Dokument-ID: 762565

Judikatur | Entscheidung

10 Ob 58/14y; OGH; 24. Februar 2015

GZ: 10 Ob 58/14y | Gericht: OGH vom 24.02.2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn in der Rechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Sunder-Plaßmann Loibner & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, wegen Unterlassung (Streitwert EUR 6.000,–), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 18. August 2014, GZ 64 R 42/14w-5, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 14. April 2014, GZ 5 C 174/14d-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Klägerin bringt vor, Mieterin mehrerer Objekte im Haus *****, zu sein. Die Beklagte habe im selben Haus ein angrenzendes Objekt mit Terrasse angemietet. Auf dieser habe sie unmittelbar vor den Fenstern der von der Klägerin gemieteten Räumlichkeiten bewegliche Pflanzentröge aufgestellt. Dadurch sei der Klägerin Licht und die Sicht nach draußen genommen. Zusätzlich komme es bei Regen zu einer Verschmutzung der Fenster. Nach § 364 ABGB habe es die Beklagte zu unterlassen, Pflanzen in Trögen mit einer Höhe von mehr als 85 cm sowie Pflanzentröge mit einer Höhe von mehr als 50 cm vor den Fenstern der von der Klägerin gemieteten Räumlichkeit aufzustellen.

Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Die Klägerin mache einen Anspruch nach § 364 Abs 3 ABGB geltend. Eine Klage nach dieser Bestimmung sei aber nur dann zulässig, wenn zuvor eine Schlichtungsstelle befasst, ein Antrag nach § 433 Abs 1 ZPO gestellt oder der Streit einem Mediator unterbreitet worden sei und binnen 3 Monaten keine gütliche Einigung habe erzielt werden können. Da der Klage eine entsprechende Bestätigung nicht angeschlossen sei, sei sie mangels dieser Prozessvoraussetzung zurückzuweisen.

Dem dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin gab das Rekursgericht nicht Folge. § 364 Abs 3 ABGB beziehe sich nicht ausdrücklich nur auf Pflanzen im Boden. Primäre Absicht des Gesetzgebers sei die Prozessvermeidung in Nachbarschaftskonflikten verursacht durch Beeinträchtigung durch Pflanzenwuchs gewesen. Eine Klagsführung sei daher erst nach einem Schlichtungsversuch zulässig.

Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, da höchstgerichtliche Judikatur zur Frage einer analogen Anwendung des § 364 Abs 3 ABGB bzw Art III ZivRÄG 2004 auf Streitigkeiten zwischen Mietern von Nachbarwohnungen wegen Bepflanzungen auf Terrassen fehle.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des Verfahrens aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Unmittelbare Zuleitung ist ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig. Nach Abs 3 dieser Gesetzesstelle kann der Grundeigentümer ebenso einem Nachbarn die von dessen Bäumen oder anderen Pflanzen ausgehenden Einwirkungen durch den Entzug von Licht oder Luft insoweit untersagen, als diese das Maß des Abs 2 überschreiten und zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks führen. Bundes- und landesgesetzliche Regelungen über den Schutz von oder vor Bäumen und anderen Pflanzen, insbesondere über den Wald-, Flur-, Feld-, Ortsbild-, Natur- und Baumschutz, bleiben unberührt.

In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 173 BlgNR 22. GP 3) wird in diesem Zusammenhang zur geltenden Rechtslage ausgeführt, dass sich der Nachbar gegen fremde Bäume und Pflanzen nur insoweit zur Wehr setzen kann, als er herüberhängende Äste abschneiden und herüberwachsende Wurzeln ausreißen kann. Andere Beeinträchtigungen durch fremde Pflanzen muss er dagegen dulden. In Hinkunft soll dem von negativen Immissionen benachbarter Bäume und anderer Pflanzen betroffenen Grundeigentümer unter bestimmten Voraussetzungen ein Unterlassungsanspruch gegen seinen Nachbarn zustehen. Es liegt dann beim Störer, also zB beim Eigentümer der Gewächse, dem gerichtlichen Urteil entsprechend nachzukommen, sei es, dass er (im Regelfall) die Pflanze „ausästet“ oder auf das noch tolerable Maß zurückschneidet, sei es, dass er sie versetzt, sei es, dass er sie als „ultima ratio“ überhaupt beseitigt. Die §§ 421 und 422 ABGB sollen die Rechtsfragen rund um Bäume und Gewächse auf fremden Grund nicht mehr ausschließlich und exklusiv regeln (ErläutRV 173 BlgNR 22. GP 11 ff).

Nach Art III ZivRÄG 2004, BGBl I 2003/91, hat ein Nachbar vor der Einbringung einer Klage im Zusammenhang mit dem Entzug von Licht oder Luft durch fremde Bäume oder Pflanzen (§ 364 Abs 3 ABGB) zur gütlichen Einigung eine Schlichtungsstelle zu befassen, einen Antrag nach § 433 Abs 1 ZPO zu stellen oder – sofern der Eigentümer der Bäume oder Pflanzen damit einverstanden ist – den Streit einem Mediator zu unterbreiten. Die Klage ist nur zulässig, wenn nicht längstens innerhalb von 3 Monaten ab Einleitung des Schlichtungsverfahrens, ab Einlangen des Antrags bei Gericht oder ab Beginn der Mediation eine gütliche Einigung erzielt worden ist. Der Kläger hat der Klage eine Bestätigung der Schlichtungsstelle, des Gerichts oder des Mediators darüber anzuschließen, dass keine gütliche Einigung erzielt werden konnte.

Voraussetzung für die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs aufgrund eines Anspruchs nach § 364 Abs 3 ABGB ist demnach der Versuch einer außergerichtlichen Streitbeilegung im vorgenannten Sinn und das Verstreichen eines Zeitraums von 3 Monaten ab dem jeweils maßgebenden Zeitpunkt ohne gütliche Einigung (4 Ob 196/07p).

Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagsbehauptungen) maßgebend. Maßgeblich ist die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruchs, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung ist (RIS-Justiz RS0045584).

Die Klägerin begehrt die Unterlassung von Immissionen ausgehend von vor den Fenstern der von ihr angemieteten Räumlichkeiten aufgestellten beweglichen Trögen und der darin eingesetzten Pflanzen, ohne sich dabei auf § 364 Abs 3 ABGB zu berufen. Zu prüfen ist daher, ob sie – wie von den Vorinstanzen angenommen – inhaltlich einen Anspruch nach § 364 Abs 3 ABGB geltend macht, ob also der Klagssachverhalt dieser Bestimmung unterstellt werden kann. Dies hängt letztlich davon ab, ob der in § 364 Abs 3 ABGB verwendete Begriff „Pflanzen“ auch nicht mit dem Boden verwurzelte, in Töpfen oder Trögen eingesetzte Pflanzen umfasst.

Allgemein ist bei der Gesetzesauslegung von der wörtlichen (sprachlichen, grammatikalischen) Auslegung, die nach dem Wortsinn der Norm und innerhalb des durch den äußerst möglichen Wortsinn abgesteckten Rahmens nach der Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch oder dem des Gesetzgebers und in seinem Zusammenhang innerhalb der Regelung fragt, auszugehen (Posch in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 6 Rz 5 mwN; vgl auch P. Bydlinski in KBB4 § 6 Rz 3 mwN). Die Gesetzesauslegung darf aber bei der Wortinterpretation nicht stehen bleiben. Der Sinn einer Bestimmung ist unter Bedachtnahme auf deren Zweck zu erfassen (objektiv-teleologische Interpretation). Die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe sind selbstständig weiter und zu Ende zu denken (vgl RIS-Justiz RS0008836).

Geht der Wortlaut eines Gesetzes über den eindeutigen Gesetzeszweck hinaus, dann kommt die teleologische Reduktion zum Tragen. Diese stellt bei zu weit geratenen gesetzlichen Tatbeständen das Gegenstück zur Analogie dar (P. Bydlinski in KBB4 § 7 Rz 5 mwN ua). Sie verschafft der ratio legis gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Durchsetzung (RIS-Justiz RS0008979), indem sich die (letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende) Auslegung am Gesetzeszweck orientiert (RIS-Justiz RS0106113 ua).

Auch wenn § 364 Abs 3 ABGB allgemein von Bäumen und sonstigen Pflanzen spricht, daher rein nach dem Wortlaut darunter auch Topf-, Kübelpflanzen oder auch Pflanzen in Trögen wie im vorliegenden Fall verstanden werden könnten, ergibt sich aus dem Zweck der Bestimmung, dass sie nur auf mit dem Erdreich verwurzelte Pflanzen Anwendung findet.

Da das Gesetz ausschließlich auf Einwirkungen durch den Entzug von Licht oder Luft ausgehend von Bäumen und anderen Pflanzen abstellt (Oberhammer in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 364 Rz 29; Kerschner/E. Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 364 Rz 356), beinhaltet es zugleich eine Abgrenzung einerseits gegenüber unbeweglichen Störelementen, die keiner natürlichen Wachstumsveränderung unterliegen (zB Gebäuden) sowie andererseits gegenüber allen beweglichen Objekten, jedenfalls soweit es sich nicht um Pflanzen handelt.

Allerdings gibt es keine Grundlage dafür, verstellbare Pflanzen anders zu behandeln als etwa einen Paravent, einen künstlichen Sichtschutz oder sonst an der Liegenschaftsgrenze aufgestellte Objekte. Eine Differenzierung ausschließlich über den Begriff „Pflanze“ würde etwa dazu führen, dass ein jahreszeitlich bedingt leerer Pflanzentrog nicht § 364 Abs 3 ABGB unterliegt, ein begrünter dagegen schon.

Dagegen birgt gerade der Umstand, dass im Boden verwurzelte Pflanzen nicht ohne weiteres umgestellt werden können, sondern Beeinträchtigungen, die von ihnen ausgehen, nur durch Eingriff in die Sache selbst, etwa durch Rückschnitt, behoben werden können, das besondere Konfliktpotential, dem der Gesetzgeber durch die Regelung des § 364 Abs 3 ABGB und das vorangehende außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren begegnen wollte.

Die bereits oben zitierten Ausführungen in den Erläuternden Bemerkungen zur RV 173 BlgNR 22. GP zeigen, dass der Gesetzgeber ganz offensichtlichen von diesem eingeschränkten Verständnis des Begriffs „Pflanzen“ ausgegangen ist. Diese Auslegung wird auch durch den Verweis des § 364 Abs 3 ABGB auf die unberührt bleibenden Wald-, Flur-, Feld-, Ortsbild-, Natur- und Baumschutzbestimmungen, die sich im Allgemeinen auf mit dem Boden verwurzelte Pflanzen beziehen, bestätigt.

Es ist daher davon auszugehen, dass § 364 Abs 3 ABGB nur der Abwehr von Immissionen ausgehend von mit dem Boden verwurzelten Bäumen und Pflanzen dient.

Damit kann der in der Klage dargelegte Sachverhalt nicht § 364 Abs 3 ABGB unterstellt werden, weshalb auch kein zwingend vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren durchzuführen ist. Die Zurückweisung der Klage erfolgte daher zu Unrecht. Inwieweit der behauptete Anspruch grundsätzlich berechtigt ist, ist in diesem Stadium des Verfahrens nicht zu prüfen.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben, die Beschlüsse der Vorinstanzen ersatzlos zu beheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

Leitsätze

  • Zum Umfang des § 364 Abs 3 ABGB – Auf Topfpflanzen anwendbar?

    § 364 Abs 3 ABGB dient nur der Abwehr von Immissionen ausgehend von mit dem Boden verwurzelten Bäumen und Pflanzen. Einer Klage auf Unterlassung von Immissionen ausgehend von Topfpflanzen ist daher kein außergerichtliches Streitbeilegungsverfahren voranzustellen.
    WEKA (mpe) | Judikatur | Leitsatz | 10 Ob 58/14y | OGH vom 24.02.2015 | Dokument-ID: 762559