Dokument-ID: 919809

WEKA (epu) | News | 08.06.2017

Ist die Überwachung mit einer Videokamera zur Überprüfung einer Lärmbelästigung zulässig?

Können Nachbarn – etwa durch den Standort oder die Ausrichtung einer Videokamera – berechtigt befürchten, sich im Überwachungsbereich zu befinden und von den Aufzeichnungen erfasst zu sein, liegt ein Eingriff in die Privatsphäre vor.

Geschäftszahl

OGH 29. März 2017, 6 Ob 231/16p

Norm

§§ 16, 523 ABGB

Leitsatz

Quintessenz:

Können Nachbarn – etwa durch den Standort oder die Ausrichtung einer Videokamera – berechtigt befürchten, sich im Überwachungsbereich zu befinden und von den Aufzeichnungen erfasst zu sein, liegt ein Eingriff in die Privatsphäre vor. Die für aktive Kameras geltenden Grundsätze sind auch auf Kameraattrappen anzuwenden.

OGH: In casu wurden von drei Liegenschaftseigentümern und zwei Grundstückspächterinnen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche gegen den Beklagten geltend gemacht. Die Pächterinnen betrieben Logistik- und Speditionsunternehmen mit insgesamt rund 200 Mitarbeitern, die teilweise in Arbeitspausen eine Teichanlage auf einem der Liegenschaft des Beklagten benachbarten Grundstück nutzten. Obwohl die Pächterinnen bereits mehrere Lärmschutzmaßnahmen gesetzt hatten und die zuständige Behörde regelmäßige Lärmmessungen durchführte, fühlte sich der Beklagte durch den von den Betrieben ausgehenden Lärm gestört und „erkannte“ das Ergebnis der Messungen „nicht an“. Vielmehr führte er selbst ein Lärmprotokoll und befestigte zur Sammlung von Lärmspitzen in Form von Tonaufnahmen eine funktionsfähige Videokamera nahe der Grundstücksgrenze in etwa 40 m Entfernung von dem bei der Teichanlage befindlichen Gebäude.
 Weder wurde das Aufstellen der Kamera der Datenschutzbehörde gemeldet noch wurden die Kläger informiert oder um ihre Zustimmung ersucht. Sie entdeckten erst anlässlich eines Spazierganges die Einrichtung. Zwar sollte durch die Aufzeichnungen nach Absicht des Beklagten insbesondere gegenüber den Behörden die Lärmbelastung dokumentiert werden, die gewonnenen Daten gab er jedoch tatsächlich nicht weiter, legte sie in keinem Verfahren vor und übermittelte sie keiner Behörde.

Aus § 16 ABGB, der die Persönlichkeit als Grundwert anerkennt, wird ua das jedermann angeborene Persönlichkeitsrecht auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimsphäre abgeleitet. Es beinhaltet insbesondere den Schutz gegen das Eindringen in die Privatsphäre der Person, etwa durch geheime Bildaufnahmen im Privatbereich und fortdauernde unerwünschte Überwachungen.

Unterlassungsansprüche bestehen schon bei Feststellung bereits erfolgter Störungen oder zumindest bei vorliegender Gefahr künftiger Störungen. Wesentlich ist daher, ob zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz die Gefahr einer Wiederholung eines bereits erfolgten Eingriffes bestand. Im konkreten Fall wurde die Videokamera vom Beklagten 2013 nahe der Grundstücksgrenze montiert und zunächst zu den Grundstücken der Kläger ausgerichtet. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wurde sie in die entgegengesetzte Richtung gedreht. Die durch die Kamera möglichen Aufnahmen enthielten Bild- und Tonmaterial sowie Datum und Uhrzeit. Vom Erstgericht eingesehene Bildaufnahmen zeigten zwar großteils nur Blätter und Äste, die Stimmen in der Nähe der Kamera aufhältiger Personen waren jedoch deutlich hörbar. Angesichts der Meinung des Beklagten im Verfahren, zum Betrieb der Kamera berechtigt zu sein, sowie der jederzeitigen Möglichkeit der Wiederausrichtung zu den Grundstücken der Kläger konnte diese Gefahr nicht verneint werden.

Ein Eingriff in die Privatsphäre besteht, wenn die Nachbarn etwa durch den Standort oder die Ausrichtung einer Videokamera oder einer nicht als solche erkennbaren Videokameraattrappe berechtigt befürchten können, sich im Überwachungsbereich zu befinden und von den Aufzeichnungen erfasst zu sein.

Der Beklagte hielt dem von den Klägern angeführten Überwachungseindruck entgegen, dass „die in Rede stehende Kamera nur die Qualität einer Attrappe“ erreiche. Sie filme aufgrund ihrer Einstellung über die Personen auf dem Betriebsgelände hinweg, „wenn nicht schon das dichte Laubgehölz auf [seiner] Liegenschaft eine natürliche und gewollte Sichtbarriere bilden würde“; sie befinde sich „in großer Entfernung“ zu den Grundstücken der Kläger und eine Lärm- und Sichtschutzwand bilde zudem ein „unüberwindliches Hindernis für die Videokamera.“ Diesbezüglich waren keine konkreten Feststellungen der Vorinstanzen getroffen worden.

Nach ständiger Rechtsprechung gelten die zu (aktiven) Kameras entwickelten Grundsätze jedoch auch für Kameraattrappen. Eine solche Attrappe, die auf einen unbefangenen, objektiven Betrachter wie eine Überwachungsmaßnahme wirkt, darf aber nach 8 Ob 47/14s aufgestellt werden, „wenn sich diese Maßnahme nach Maßgabe des Eindrucks für einen solchen Betrachter ausschließlich auf den eigenen Wohn- bzw Garagenbereich des beklagten Mieters bezieht“. Eine solche Situation war im vorliegenden Fall zwar nicht gegeben, für ein berechtigtes Unterlassungsbegehren muss sich jedoch für einen „unbefangenen, objektiven Betrachter“ aufgrund der Kamera bzw Attrappe überhaupt der Eindruck einer Überwachung ergeben können. Dazu muss diese den geschützten Bereich sehen bzw sehen können. Da keine konkreten Feststellungen der Vorinstanzen etwa in Hinsicht darauf getroffen wurden, ob aufgrund des zwischen der Kamera des Beklagten und den klägerischen Grundstücken gelegenen Waldes eine „Sichtverbindung“ gar nicht vorlag, war die Sache noch nicht entscheidungsreif.

Der OGH hob infolgedessen die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an des Erstgericht zurück. Er wies aber darauf hin, dass im Falle der Feststellung eines Eingriffs in die Privatsphäre durch systematische Videoüberwachung durch das Erstgericht den Beklagten die Behauptungs- und Beweislast für die Verfolgung eines berechtigten Interesses durch ihn sowie für die Eignung der gesetzten Maßnahme zur Zweckerreichung träfe. Der Beeinträchtigte könnte diesbezüglich jedoch einwenden, die gesetzte Maßnahme stelle nicht das schonendste Mittel zur Zweckerreichung dar. Sei er damit erfolgreich, bedürfe es keiner Interessenabwägung. Nach den bereits getroffenen Feststellungen sei die angebrachte Videokamera für den vom Beklagten vorgebrachten Zweck der Feststellung und Dokumentation der Lärmbelästigung „schlicht ungeeignet“, ein gelinderes Mittel sei etwa der Einsatz eines Lärm- bzw Schallpegelmessgeräts gewesen. Hieraus ergebe sich die Rechtswidrigkeit des vom Beklagten gesetzten Verhaltens und eine Interessenabwägung erübrige sich.

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