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Philipp Ortbauer | News | 14.07.2015

Alle Ansprüche bereinigt? Der mieterseitige Rücktritt vom Generalverzicht!

Gastautor Mag. Ortbauer gibt einen guten Überblick darüber, welche Möglichkeiten für Mieter bezüglich ihrer Ansprüche bestehen, wenn sie bei der Rückstellung der Wohnung eine Generalverzichtserklärung unterzeichnet haben.

Der folgende Gastbeitrag widmet sich der in letzter Zeit vermehrt auftretenden Praxis der Vermieter dem Mieter bei Rückstellung der Wohnung Erklärungen über den Verzicht sämtlicher Ansprüche aus dem Mietverhältnis abgeben zu lassen oder mit diesem zu vereinbaren, dass mit der Rückstellung sämtliche Ansprüche bereinigt sind. Folge solcher Vereinbarungen ist der für den Mieter oft wirtschaftlich gravierende Verlust der Möglichkeit der nachträglichen Mietzinsüberprüfung nach § 16 MRG oder etwa der Anspruchsverlust für Investitionskostenersätze gegen den Vermieter (§ 10 MRG, § 1097 ABGB).

Nachfolgend soll untersucht werden, ob und unter welchen Voraussetzungen ein mieterseitiger Rücktritt von einer solchen Vereinbarung möglich ist.

1. Rücktritt nach § 3 KSchG

Gemäß § 3 KSchG kann der Verbraucher von seinem Vertragsantrag oder vom Vertrag zurücktreten, wenn er seine Vertragserklärung weder in den vom Unternehmer für seine geschäftlichen Zwecke dauernd benützten Räumen noch bei einem von diesem dafür auf einer Messe oder einem Markt benützten Stand abgegeben hat.

Unstrittig ist mittlerweile, dass die Regelungen des KSchG grundsätzlich auf Bestandverhältnisse anzuwenden sind (siehe etwa 2 Ob 1/12d, 8 Ob 130/12v ua).

Voraussetzung für einen Rücktritt des Mieters von einer Vertragserklärung ist aber dennoch, dass ein Unternehmer-Verbraucher-Geschäft vorliegt. Dabei ist zu beachten, dass die Anwendbarkeit des KSchG in einem etwaigen Prozess vom Mieter zu behaupten und zu beweisen ist, also insbesondere, dass der Vermieter bei der Vermietung unternehmerisch tätig ist. Als Richtschnur sieht die Judikatur die Unternehmereigenschaft des Vermieters ab der Vermietung von fünf Bestandobjekten. Dies ist aber lediglich als Indiz zu betrachten, kann doch etwa bei der Betrauung Dritter mit den Aufgaben der Vermietung und Verwaltung (durch einen professionellen Hausverwalter) die Unternehmereigenschaft des Vermieters auch schon durch solche Umstände gegeben sein.

In den allermeisten Fällen werden die Verzichtserklärungen im Rahmen der Rückstellung der Wohnung getroffen, etwa durch Unterzeichnung einer entsprechenden Klausel auf dem Rückgabeprotokoll. Bei der vermieteten Wohnung handelt es sich um keinen vom Unternehmer für seine geschäftlichen Zwecke dauernd benutzten Raum (8 Ob 130/12v), sodass auch dieses Tatbestandsmerkmal nicht weiter strittig sein sollte.

Kritischer zu betrachten ist allerdings die Frage, ob in solchen Fällen eine Vertragserklärung des Mieters vorliegt, ist doch Ziel der Erklärung nicht einen neuen Vertrag abzuschließen, sondern die Ansprüche aus einem bereits beendeten Vertragsverhältnis zu bereinigen.

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Tatbestandsmerkmal der „Vertragserklärung“ – wie vom OGH in 2 Ob 1/12d zutreffend ausgeführt – weit auszulegen ist. Es umfasst nicht nur die auf Vertragsabschluss gerichteten Willenserklärungen, sondern auch jene, die auf bloße Änderungen oder Aufhebung des Vertrages gerichtet sind, wenn sie für den Verbraucher von vergleichbarer wirtschaftlicher Tragweite sind wie der Vertragsabschluss selbst. Umso mehr muss dies für solche Vertragserklärungen gelten, die zu einem in der Regel praktisch einseitigen Anspruchsverzicht des Mieters führen, ohne dass der Vermieter hierfür gleichwertige Gegenleistungen erbringt bzw auf wirtschaftlich gleichwertige Ansprüche verzichtet.

Ausgehend vom Gesetzeszweck, den Verbraucher vor der für das Haustürgeschäft typischen Überrumpelungsgefahr zu schützen, wäre es in Fällen, in denen der Mieter solche Erklärungen von meist großer wirtschaftlicher Tragweite abgibt und damit einseitig auf Ansprüche verzichtet, sachlich nicht zu rechtfertigen ein Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG zu verneinen. Gerade in diesen Fällen ist die Überrumpelungsgefahr evident, rechnet doch der durchschnittliche Mieter nicht damit, dass bei der Wohnungsrückstellung über alle Ansprüche aus dem beendeten Mietverhältnis verhandelt werden soll.

Auch dem oftmals vorgetragenen Einwand, der Verzicht sei bloß einseitig und würde daher mangels Vertragscharakter keine Vertragserklärung iSd § 3 KSchG vorliegen können, widerspricht die herrschende Rechtsprechung, die auch im Verzicht keinen einseitigen Rechtsakt, sondern einen Vertrag sieht (RS0033948).

Ebenso werden die Ausschließungsgründe des § 3 Abs 3 KSchG (zum speziellen Ausschließungsgrund des § 3 Abs 3 Z 4 KSchG weiter unten) in solchen Fällen meist nicht zum Tragen kommen. Der möglicherweise denkbare Ausschließungsgrund der Geschäftsanbahnung (Z 1 leg cit) durch den rückstellenden Mieter setzt voraus, dass er gerade jene Vertragserklärung angebahnt hat, die den Generalverzicht beinhaltet (1 Ob 176/09x). Insbesondere dann, wenn dem Vermieter keine oder nur geringe, berechtigte Gegenforderungen gegen eine sehr hohe Mietzinsüberschreitung zustehen würden, kann dem Mieter nur schwerlich unterstellt werden, die Verzichtserklärung angebahnt zu haben.

Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass dem Mieter ein Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG zusteht. Zu beachten sind dabei allerdings die in § 3 KSchG normierten Rücktrittsfristen, zuletzt entscheidend geändert durch das VRUG.

2. Rücktritt nach § 11 FAGG?

Das ebenso durch das VRUG eingeführte FAGG sieht als Anknüpfungspunkt das Unternehmer- Verbraucher-Geschäft ident mit dem diesbezüglichen Begriff des KSchG. Nachdem bei Vertragserklärungen in der Wohnung auch grundsätzlich ein Außer-Geschäftsraum-Vertrag iSd FAGG vorliegt, stellt sich die Frage nach dem Rücktrittsrecht nach dem FAGG. Eine eingehendere Prüfung, ob ein Rücktritt nach § 11 FAGG von einer solchen Vereinbarung möglich ist, insbesondere ob solche Anspruchsverzichtserklärungen überhaupt vom Zweck und Anwendungsbereich des FAGG erfasst sind, würde den Umfang dieses Gastbeitrages sprengen und unterbleibt daher. Der Rechtsanwender ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Anwendung des FAGG nach § 3 Abs 3 Z 4 KSchG einen Rücktritt nach § 3 KSchG ausschließt, sodass man sich in seiner Rücktrittserklärung nicht auf § 3 KSchG beschränken sollte.

3. Resumée

Gibt der Mieter als Verbraucher im Rahmen der Wohnungsrückstellung eine Generalverzichtserklärung gegenüber dem unternehmerisch tätigen Vermieter ab, so steht ihm innerhalb der vorgesehenen Frist in aller Regel das Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG zu. Da das Rücktrittsrecht durch eine mögliche Anwendung des FAGG ausgeschlossen werden kann, sollte sich der Mieter bei der Rücktrittserklärung auch auf das Rücktrittsrecht nach § 11 FAGG berufen.

Autor

Mag. Philipp Ortbauer ist Jurist der Mietervereinigung Österreichs mit langjähriger Beratungserfahrung in sämtlichen Bereichen des österreichischen Wohnrechts und Vertretungstätigkeit in allen Angelegenheiten des wohnrechtlichen Außerstreitverfahrens.