Dokument-ID: 468963

Iman Torabia | News | 17.09.2012

Kann ein Nachbar den die Lärmbelästigung verursachenden Betrieb untersagen?

Ein Nachbar kann nur die Einwirkung (den Eingriff) untersagen, nicht jedoch den diese Einwirkung verursachenden Betrieb als solchen. Der Beklagte hat dafür zu sorgen, dass sein Nachbar nicht durch unzulässige Immissionen beeinträchtigt wird.

Geschäftszahl

OGH 12.06.2012, 4 Ob 99/12f

Norm

§ 364 Abs 2 ABGB

Leitsatz

Quintessenz:

Ein Nachbar kann nur die Einwirkung (den Eingriff) untersagen, nicht jedoch den diese Einwirkung verursachenden Betrieb als solchen. Der Beklagte hat dafür zu sorgen, dass sein Nachbar nicht durch unzulässige Immissionen beeinträchtigt wird, wobei die Auswahl der Mittel dabei ihm überlassen bleibt.

OGH: Durch die am Nachbarsgrundstück gehaltenen Tiere kommt es in casu zur starken Lärm- und Geruchsbelästigung. Ältere Entscheidungen, wonach bei unzulässigen Immissionen die Tierhaltung als solche untersagt werden konnte, sind allerdings durch die neuere Rechtsprechung überholt. Damit steht insbesondere fest, dass ein Nachbar grundsätzlich kein Erfolg erzielen wird, wenn er die Einstellung des – den diese Einwirkung verursachenden Betriebes begehrt. Abweichendes könnte allenfalls dann gelten, wenn offenkundig kein anderes Mittel zur Verhinderung unzulässiger Immissionen zur Verfügung steht.

In casu kommt eine Untersagung der Tierhaltung (Hühnerhaltung) deshalb nicht in Betracht, weil auch bei Vorliegen einer unzulässigen Immission die Abhilfe durch Halten in einem (ausreichend) schalldichten Stall nicht ausgeschlossen wäre.

Gemäß § 364 Abs 2 kann der Eigentümer des Grundstücks seinem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer, Rauch, Gase, Wärme, Geruch, Geräusch, Erschütterung und ähnliche untersagen, wenn sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstückes wesentlich beeinträchtigen.

Die für die Beurteilung der Unzumutbarkeit einer Beeinträchtigung gebotene Interessenabwägung hat nach einem objektiven Beurteilungsmaßstab zu erfolgen. Zwischen den Erfordernissen der Unzumutbarkeit und der Ortsüblichkeit besteht insofern ein Zusammenhang, als die Unzumutbarkeit umso weniger anzunehmen sein wird, je näher eine – an sich ortsunübliche – Beeinträchtigung an der Grenze zur Ortsüblichkeit liegt. Eine gesonderte Prüfung der Zumutbarkeit ist nicht erforderlich, wenn die Beeinträchtigung ohnehin ortsüblich ist. In diesem Fall sind die Immissionen zu dulden.

Der Begriff „ortsüblich“ darf nicht im Sinne einer politischen Gemeinde verstanden werden. Ob eine Beeinträchtigung das „nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß“ übersteigt, hängt von der Lage des beeinträchtigten Grundstücks zu jenem, von dem die Störung ausgeht, sowie die Verhältnisse in der unmittelbaren Umgebung beider Liegenschaften ab. Dabei lässt sich die Umgebung grundsätzlich nicht auf das emittierende und das oder die davon wesentlich beeinträchtigte(n) Grundstück(e) reduzieren. Die „örtlichen Verhältnisse“ sind weiträumiger zu verstehen. Hierbei geht es nämlich um Gebiets- bzw Stadtteile („Viertel“) mit annähernd gleichen Lebens- und Umweltbedingungen. Flächenwidmungspläne können in diesem Kontext nur ein Indiz für die im betreffenden Raum tatsächlich bestehenden Verhältnisse darstellen.

Da sich die Grundstücke der Parteien in casu in einem aufgelockerten Siedlungsgebiet mit dörflich-ländlichem Charakter befinden und der nächste Hof mit Hühnerhaltung nur 250 bis 300 m entfernt ist, sind die Geräusche, die von artgerecht und in überschaubarer Zahl gehaltenen Hühnern (einschließlich eines oder zweier Hähne) ausgehen, als ortsüblich anzusehen, und zwar jedenfalls dann, wenn sich die Tiere zur Nachtzeit in einem Stall mit dicken Mauern aufhalten, sodass ihr Gackern und Krähen draußen nur in einer „gemäßigten Lautstärke“ wahrgenommen werden kann. Als Folge des ländlichen Charakters der Umgebung müssen daher auch jene Geräusche hingenommen werden, die die Nachtruhe besonders empfindlicher Personen stören.

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