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Dokument-ID: 754514

Philipp Ortbauer | News | 15.04.2015

Das grobe Verschulden des Mieters am Zahlungsrückstand

Gastautor Mag. Ortbauer geht in seinem Beitrag auf die wichtigsten OGH-Entscheidungen zum groben Verschulden nach § 33 Abs. 2 MRG ein und ordnet diese in Fallgruppen (wirtschaftliche Schwierigkeiten, Mietzinsminderung, anwaltlicher Rat) ein.

§ 33 Abs 2 und 3 MRG ermöglicht dem Mieter die Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 1 MRG oder den Räumungsanspruch des Vermieters nach § 1118 ABGB selbst bei Vorliegen eines tatbestandsmäßigen Zahlungsrückstandes abzuwehren, wenn er einerseits den geschuldeten Betrag vor Schluss der Verhandlung in erster Instanz bezahlt und andererseits nachweisen kann, dass ihm am Zahlungsrückstand kein grobes Verschulden trifft. Der nachstehende Beitrag widmet sich der Frage, wann von einem solch groben Verschulden des Mieters ausgegangen werden kann und versucht den „gemeinsamen Nenner“ der – aufgrund der jeweils individuell zu bewertenden Umstände – stark kasuistischen Judikatur herauszuarbeiten.

I. Allgemeines

Zunächst ist festzuhalten, dass die Regelung des § 33 Abs 2 und 3 MRG nur im Teil- sowie Vollanwendungsbereich des MRG zur Anwendung gelangt, nicht jedoch in der Vollausnahme des § 1 Abs 2 MRG. So kann etwa der Mieter eines Ein- oder Zweifamilienhauses iSd § 1 Abs 2 Z 5 MRG den Räumungsanspruch des Vermieters selbst dann nicht abwehren, wenn er nachweist, dass ihm am qualifizierten Rückstand nach § 1118 ABGB kein grobes Verschulden trifft.

Für das Fehlen eines groben Verschuldens am Mietzinsrückstand ist der Mieter behauptungs- und beweispflichtig (6 Ob 259/11y). Dabei reicht der bloß allgemeine Hinweis auf Zahlungsschwierigkeiten nicht aus, sondern es müssen die Umstände, die zum Rückstand führten, konkret dargelegt werden. Jeder verbleibende Zweifel geht zu Lasten des Mieters (1 Ob 274/03f).

Für die Beurteilung des groben Verschuldens ist die Willensrichtung des Mieters, die zur Zahlungssäumnis führte, entscheidend. Grobes Verschulden setzt nach ständiger Rechtsprechung ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (10 Ob 3/14k, 7 Ob 99/12b uvm).

Dabei stellt ein Zahlungsrückstand von wenigen Tagen oder wegen vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten grundsätzlich kein grobes Verschulden dar. Häufige Rückstände trotz mehrfacher Mahnung sind nur unter besonderen Umständen zu tolerieren (RS0070310). Auch das bisherige Zahlungsverhalten des Mieters vor dem Räumungsprozess ist zu berücksichtigen (3 Ob 71/12f mwN).

II. Einzelne Fallgruppen

Die Wertung des Verschuldensgrades stellt im Allgemeinen eine Frage des Einzelfalls dar. Nichtsdestotrotz liegt eine Vielzahl sowohl oberstgerichtlicher als auch landesgerichtlicher Entscheidungen zur Frage des groben Verschuldens nach § 33 Abs 2 MRG vor. Im Laufe der Zeit haben sich dabei einige Fallgruppen herauskristallisiert, die sich wie folgt darstellen lassen:

a. Wirtschaftliche Schwierigkeiten des Mieters

Tritt der Zahlungsrückstand aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Mieters ein, so hat der Mieter den Nachweis zu erbringen, dass er diese nicht grob fahrlässig herbeigeführt hat (MietSlg 63.396, MietSlg 65.420). So sieht die Judikatur etwa im kurzfristigen Zahlungsausfall eines Gewerbemieters aufgrund notwendiger Investitionen im Geschäftslokal (MietSlg 62.356: hier Reparaturen nach Einbruch) oder im Versuch des Mieters, das im Geschäftslokal betriebene Unternehmen zu retten, grundsätzlich kein grobes Verschulden (6 Ob 144/99s). Auch Rückstände, die auf eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit, etwa Teilinvalidität, zurückzuführen sind, sind zu tolerieren (MietSlg 44.494/62). Maßgeblich ist allerdings, dass die Rückstände unverzüglich nach Wegfall der Zahlungsschwierigkeiten beglichen werden und nicht jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz damit abgewartet werden kann.

b. Mietzinsminderung

Hinsichtlich der durch Mietzinsminderung nach § 1096 ABGB aufgetretenen Zahlungsrückstände gesteht die Rechtsprechung dem mindernden Mieter, aufgrund der im Einzelfall sehr schwierig zu bemessenden Höhe der Mietzinsminderung, richtigerweise einen gewissen Spielraum zu. Erst nach rechtskräftiger Festsetzung des wahren Mietzinsrückstandes durch Rückstandsbeschluss bzw Teilurteil ist in einem solchen Fall das Verschulden zu bewerten (MietSlg 65.190). Das bloße Verkennen des richtigen Ausmaßes einer im Grunde nach gegebenen Mietzinsminderung stellt in aller Regel kein grobes Verschulden dar (MietSlg 64.375).

c. Anwaltlicher Rat

Ein in der täglichen Praxis recht häufig eintretender Fall ist die Minderung des Mietzinses aufgrund anwaltlicher Empfehlung, etwa wegen Minderung nach § 1096 ABGB oder anhängigen Mietzinsüberprüfungsverfahren nach §§ 16 iVm 37 MRG. Soweit der Mieter auf rechtskundigen Rat angewiesen war, diesen in Anspruch nahm und auf die Empfehlungen des Rechtsbeistandes vertrauen durfte, liegt kein grobes Verschulden vor (MietSlg 65.409 = 10 Ob 8/13v). Allgemein können Zweifel über die wahre Rechtslage nur leichte Fahrlässigkeit begründen, erst das Beharren auf einen, bei nüchterner Betrachtung, erkennbar unrichtigen Rechtsstandpunkt stellt ein grobes Verschulden dar.

Hinsichtlich des Beurteilungsmaßstabes für die Erkennbarkeit der wahren Rechtslage stellt die Rechtsprechung auf den Verkehrskreis und die Stellung des Schuldners und nicht des beigezogenen Rechtsanwalts ab (10 Ob 8/13v = MietSlg 65.409). Dies bedeutet, dass dem rechtsunkundigen Mieter bei der Prüfung des Verschuldensausmaßes nicht die möglicherweise unvertretbare Rechtsansicht des Rechtsanwaltes als Sachverständigen iSd § 1299 ABGB angelastet werden kann. Nur dann, wenn dem Mieter als rechtlicher Laie die Unrichtigkeit der rechtsanwaltlichen Empfehlung bekannt sein musste und er trotz dieser Kenntnis sein Verhalten fortsetzt, ist ihm Rechthaberei und somit grobes Verschulden zu unterstellen.

III. Prozessuales

Ist die Höhe des Mietzinsrückstandes strittig, hat das Gericht im Kündigungs- oder Räumungsverfahren zunächst mittels selbstständig anfechtbaren Beschluss darüber zu entscheiden (im Räumungsverfahren mit verbundenen Zahlungsbegehren mittels Teilurteil). Dabei ist allerdings zu beachten, dass ein solcher Beschluss (Teilurteil) entfallen kann, wenn das Gericht von einem groben Verschulden ausgeht und eine Nachzahlung des Rückstandes folglich keine Bedeutung hätte (MietSlg 34.498). Dem Rechtsvertreter des Mieters ist es daher jedenfalls zu empfehlen, rechtzeitig vor dem Rückstandsbeschluss (Teilurteil) Vorbringen zu erstatten, das das Verschulden des Mieters am Zahlungsrückstand entkräftet.

IV. Resumée

Wie die Vielzahl der Entscheidungen zeigt, hat die Bestimmung des § 33 Abs 2 MRG eminente Bedeutung in der Rechtsanwendung. Obwohl die Beurteilung des Verschuldens stets einfallsbezogen ist, hat die Judikatur allgemeine Kriterien entwickelt, die zur Prüfung des Verschuldensausmaßes herangezogen werden können und letztlich auch den beteiligten Parteien sowie den rechtsberatenden Personen Aufschlüsse für den konkreten Einzelfall bieten können.

Autor

Mag. Philipp Ortbauer ist Jurist der Mietervereinigung Österreichs mit langjähriger Beratungserfahrung in sämtlichen Bereichen des österreichischen Wohnrechts und Vertretungstätigkeit in allen Angelegenheiten des wohnrechtlichen Außerstreitverfahrens.