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Dokument-ID: 874171

WEKA (epu) | News | 07.12.2016

Rauchverbot in der eigenen Wohnung bei geöffnetem Fenster bzw auf der eigenen Terrasse?

Zigarrenrauch, der aus dem geöffneten Fenster/von der Terrasse einer Wohnung in eine darüber gelegene eindringt, kann eine unzulässige mittelbare Immission iSd § 364 Abs 2 ABGB darstellen.

Geschäftszahl

2 Ob 1/16k; OGH; 16. November 2016

Norm

§ 364 Abs 2 ABGB; Art 8 EMRK

Leitsatz

Quintessenz:

Zigarrenrauch, der aus dem geöffneten Fenster/von der Terrasse einer Wohnung in eine darüber gelegene eindringt, kann eine unzulässige mittelbare Immission iSd § 364 Abs 2 ABGB darstellen. Dem dadurch Beeinträchtigten kann bei Überschreitung des ortsüblichen Ausmaßes sowie wesentlicher Beeinträchtigung der ortsüblichen Nutzung seiner Wohnung ein je nach Jahreszeit unterschiedlich ausgeprägter, auf bestimmte Tageszeiten beschränkter Unterlassungsanspruch zustehen.

OGH: § 364 Abs 2 verleiht dem Eigentümer eines Grundstücks das Recht, die Unterlassung vom Nachbargrundstück ausgehender Einwirkungen durch „Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche“, die das den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen, zu begehren; die unmittelbare Zuleitung ist hingegen grundsätzlich unzulässig. Dieser Anspruch steht auch bloß obligatorisch Nutzungsberechtigten zu. Im vorliegenden Fall begehrte der Mieter einer in der Wiener Innenstadt gelegenen Wohnung die Unterlassung der Rauch- und Geruchseinwirkungen auf seine Wohnung, die durch das Zigarrenrauchen des schräg unterhalb wohnhaften Mieters bei offenem Fenster/auf der Terrasse bzw durch das nachfolgende Lüften zu Tages- und Nachtzeiten bewirkt wurden. Ein Schlafen bei geöffnetem Fenster und/oder geöffneter Terrassentür sei wegen des penetranten Geruchs ausgeschlossen, er müsse sich beim Lüften nach den Rauchgewohnheiten des Beklagten richten und ein Frühstücken auf der Terrasse sei ebenfalls nicht möglich.

Beim Eindringen des Rauches von in der schräg unterhalb liegenden Nachbarwohnung bzw auf deren Terrasse gerauchten Zigarren durchs Fenster handelt es sich um eine mittelbare Immission, da der Rauch nur über die aufsteigende Luft und damit über ein Medium in die Wohnung gelangen kann, also keine unmittelbare Zuleitung iSd § 364 Abs 2 zweiter Satz vorliegt. Aus diesem Grund sind für das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs kumulativ das Übersteigen der Ortsüblichkeit der Einwirkung einerseits und eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benützung des Grundstücks andererseits erforderlich.

Für die Prüfung des Vorliegens einer unzulässigen Immission ist sowohl für die „örtlichen Verhältnisse“ als auch für die „ortsübliche Benutzung“ in größeren Städten der betroffene Stadtteil maßgeblich – im konkreten Fall die Wiener Innenstadt. Etwa 25 % der österreichischen Bevölkerung gelten als Raucher, die allgemeine Akzeptanz gegenüber dem Rauchen sinkt jedoch. Es gibt keinen Hinweis, dass sich in der Wiener Innenstadt der Raucheranteil vom österreichischen Durchschnitt unterscheidet und es ist anzunehmen, dass dieser Bevölkerungsteil nicht nur in Raucherlokalen bzw im Freien, sondern auch in der eigenen Wohnung raucht. Nach der Lebenserfahrung lüften Raucher nach dem Tabakkonsum oder benützen überhaupt einen Balkon. Nur unter diesem gesondert betrachteten Aspekt müsste „Rauchen auf dem Balkon“ als ortsüblich toleriert werden, wobei eine Gesundheitsgefährdung der von den Rauchimmissionen Betroffenen die Ortsüblichkeit jedenfalls ausschließen würde. Eine solche konnte im vorliegenden Fall jedoch nicht festgestellt werden. Für die Ortsüblichkeit der Rauchimmissionen ist jedoch neben dem Verhalten der Raucher auch die von Nichtrauchern in der Regel als unangenehm und störend empfundene Geruchsentwicklung relevant, die insb beim Rauchen am geöffneten Fenster oder auf dem Balkon das ortsübliche Ausmaß übersteigen kann. Im konkreten Fall lag eine von Dauer (bis zu fünfeinhalb Stunden täglich) und Intensität (Zigarre) Geruchsbelastung der beeinträchtigten Wohnung vor, die nicht mehr als ortsüblich bezeichnet werden kann.

Die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung ist objektiv vom Standpunkt eines verständigen Durchschnittsmenschen in der Lage des Gestörten aus zu prüfen, der – dem im Nachbarrecht gebotenen Interessenausgleich entsprechend – auf die allgemeinen Interessen und gesellschaftlich bedeutsamen Gesichtspunkte wenigstens auch Bedacht nimmt. Ein deutlich, mitunter mehrere Stunden lang wahrnehmbarer Zigarrengeruch auf der Terrasse und der Wohnung ist für den durchschnittlichen Nichtraucher auffällig und störend und stellt jedenfalls eine wesentliche Beeinträchtigung des ortsüblichen Gebrauchs der Wohnung dar, sofern der Zigarrenkonsum zeitlich mit der Terrassennutzung und/oder dem Offenhalten von Terrassentür und/oder Fenster zusammenfällt.

Die Rechtsprechung zu Geräuschimmission besagt, dass nicht nur Lautstärke, Häufigkeit und Dauer des erzeugten Lärms relevant für die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung sind, sondern auch die Tageszeit, da vor allem die besonders belastende Störung der Nachtruhe verhindert werden soll, wobei als „Nachtzeit“ die Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr anzusehen ist. Da die Störung der Nachtruhe durch intensive Geruchsbelästigung ebenso belastend sein kann wie eine solche durch Lärm, ist diese Wertung auf den vorliegenden Fall zu übertragen und resultiert in einer Interessenabwägung zugunsten des Beeinträchtigten für die Nachtzeit: Sein Bedürfnis, in seiner Nachtruhe nicht gestört zu werden, überwiegt jenes des Rauchenden, seinen Arbeitsalltag mit einer nächtlich konsumierten Zigarre zu beenden. Daher ist seine Möglichkeit, ungestört bei geöffnetem Fenster schlafen zu können, durch Zigarrengeruch nicht einzuschränken. Der Schutz, der Nichtrauchern nach dem TNRSG in öffentlichen Räumen, Gaststätten etc gewährt werden soll, ist ihnen umso mehr in ihrer Wohnung zu gewähren. Da der durchschnittliche Wohnungsmieter jedoch längstens in der Jahreszeit von Mai bis einschließlich Oktober üblicherweise bei geöffnetem Fenster/geöffneter Terrassentür schläft, liegt auch nur in diesem Zeitrahmen eine wesentliche Beeinträchtigung durch die Rauchimmissionen zwischen 22:00 und 6:00 Uhr vor.

Auch für die Prüfung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung durch die Rauchimmissionen zur Tageszeit kann die Rechtsprechung zu Lärmeinwirkungen herangezogen werden, die festhält, dass etwa bei der Beeinträchtigung durch stundenlanges Klavierspielen in der Nachbarwohnung die „üblichen Ruhezeiten“ zu beachten sind. Auch hier ist unter Berücksichtigung der Wertung des TNRSG zum Schutz vor eindringlichem Rauch eine zeitliche Regelung zu treffen, die dem nachbarrechtlichen Rücksichtnahmegebot entspricht (eine vergleichbare Entscheidung traf der BGH in seinem Urteil vom 16.01.2015, V ZR 110/14). Hier sind die Gewohnheiten des maßgeblichen „Durchschnittsmenschen“ nach der Lebenserfahrung heranzuziehen, dem in den Monaten von Mai bis einschließlich Oktober für die üblichen „Ruhe- und Essenszeiten“ von 8:00 bis 10:00 Uhr, 12:00 bis 15:00 Uhr und 18:00 bis 20:00 Uhr ein Anspruch auf Unterlassung der Rauchimmissionen zusteht, um ihm die Nutzung der Terrasse zur Einnahme der Mahlzeiten und die Mittagsruhe bei geöffnetem Fenster/geöffneter Terrassentür zu ermöglichen ist. In der Jahreszeit von November bis einschließlich April hingegen muss er zumindest Gelegenheit haben, seine Wohnung unbeeinträchtigt zu lüften bzw Frischluft zuzuführen, weshalb ihm hier immissionsfreie Zeiten von 8:00 bis 9:00 Uhr, 13:00 bis 14:00 Uhr und 19:00 bis 20:00 Uhr zuzubilligen sind.

Das mit dieser zeitlichen Regelung ausgesprochene Immissionsverbot greift mittelbar in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens nach Art 8 Abs 1 EMRK des Rauchenden ein, da dessen Lebensführung nach eigenen Vorstellungen eingeschränkt wird. Demgegenüber steht jedoch dasselbe Grundrecht des durch die Rauchimmissionen Beeinträchtigten, der durch einen unbeschränkten Tabakkonsum des anderen in seiner rauchfreien Lebensgestaltung gestört wird. Die umfassende Güter- und Interessenabwägung, die im Falle einer solchen Kollision ein- und desselben Grundrechts vorzunehmen ist, ergibt, dass der durch das Immissionsverbot mittelbar erfolgende Eingriff in das Grundrecht des Rauchenden weniger schwer wiegt als der Eingriff in das Grundrecht seitens des Beeinträchtigten ohne das Verbot. Es liegt kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht des Rauchers vor, insb da dieser weiterhin jederzeit bei geschlossenen Fenstern rauchen kann.

Ein zeitlich unbeschränktes Rauchverbot kann auch mittels Abtretung von Unterlassungsansprüchen des Vermieters wegen Verletzung der Hausordnung auf den beeinträchtigten Mieter nicht erreicht werden. Solche Ansprüche sind – wie das Kündigungsrecht des Vermieters bei gesetz- oder vertragswidriger Verwendung des Mietgegenstandes und dadurch bedingter erheblicher Beeinträchtigung wichtiger wirtschaftlicher Interessen – Teil des Bestandverhältnisses und als solcher unselbstständig und für sich selbst nicht veräußerbar. Eine Abtretungserklärung begründet eine nach österreichischem Recht unzulässige gewillkürte Prozessstandschaft, für eine Geltendmachung des Unterlassungsanspruches fehlt es dem beeinträchtigen Mieter mangels Gültigkeit der Abtretung an der aktiven Klagslegitimation.

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