Dokument-ID: 1047924

Eva-Maria Hintringer | News | 05.12.2019

Kündigung gem § 30 MRG für Jahre zurückliegendes Fehlverhalten und gleichzeitiger Provokation durch den Vermieter?

Liegen die zur Begründung der Kündigung herangezogenen Verhaltensweisen einige Jahre zurück und blieben sie über viele Jahre hinweg überhaupt unbeanstandet, dann wurde das Vertrauensverhältnis zum Vermieter nicht zerstört.

Geschäftszahl

OGH 25.09.2019, 1 Ob 89/19y

Norm

§ 30 MRG

Leitsatz

Quintessenz:

Das Vorliegen der Kündigungsgründe des erheblich nachteiligen Gebrauchs bzw des unleidlichen Verhaltens iSd § 30 Abs 2 Z 3 MRG ist anhand einer Gesamtbetrachtung zu beurteilen. Dabei ist zu berücksichtigen, wenn Vorfälle und Verhaltensweisen bereits länger zurückliegen, zeitlich weit auseinander liegen, dh nicht hintereinander gesetzt wurden, nicht auf einem ähnlichen Fehlverhalten des Mieters beruhen oder durch ein unrechtmäßiges Verhalten des Vermieters provoziert wurden.

OGH: Ein erheblich nachteiliger Gebrauch iSd § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG liegt nach stRsp dann vor, wenn eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts wichtige Interessen des Vermieters verletzt oder eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgt oder droht. Ein unleidliches Verhalten nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG liegt bei einer durch längere Zeit fortgesetzten bzw sich häufig wiederholenden Störung des friedlichen Zusammenlebens vor, wenn sie das einzelfallabhängig erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Einmalige Vorfälle sind nur ausreichend, wenn sie schwerwiegend sind, hingegen können nach der Rechtsprechung mehrere, an sich geringfügige Vorfälle zur Aufkündigung berechtigen, wenn sie durch die Häufung das dem Vermieter zumutbare Ausmaß überschreiten.

Für beide Kündigungstatbestände sind die Umstände in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Das Verhalten des Mieters muss dem Vermieter die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar machen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ist der Umstand, dass Vorfälle bereits länger zurückliegen ebenso zu berücksichtigen wie eine den Vorfällen vorangehende Provokation des Vermieters. Ein (ansonsten einem Kündigungsgrund zu unterstellendes) Verhalten kann nämlich nach stRsp den Charakter eines Kündigungsgrundes verlieren, wenn es vom Vermieter provoziert wurde.

Im Anlassfall ordnete der Vermieter bei der Installation einer Gegensprechanlage an, die Wohnung des Mieters nicht anzuschließen. Diese Beeinträchtigung war vom Vermieter beabsichtigt und hatte den Zweck, eine Besichtigung der Wohnung des Mieters mit unerlaubten Mitteln zu erzwingen. Als Reaktion darauf versuchte der Mieter, eine „Arztschaltung“ (Kopplung des für seine Topnummer vorgesehenen Knopfes mit dem Türöffner) herzustellen, wobei er die Gegensprechanlage beschädigte. Die Selbsthilfe des Mieters ist zwar verboten, allerdings wurde sie durch das ungerechtfertigte Verhalten des Vermieters, das ebenfalls eine verbotene Selbsthilfe darstellt und das gewichtige Interesse des Mieters, für Besucher erreichbar zu sein, störte, provoziert.

Liegen die zur Begründung der Kündigung herangezogenen Verhaltensweisen wie im Anlassfall einige Jahre und zum Teil sogar Jahrzehnte zurück und blieben sie über viele Jahre hinweg überhaupt unbeanstandet, dann wurde – jedenfalls einzeln betrachtet – das Vertrauensverhältnis zum Vermieter nicht zerstört. Folgte einem bestimmten Vorfall durch mehrere Jahre hindurch kein weiterer ähnlicher, ist der Mieter auch objektiv nicht als grundsätzlich vertrauensunwürdig einzuschätzen.

Vereinzelt gebliebene Vorfälle dürfen bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung nicht „zusammengezogen“ und nicht so behandelt werden, als ob diese Verhaltensweisen zeitgleich oder knapp hintereinander gesetzt worden wären. Verhält sich der Beklagte durch lange Zeit störungsfrei, handelt es sich um punktuelle, vereinzelt bleibende Störungen.