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Hans Sandrini | News | 16.09.2019

Der „eingeschränkte Untersuchungsgrundsatz“ und seine Bedeutung im Verfahren auf Mietzinsüberprüfung

Gastautor Mag. Hans Sandrini erläutert anhand einer richtungsweisenden Entscheidung, welche Besonderheiten es in Mietzinsüberprüfungs-Verfahren zu beachten gilt und geht näher auf den sog. "eingeschränkten Untersuchungsgrundsatz" ein.

Allgemeines

Für die in das wohnrechtliche Außerstreitverfahren verwiesenen Angelegenheiten (insbes § 37 Abs 1 MRG, § 22 Abs 1 WGG, § 52 Abs 1 WEG und § 25 Abs 1 HeizKG) sind abweichend von den allgemeinen Verfahrensregeln des Zivilprozesses verschiedene Besonderheiten zu beachten. Es besteht ein schwierig zu überblickendes Nebeneinander von Regelungen des Außerstreitgesetzes, der Zivilprozessordnung, des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts und der in den einzelnen wohnrechtlichen Spezialmaterien (insbesondere § 37 Abs 3 MRG) geltenden Sonderregelungen, die dabei zur Anwendung gelangen.

Aus diesem Zusammenfallen verschiedener Verfahrensgesetze resultiert letztlich auch das Prinzip des „eingeschränkten Untersuchungsgrundsatzes“ mit dem sich vorliegende Beitrag im speziellen auseinander setzen soll.

Anlass für die nähere Auseinandersetzung mit diesem Verfahrensprinzip ist die seit der Entscheidung 5 Ob 74/17v stattgefundene Neuorientierung der Praxis bei der Ermittlung der Zulässigkeit eines Lagezuschlags, worauf weiter unten näher eingegangen wird.

Problemstellung

Nach dem Prinzip des „eingeschränkten Untersuchungsgrundsatzes“ obliegt es dem Gericht (der Schlichtungsstelle), den entscheidungswesentlichen Sachverhalt von sich aus zu ermitteln und zu erforschen, dies allerdings mit der wichtigen Einschränkung, dass die Amtswegigkeit der Untersuchungspflicht dort endet, wo ein entsprechendes Vorbringen durch die Parteien fehlt. Anders ausgedrückt, besteht die Nachforschungspflicht zur Sachverhaltsermittlung, grundsätzlich nur in dem Ausmaß, wo entsprechende Behauptungen durch die Verfahrensparteien erstattet wurden.

Beispiel: (Voll-)Anwendbarkeit des MRG

Ein prominentes und anschauliches Beispiel wo dieses Verfahrensprinzip zum Ausdruck kommt, ist die Frage der (Voll-)Anwendbarkeit des Mietrechtsgesetzes. Demnach ist eine (Teil-)Ausnahme vom Anwendungsbereich des MRG nur auf Einwand der Partei, die sich auf die Ausnahme beruft (im Regelfall der Vermieter) zu beachten. Fehlt ein solches Vorbringen, hat das Gericht (die Behörde) nicht von sich aus Erhebungen vorzunehmen, ob eine Ausnahme vorliegt, sondern solange von der Vollanwendbarkeit auszugehen, bis das Gegenteil behauptet und nachgewiesen wurde.

Beispiel: Richtwertmietzins

Es gibt aber auch Beispiele, wo sich die Einhaltung dieses Verfahrensprinzips weniger offenkundig darstellt. Oftmals beginnt das Problem bereits an der Stelle, wo einem Sachverständigen die „Ermittlung des gesetzlich zulässigen Richtwertmietzinses“ aufgetragen wird. Genau genommen handelt es sich dabei um keinen zulässigen Sachverständigenbeweis, weil dies auch die Beurteilung rechtlicher Fragen beinhaltet, wie insbesondere in welcher Höhe Zu- oder Abstriche für werterhöhende oder wertvermindernde Abweichungen von der mietrechtlichen Normwohnung anzusetzen sind. Tatsächlich entspricht es aber (zumindest in Wien) einer langjährigen Praxis, den Sachverständigen in Mietzinsüberprüfungsverfahren solche weitgefassten Gutachtensaufträge zu erteilen.

Problematisch war dabei schon immer, wenn vom Sachverständigen zugleich Aspekte erhoben werden, die eigentlich nichts mit der zulässigen Höhe des Richtwertmietzinses zu tun haben, sondern vielmehr mit der Frage seiner Anwendbarkeit an sich. So kommt es mitunter vor, dass in Gutachten beispielsweise Angaben darüber zu finden sind, wann ein Gebäude oder eine Wohnung errichtet oder umgebaut wurde und ob es allenfalls eine geförderte Wiederherstellung nach Kriegsschäden gegeben hat, die vom Vermieter begünstigt zurück gezahlt wurde.

Richtungsweisende Entscheidung zum Lagezuschlag

Verschärfend hinzugekommen ist nun, dass anlässlich der Entscheidung 5 Ob 74/17v die prinzipielle Zulässigkeit eines Lagezuschlags nicht mehr wie zuvor allein aus dem Grundkostenanteil und der Einordnung der Liegenschaft in ein Gründerzeitviertel, sondern nach der „allgemeinen Verkehrsauffassung und Erfahrung des täglichen Lebens“, zu ermitteln ist.

In seiner Entscheidung verweist der OGH aber unter Bezugnahme auf die Lehre auch darauf, dass „die Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens konkreter wertbestimmender Faktoren der Wohnumgebung, die die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage rechtfertigen, den Vermieter treffe“ (siehe 5 Ob 74/17v, Pkt 3.4.)

Tatsächlich ist es aber gang und gäbe, dass der Sachverständige sämtliche ihm wesentlich erscheinenden Lageumstände von sich aus erhebt und in seinem Gutachten anführt. Oftmals wird dies auch mit der rechtlichen Bewertung verbunden, ob sich daraus eine Überdurchschnittlichkeit im Sinne des Gesetzes ergeben würde, sodass ein Lagezuschlag gerechtfertigt wäre.

Dies stellt aus Sicht des Autors einen Verstoß gegen das hier thematisierte Prinzip des eingeschränkten Untersuchungsgrundsatzes dar. Dabei sollte man sich auch vergegenwärtigen, dass der Gesetzgeber sich mitunter bewusst vager Rechtsbegriffe bedient, weil es – wie eben bei der Frage, ob eine Lage als durchschnittlich zu qualifizieren ist – keine objektiv messbare Wahrheit gibt, sondern eine solche Beurteilung immer auch von persönlichen Wertvorstellungen geprägt ist. Dementsprechend gilt – anders als beispielsweise in der Strafprozessordnung – auch nicht das Prinzip der Erforschung einer materiellen Wahrheit.

Nach Vorliegen eines Gutachtens macht es dann oft keinen Sinn mehr sich auf die Unzulässigkeit und Unbeachtlichkeit der Erhebungen des Sachverständigen zu berufen, da es für die Gegenpartei genügt, wenn sie in weiterer Folge die Ausführungen des Sachverständigen zu ihrem eigenen Vorbringen erhebt.

Fazit

Es ist daher ratsam bereits beim Gutachtensauftrag darauf zu achten, dass dieser entsprechend konkret formuliert und begrenzt wird. Da es sich wie aufgezeigt um eine gewachsene Struktur handelt, die aufgebrochen werden muss, wird es mitunter einiger Überzeugungsarbeit des Parteienvertreters bedürfen. Gerade deshalb erscheint es aber wichtig, hier eine Sensibilität zu schaffen und ein stärkeres Bewusstsein für das eingeschränkte Untersuchungsprinzip zu fördern.

Autor

Mag. Hans Sandrini ist Jurist der Mietervereinigung Österreichs mit langjähriger Beratungserfahrung in sämtlichen Bereichen des österreichischen Wohnrechts und Vertretungstätigkeit in allen Angelegenheiten des wohnrechtlichen Außerstreitverfahrens.