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Ulrich Wanderer | News | 08.04.2016

Es kann der Frömmste in Frieden leben – Lösungsansätze für Nachbarschaftskonflikte

Gastautor Mag. Ulrich Wanderer, Jurist und Mediator in Wien, stellt verschiedene Möglichkeiten vor, Nachbarschaftskonflikte zu lösen – neben Polizei, Anwalt oder Schlichtungsstelle kann auch ein Mediator eine sinnvolle Anlaufstelle sein.

Ja, wenn es den Nachbarn gefällt, kann der Frömmste freilich in Frieden leben. Doch jener Prozentsatz, welcher sich entweder nicht zu den Frömmsten oder zu den Glücklichen zählt, die entsprechende Nachbarn haben, leidet unter diversen Beeinträchtigungen des Wohnklimas. Wie nun soll der geplagte Mieter/Eigentümer damit umgehen, wenn sein Bedürfnis nach ungestörter Ruhe in den eigenen vier Wänden missachtet wird und in subjektiv empfundenen Psychoterror ausartet?

Wie andererseits können Streitigkeiten zwischen Vermieter und Mieter auf Basis des Mietvertrages gelöst werden? Ist hier der Gang zu Gericht zwingend oder gibt es auch andere Wege der Konfliktreglung? Kann Mediation beispielsweise in einem Fall helfen, in dem der Mietzins nicht gezahlt wird, das Mietobjekt vertragswidrig genutzt wird oder ein bestandschädigendes Verhalten an den Tag gelegt wird?

Der lärmende Nachbar

Leider kennt man es zu oft aus eigener Erfahrung: die lange leer stehende Wohnung wird neu vermietet, vielleicht auch noch schlecht saniert und schon wird die zuvor als Ruheoase geltende Wohnung zur Lärmhölle. Springende Kinder, lautes Fernsehen und der Ton des Weckers, welcher mit aufdringlicher Regelmäßigkeit um 6:00 den täglichen Radau einläutet, während man selber eigentlich noch bis um 7:00 schlafen könnte. Welche Wege gibt es nun, um endlich wieder Ruhe zu finden, um vielleicht sogar den Nachbarn als mehr als nur einen Störfaktor zu erleben?

Erste Anlaufstelle: Polizei

Als gelernter Wiener ist oft die Polizei die erste Anlaufstelle, wenn nach 22:00 noch Lärm aus der Nachbarschaft dringt. Erscheinen die Beamten dann nach wenigen Minuten, so wird erst festgestellt, ob die Lärmbelästigung noch besteht, daraufhin statten die Polizisten den Nachbarn einen Besuch ab und weisen auf die Lärmbelästigung hin. Für kurze Zeit, möglicherweise für den betreffenden Abend kommt es so zu einer Besserung der Situation für den lärmgeplagten Nachbarn, doch das Nachbarschaftliche Klima ist längerfristig gestört. Erfahrungsgemäß bietet sich also die Zuhilfenahme der Polizei dann an, wenn - aus welchem Grund auch immer - weniger Wert auf eine längerfristige gute Nachbarschaft gelegt wird, weil beispielsweise der Kontakt nur selten besteht.

Die Sicht des Anwalts im Konfliktfall

Sollte freilich die Nachbarschaft schon dermaßen zerrüttet sein, dass keine Wiederherstellung einer positiv besetzen Freundschaft zu erwarten ist, so kann die Einschaltung der Polizei auch dahingehend sinnvoll sein, dass Beweise für die Lärmerregung hinsichtlich eines Gerichtsverfahrens geschaffen werden. Ist man als Mieter rechtsschutzversichert oder Mitglied einer Mieterinteressensvertretung, so wäre der Gang zum Anwalt und fortan zu Gericht kein finanzielles Risiko. In einem spannenden Interview formuliert RA Dr. Alexander Illedits für das Magazin „Der Trend“[1] jedoch einige Aussagen, die die Erfolgsaussichten einer entsprechenden Klage beschreiben: Es gelte zwar grundsätzlich das Rücksichtnahmegebot des ABGB, doch schränken oft die Tatsachen die unmittelbare Wirkung einer Verwaltungs- oder Gerichtsstrafe ein.

Strafen und Klagen

So kann es bis zu 1 1/2 Jahren dauern, bis im Verwaltungsstrafverfahren eine Geldstrafe für eine Lärmbelästigung verhängt wird, so der Anwalt. Während der Ruhestörer bis dahin keinerlei Konsequenzen für sein Verhalten spürt, steigt der Leidensdruck des Beschwerdeführers weiterhin. Kommt es nach 18 Monaten schlussendlich zu einer Sanktion, so wird dies als Angriff auf den Nachbarn empfunden und die Chance auf eine friedliche Nachbarschaft begraben.

Ebenso kann zwar mit einer „Lärmstörungsunterlassungsklage" gerichtlich am örtlich zuständigen BG gegen die akustische Belästigung vorgegangen werden, wie Dr. Illedits erwähnt, doch zeigt die Erfahrung, dass die Wirkung einer solchen allfälligen Stattgebung der Klage auch nur begrenzt anhält. Darüber hinaus wäre eine Abweisung aus welchem Grund auch immer eine Bestätigung des Ruhestörers und somit ein Persilschein für eine Fortführung der Belästigung. Noch frustrierender scheint der Kampf gegen Geruchsbelästigungen durch Grillen im Garten oder Tabakkonsum im Freien. Hier kommt es zwar auch auf die Einzelfallgestaltung an, doch spricht auch der Immobilienanwalt von geringen Aussichten. Dass es bei einer Lärmstörung nicht auf das subjektive Lärmempfinden, sondern viel mehr auf die objektiven Gegebenheiten und die Ortsüblichkeit ankommt, mag dem einzelnen, sei er nun nachtdienstgeplagter Arzt oder Studentin unmittelbar vor der Diplomprüfung ebenso wenig helfen.

Fraglos ist die Möglichkeit einer Klagsdrohung zu begrüßen, es ist wichtig, sich im Falle eines Rechtsbruches als ultima ratio an das Gericht wenden zu können. Doch, oft sind andere Wege mit geringerem Aufwand vorher möglich.

Schlichtungsstelle

Um die Gerichte zu entlasten, wurde in Angelegenheiten des WGG und des MRG in einigen Städten die Schlichtungsstelle dem BG vorgeschalten. Anträge des Mieters sind vorerst dort einzubringen, eine Entscheidung der Schlichtungsstelle muss jedoch nicht anerkannt werden, sondern kann weiter zu Gericht abgezogen werden und mündet nun weiter in ein ordentliches Verfahren. Übliche Anträge an die Schlichtungsstelle wären: Durchführung von Wartungsarbeiten, Mietzins-, Betriebskostenüberprüfung, sowie Rückforderung von illegalen Ablösen.

Interessensvertretungen der Mieter

Die Mietervereinigung bzw der Mieterschutzverband leistet im Gegensatz dazu zwar Beratungsarbeit und bietet seinen Mitgliedern auch rechtliche Vertretung im Streitfalle, doch dienen beide Institutionen nicht als Instanzen der Streitschlichtung zwischen Mietern oder Mieter und Vermieter.

Hausverwaltungen

Hausverwaltungen hingegen spielen sehr wohl manchmal eine Rolle in der konsensualen Beilegung von Bewohnerkonflikten. Insbesondere jene Hausverwaltungen, die sich neben der reinen Immobilienentwicklung bzw -verwaltung auch dem sozialen Frieden innerhalb der Wohnhausanlage verschrieben haben, sehen sich entweder direkt oder auch über die im Konfliktfall herangezogenen Mediatoren auch als Vermittler zu Gunsten eines konsensorientierten Miteinanders.

Hausvertrauensleute

Die Institution der „Hausvertrauensleute“ ist zwar in vielen Häusern üblich, wenngleich aber gesetzlich nicht vorgesehen. Bei ihnen können die Miteigentümer ihre Bedenken und Anliegen deponieren, sie können, so es eine dahingehende Einigung gibt, dann als Ansprechpartner für die Hausverwaltung dienen. Mangels gesetzlicher Regelung haben die Hausvertrauensleute keinerlei Entscheidungsgewalt, und können daher nur informell als Anlaufstellen für hausinterne Konflikte dienen. Gerade diese Ungezwungenheit ermöglicht jedoch oft unbürokratische und persönliche Lösungen, welche den Hausfrieden langfristig eher sichern können, als der Gang zu Gericht.

Nachbarschaftsmediation

Insbesondere im Gegensatz zu jenen rein obrigkeitlichen Ansätzen der Konfliktreglung durch Gericht und/oder Polizei hat sich die Nachbarschaftsmediation in jenen Konfliktfällen bewährt, in denen die Nachbarn auch nach einer Entscheidung wieder zurück zu einem gütlichen Miteinander finden sollen. Nachdem in der Mediation die Verantwortung nicht an eine übergeordnete Instanz delegiert wird, sondern der Mediator rein als allparteilicher Mittler fungiert, welcher die Bedürfnisse der Parteien herausstreicht, erarbeiten diese ihre eigene Lösung für ihren rein persönlichen Konflikt. Die Aussichten einer solchen Mediation sind dabei umso positiver, solange einerseits keine außenstehenden Personen in Koalitionen einbezogen wurden und andererseits die Hausordnung bzw Hausverwaltung keine Einwände gegen die möglichen Lösungsansätze hat. Beispielsweise kann in manchen Fällen der Einzug einer Lärmdämmung zwar das von beiden Medianden gewünschte Mittel der Wahl sein, doch widerspricht die Hausverwaltung einer nachhaltigen baulichen Veränderung. In solchen Fällen bedarf es dann frei nach den Motto „Statt ob, frag wie“ eines neuen Ansatzes, um unter Einbeziehung aller Aspekte eine nachhaltige Lösung zu finden.
Mit entsprechender Kreativität wird in einer Vielzahl der Fälle[2] eine konsensorientierte Einigung erzielt, welche allen Parteien den gewünschten Frieden in den eigenen 4 Wänden wiederherzustellen vermag.

Beispiel für Mediation

Nachdem in der Regel am Beginn eines Nachbarschaftskonfliktes unausgeräumte Missverständnisse stehen, sei abschließend der folgende Fall als Praxisbeispiel einer Mediation genannt:

Ein Bankangestellter hatte sich über den regelmäßigen Lärm aus der Nachbarwohnung aufgeregt, wusste jedoch nichts über die Person seines Nachbarn. In einer ersten Sitzung stellte sich heraus, dass nicht nur die uneingeschränkte Bereitschaft des italienischen Nachbarn zur Benutzung von Kopfhörern gegeben war, sondern dass darüber hinaus auch noch der Banker einen Konversationspartner gefunden hatte, um eine länger geplante Italienreise vorzubereiten.

Genau so individuell wie jeder einzelne Nachbarschaftskonflikt, sind auch die einzelnen Lösungsansätze. Während in manchen Fällen eher obrigkeitliches Einschreiten angebracht scheint, bietet die Mediation die Möglichkeit, eine selbstbestimmte Lösung für die eigene Lebensqualität zu finden.

Autor

Mag. Ulrich Wanderer

Geboren 1971 in Wien, arbeitet als Jurist und Mediator in Wien, Kärnten und Niederösterreich

Hauptaufgabengebiete als Mediator: Familienmediation, Nachbarschaftsmediation, Arbeitsplatzmediation

Herausgeber des Handbuch Mediation (WEKA Verlag)

www.mediation-wanderer.at

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[1] http://www.trend.at/service/recht/so-sie-nachbarn-wehr-375081

[2] Eine statistische Auswertung einer großen Wiener Hausverwaltung spricht von einer Erfolgsquote von 76 %