nach der vorgenannten Bestimmung gleich einer anderen Schuld auf den Nachlass des Empfängers der Hilfe über. Die Erben sind jedoch zum Ersatz der für den Empfänger der Hilfe aufgewendeten Kosten auch dann verpflichtet, wenn diese zu Lebzeiten nicht ersatzpflichtig gewesen wären. Sie haften stets nur bis zur Höhe des Wertes des Nachlasses. Bei Eltern, Kindern oder Ehegatten beziehungsweise eingetragenen Partnern, ist darauf Bedacht zu nehmen, dass durch den Kostenersatz ihre Existenz nicht gefährdet wird (§ 26 Abs 4 WSHG).

Das Erstgericht gab der Klage des Fonds statt, wobei zu sagen ist, dass es seine Entscheidung noch vor dem 01.01.2018 traf. Dagegen erhob der Erbe als beklagte Partei Berufung, wobei das Gericht zweiter Instanz dieser Folge gab und das Klagsbegehren abwies. Es begründete seine Rechtsansicht damit, dass entsprechende Bestimmungen des § 330a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) einen Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörige, Erben, Erbinnen beziehungsweise Geschenknehmer im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten unzulässig ist. Entsprechend der Übergangsbestimmung des § 707a Abs 2 ASVG, welche mit 01.01.2018 in Kraft getreten ist, dürfen ab diesen Zeitpunkt die Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden. Laufende Verfahren sind dabei einzustellen.

OGH zur Reichweite des Verbots des Pflegeregresses

Aufgrund der von der klagenden Partei gegen die Entscheidung des Gerichtes in zweiter Instanz erhobenen Revision hielt der OGH zunächst fest, dass die Bestimmung des § 330a ASVG durch das Sozialversicherungszuordnungsgesetz in das ASVG eingefügt wurde. Diese Bestimmung mit der Überschrift „Verbot des Pflegeregresses“ steht in Verfassungsrang. Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörige, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/-innen, im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ist unzulässig. Die Bestimmung des § 330a ASVG trat mit 1. Jänner 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. Entgegenstehende Landesgesetze treten zu diesem Zeitpunkt außer Kraft. Nach den Materialien zu dieser Übergangsregelung wird auch angemerkt, dass entgegenstehende landesgesetzliche Bestimmungen nur insoweit außer Kraft treten sollen, als sie sich auf den Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen und ihrer Erben/Erbinnen sowie Geschenknehmer/-innen zur Abdeckung der Pflegekosten beziehen.

Im Hinblick auf das in §5 ABGB normierte Rückwirkungsverbot stellte das Höchstgericht klar, dass der Verfassungsgesetzgeber auf den Zeitpunkt des Vermögenszugriffes abstellt, woraus zwingend folgt, dass das in § 330a ASVG angeordnete Verbot auch dann zum Tragen kommen muss, wenn die Ersatzforderung im gegenständlichen Fall nach § 26 WSHG auf einer stationären Aufnahme beruht, die zu Leistungen des Sozialhilfeträgers vor dem 01.01.2018 geführt hat.

Die geänderte Rechtslage ist im gegenständlichen Fall erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz in Kraft getreten und dieser Zeitpunkt wäre grundsätzlich auch für die Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht maßgeblich. So ferne nicht das Übergangsrecht etwas anderes bestimmt, sind Änderungen des zwingenden Rechtes vom Rechtsmittelgericht ohneweiters von Amtswegen seiner Entscheidung zu Grunde zu legen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor in Kraft treten des neuen Rechtes verwirklicht wurde. Im gegenständlichen Fall enthält § 707a Abs 2 ASVG jedoch die Anordnung, dass laufende Verfahren einzustellen sind. Weiters stellt §330a ASVG unmissverständlich klar, dass diese Bestimmung auch im anhängigen Verfahren anzuwenden ist. Nur dadurch ist sichergestellt, dass das Verbot ab diesem Zeitpunkt auf Vermögen zuzugreifen lückenlos umgesetzt werden kann. Auch in der zu § 330a ASVG bis dato veröffentlichten Literatur wird festgehalten, dass das Regressverbot jedenfalls dann greift, wenn ein Verfahren darüber zwar vor dem 01.01.2018 eingeleitet worden ist, aber zu diesem Stichtag keine Entscheidung über die Ersatzpflicht ergangen und rechtskräftig geworden ist. Somit wirkt das Regressverbot gemäß § 330a ASVG auf bereits vor dem 01.01.2018 verwirklichte Sachverhalte und das geänderte Recht ist von Amtswegen auch noch im Rechtsmittelverfahren anzuwenden. Das Begehren des klagenden Fonds war daher mangels fehlen der Rechtsgrundlage für den behaupteten Anspruch abzuweisen. Mittlerweile hat der Verfassungsgerichtshof durch den Beschluss E 229/2018-17 vom 10. Oktober 2018 wiederum klargestellt, dass der Zugriff auf das Vermögen von Pflegefällen oder deren Erben unzulässig ist. Die Behandlung der Beschwerde hat er abgelehnt, da sie keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte und die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen nicht zu erwarten gewesen wäre.

Ist auch das Einkommen geschützt?

Leider nein, sämtliche wiederkehrende Leistungen und Ansprüche, wie zB Pensionen, Renten, Unterhaltsansprüche und auch sonstiges Einkommen der pflegebedürftigen Person sind weiterhin zur Deckung von Heimkosten heranzuziehen und vom Verbot des Pflegeregresses nicht erfasst (§ 26 Abs 1 WSHG). Ersatzansprüche nach § 26 Abs 1 WSHG dürfen in Wien nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem Hilfe gewährt wurde, mehr als 3 Jahre vergangen sind. Für den Fall dass das Einkommen nicht zur gänzlichen Abdeckung von Heimkosten ausreicht, kommen meist die Sozialhilfe beziehungsweise die Mindestsicherung für die Differenz auf. In Wien der Fonds Soziales Wien.

Unter stationärer Pflege und Betreuung wird verstanden:

Die Erbringung von Pflege und Betreuungsleistungen an betreuungs- und pflegebedürftige Personen in eigens dafür eingerichteten Einrichtungen. Dazu zählen auch Hausgemeinschaften. Die Aufhebung des Pflegeregresses umfasst sämtliches Vermögen, unabhängig von dessen Höhe. Jeder Vermögenswert, der unter den Vermögensbegriff fällt, darf nicht angetastet werden. Insbesondere davon betroffen sind Immobilien (Wohnungseigentum, Häuser und ähnliches, sowie Barvermögen und Sparbücher).

Fazit

Der vorliegenden Entscheidung sowie der Aufhebung des Pflegeregresses ist vorbehaltslos zuzustimmen. Nachdem die Pflege in die Zuständigkeit der Bundesländer fällt, ist die Praxis in den Bundesländern höchst unterschiedlich. Während NÖ bereits beschlossen hat, offene Erbschaftsprozesse per 31.12.2017 einzustellen und Tirol alle noch anhängigen Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Pflegeregress zurückziehen möchte, gibt sich Wien noch abwartend. Entsprechende Durchführungsbestimmungen werden erlassen. Eine rasche Umsetzung der durch die Höchstgerichte ergangenen Judikatur sowie der durch den Gesetzgeber unmissverständlich formulierten Tatbestände ist daher dringend geboten.

Über den Autor

Mag. Roman Reßler ist Rechtsberater im Zentralverband Haus und Eigentum. Schon während seines Studiums war er als Eigentümer von Liegenschaften mit Fragen des Miet- und Wohnrechts beschäftigt. Nach Absolvierung des rechtswissenschaftlichen Studiums und des Gerichtsjahres mit dem Schwerpunkt „Wohnrecht“ sammelte er weitere praktische Erfahrungen in einer Hausverwaltung. Im Jahre 2001 begann er seine Tätigkeit als Rechtsberater im Zentralverband Haus und Eigentum, wo er für die persönliche Mitgliederberatung verantwortlich ist.

Neben seiner Tätigkeit als Rechtsberater verfasst er auch juristische Fachartikel in der monatlich erscheinenden Mitgliederzeitung „Haus & Eigentum“.