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Die Haftung bei unzureichendem Winterdienst
RA Dr. Zirm und Mag. Männl stellen in ihrem Beitrag die unterschiedlichen Haftungsformen dar. Wer haftet wann? Welchen Unterschied macht es, ob jemand auf dem Gehsteig oder im Innenhof zu Sturz kommt? Was ist bezüglich Dachlawinen zu beachten?
Gerade in der Winterzeit kommt dem Zustand von Straßen, Gangflächen und Innenhöfen bei Liegenschaften besondere Bedeutung zu. Das unzureichende Räumen von Schnee kann haftungsrechtliche Folgen haben. Dabei kommt eine Vielzahl von verschiedenen Anspruchsgrundlagen infrage, welche in diesem Artikel anhand der Judikatur für den Praktiker erläutert werden. Dabei fällt auf, dass es oft schon einen Unterschied macht, wer betroffen ist und wo der Schaden eintritt. So kann ein Sturz am Gehsteig vor dem Haus zu einer Haftung führen, während die Haftung bei einem Sturz im Stiegenhaus (bei gleichem Sachverhalt) zu verneinen ist.
1. Haftung des Wegehalters
Gemäß § 1319a ABGB haften der Wegehalter und seine Leute für den mangelhaften Zustand eines Weges. § 1319a ABGB ist eine lex specialis zu den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten. Im Anwendungsbereich des § 1319a ABGB bleibt daher für andere Verkehrssicherungspflichten kein Raum (RIS-Justiz RS0111360; OGH 31.08.2015, 6 Ob 85/15s).
Ein „Weg“ ist eine Fläche, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen für den Verkehr jeder Art oder für bestimmte Arten des Verkehrs benutzt werden darf. Steht eine Fläche einem eingeschränkten Kreis (zB Fußgänger, Radfahrer etc.), hier aber allen unter gleichen Bedingungen offen, so handelt es sich um einen Weg iSd § 1319a ABGB. Kein „Weg“ liegt vor, wenn von vornherein nur die Eigentümer/Mieter einer Wohnhausanlage die Fläche verwenden dürfen (OGH 3.7.2007, 5 Ob 117/07b; RIS-Justiz RS0109222).
Hier stellt sich für den Rechtsanwender schon die erste, wichtige Frage: Wo kam die Person zu Sturz? Während beim Gehsteig vor dem Haus eine Haftung gemäß § 1319a ABGB möglich ist, ist eine solche im Innenhof des Hauses häufig ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0109222).
Weitere Voraussetzung für die Haftung ist, dass der Weg mangelhaft ist. Der Wegehalter oder seine Leute müssen zumutbare Maßnahmen zu dessen Instandhaltung und Sicherung unterlassen haben. Diese Maßnahmen bestimmen sich insbesondere nach der Art und geographischen Lage des Weges und den Witterungsverhältnissen.
§ 1319a ABGB setzt ferner grobes Verschulden (also grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz) des Halters bzw seiner Leute am mangelhaften Zustand des Weges voraus. Dass ein Sachverhalt vorliegt, der grobe Fahrlässigkeit indiziert, muss der Geschädigte beweisen (RIS-Justiz RS0124486, vgl auch OGH 17.12.2008, 2Ob115/08p). Hier kommt es insbesondere darauf an, wie oft gestreut wird, zu welcher Zeit der Schaden eintritt und wie der Weg selbst konkret beschaffen ist.
Der „Halter“ haftet für sein Verhalten und für das seiner „Leute“. Halter ist, wer die Kosten für Errichtung und Erhaltung des Weges trägt sowie die Verfügungsmacht hat (RIS-Justiz RS0030011), also in der Regel der Eigentümer. Zu den „Leuten“ zählen insbesondere Dienstnehmer des Halters. Selbstständige, weisungsfreie Unternehmer, die der Wegehalter mit der Erfüllung der ihn treffenden Aufgaben betraut, sind nicht „Leute“ (RIS-Justiz RS0029995). Beauftragt der Wegehalter einen selbstständigen, weisungsfreien Unternehmer mit der Erhaltung des Weges, so haftet der Wegehalter nach der Rechtsprechung nicht nach § 1319a ABGB. Er haftet nur noch für Auswahl- und Überwachungsverschulden (RIS-Justiz RS0030159, wobei jedoch bereits leichte Fahrlässigkeit bei Fehlern der Auswahl und der Überwachung genügt: OGH 29.04.2009, 2 Ob 217/08p).
Der weisungsfreie Unternehmer haftet ebenfalls nicht gemäß § 1319a ABGB, jedoch haftet er nach allgemeinem Schadenersatzrecht deliktisch (OGH 21.02.2013, 2Ob231/12b).
2. Haftung gemäß § 93 StVO
Gemäß § 93 Abs 1 StVO haben Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten unter anderem dafür zu sorgen, dass die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege, einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen, entlang der sich ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schneelage und Glatteis bestreut sind (OGH 23.03.2007, 2Ob156/05p).
Gibt es mehrere Liegenschaftseigentümer, so haften diese gemeinsam. Bei Wohnungseigentumsanlagen nimmt die Rechtsprechung an, dass die Eigentümergemeinschaft haftet (OGH 25.11.2008, 5 Ob 261/08f).
§ 93 StVO erfasst nur Gehsteige und Gehwege im Ortsgebiet und damit nicht alle „Wege“ nach § 1319a ABGB. Subsidiär ist gemäß § 93 StVO der Straßenrand erfasst, wenn kein Gehstein/Gehweg vorhanden ist. Ferner sieht § 93 StVO nur vereinzelte Verhaltensanordnungen vor. § 1319a ABGB sieht dagegen vor, dass der Wegehalter für jegliche Mangelhaftigkeit des Weges haftet. Andererseits enthält § 93 StVO keine Haftungseinschränkung auf grobes Verschulden.
Überträgt der Liegenschaftseigentümer mittels Rechtsgeschäft seine Pflichten gemäß § 93 StVO auf einen Dritten, dann haftet gemäß § 93 Abs 5 StVO dieser Dritte und nicht mehr der Liegenschaftseigentümer. Der Liegenschaftseigentümer haftet jedoch für den Dritten gemäß § 1315 ABGB. Ebenso haftet der Dritte für seine Gehilfen nach § 1315 ABGB.
3. Haftung ex contractu
Bei der Haftung wegen Verletzung von vertraglichen Pflichten genügt bereits leichte Fahrlässigkeit (RIS-Justiz RS0023459; OGH 31.03.2009, 1Ob55/09h). Weitere Vorteile der Vertragshaftung sind die Umkehr der Verschuldensbeweislast gemäß § 1298 ABGB und die Haftung für Hilfspersonen nach § 1313a ABGB.
Neben vorvertraglichen Pflichten und den Nebenpflichten eines Vertrags ist auch noch die Schutzwirkung eines Vertrages zu Gunsten Dritter zu beachten. So können sich auch bestimmte Dritte, die der Erfüllung nahestehen, durch sie besonders gefährdet werden und erkennbar der Interessensphäre einer Vertragspartei angehören auf eine Haftung ex contractu stützen. Der OGH zählt zu diesen „begünstigten“ Dritten, insbesondere Personen, die zur Hausgemeinschaft eines Mieters gehören (RIS-Justiz RS0020884). Bei Geschäftsraummietern zählen dazu deren Arbeitnehmer. Gäste, Kunden und Lieferanten sind nach Ansicht des OGH aber nicht von den Schutzzwecken des Mietvertrages umfasst (OGH 16.10.2003, 2Ob216/03h).
4. Deliktische Haftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten
Die deliktische Wegehalterhaftung ist im Grunde nur ein konkreter Anwendungsfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten.
Jener, der einen Verkehr eröffnet, soll im Rahmen des Zumutbaren die Verkehrsteilnehmer vor Gefahren zu schützen. Ferner soll der, der eine konkrete Gefahrenlage schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt (Ingerenzprinzip), alles vorkehren, um eine Schädigung Dritter hintanzuhalten (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, Band II (1984) 57ff).
Welche Vorkehrungen zu treffen sind, bestimmt sich immer nach dem konkreten Einzelfall (RIS-Justiz RS0026074).
Nur in jenem engen Anwendungsbereich, wo der Gesetzgeber die Verkehrssicherungspflichten gesetzlich geregelt hat, gehen diese als lex specialis vor (RIS-Justiz RS0111360; OGH 31.08.2015, 6 Ob 85/15s). Dazu zählen insbesondere § 1319a ABGB und § 93 StVO.
Allgemeine Verkehrssicherungspflichten können zB auch Dritte treffen, welche weder von § 93 StVO noch von § 1319a ABGB erfasst sind.
Der Bauführer, der ohne Auftrag des Wegehalters Arbeiten auf oder neben einem Weg durchführt, muss daher die Baustelle kennzeichnen und sichern (Pflichten zur Kennzeichnung bzw Absicherung der Baustelle, OGH 26.02.1998, 2 Ob 2171/96w; explizit zu Verkehrssicherungsbestimmungen nach der StVO: RIS-Justiz RS0109827).
Die Gänge und Stiegenhäuser fallen nicht unter den Begriff „Weg“ des § 1319a ABGB, wie oben erläutert wurde. Auch hier kommen – neben der Haftung ex contractu – allgemeine Verkehrssicherungspflichten des Eigentümers infrage (OGH 16.10.2003, 2Ob216/03h).
5. Exkurs: Dachlawinen
In diesem Zusammenhang ist noch kurz auf Dachlawinen einzugehen. In der Literatur wird eine Anwendung der Bauwerkehaftung gemäß § 1319 ABGB befürwortet (Reischauer in Rummel³ (2002) § 1319 Rz 10; für eine analoge Anwendung bspw Danzl in KBB4 (2014) § 1319 ABGB Rz 2). Die Rechtsprechung löst dagegen solche Fälle eher mit einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten (RIS-Justiz RS0022947). Dabei wird insbesondere § 93 StVO herangezogen, welcher den Liegenschaftseigentümer dazu verpflichtet, Schneewächten und Eisbildungen von den Dächern ihrer an der Straße gelegenen Gebäude bzw Verkaufshütten zu entfernen (OGH 15.03.1972, 1 Ob 51/72).
Das Aufstellen von Warnstangen ist zwar sinnvoll. Das Aufstellen von Warnstangen hat den Zweck, Straßenbenützer auf die Gefahr von Dachlawinen aufmerksam zu machen und sie dadurch entweder zum Ausweichen oder zum möglichst raschen Passieren des Gefahrenbereiches zu veranlassen (OGH 22.09.1983, 7 Ob 591/83). Es befreit den Eigentümer aber nicht von einer Haftung, sondern ist dieser nach wie vor dazu verpflichtet, weitere Schutzmaßnahmen zu ergreifen und allenfalls die Dachlawinen zu entfernen. Es ermöglicht aber insbesondere einen Mitverschuldenseinwand.
Zusammenfassung
Der unzureichende Winterdienst kann weite Folgen haben. Dabei bieten sich dem Rechtsanwender eine Vielzahl von möglichen Anspruchsgrundlagen. Zum Teil führt dies zu widersprüchlichen Ergebnissen. Denn während für Mieter eine Haftung (vertraglich) bestehen kann, kann eine solche für den Briefträger ausgeschlossen ein. Ferner kann es zu einer Haftung für die Verletzung des Briefträgers nach § 1319a ABGB vor dem Haus auf dem Gehweg kommen, eine solche im Stiegenhaus jedoch ausgeschlossen sein. Die Umstände des Einzelfalls sind daher immer zu berücksichtigen, um die Forderung auf die richtige Anspruchsgrundlage zu stützen.
Autoren
Dr. Maximilian Zirm
Dr. Maximilian Zirm, LL.M. ist Partner und Rechtsanwalt der Gabler Gibel & Ortner Rechtsanwälte in Wien, einer Kanzlei mit den Spezialgebieten Immobilien- und Wirtschaftsrecht.
Weiters ist er als Referent für den Weka-Verlag und als Lektor an der Fachhochschule Wiener Neustadt tätig und Autor von wissenschaftlichen Publikationen.
Mag. Georg Männl
Mag. Georg Männl ist Rechtsanwaltsanwärter der Gabler Gibel & Ortner Rechtsanwälte in Wien und Autor von wissenschaftlichen Publikationen.