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Ulrike Schober - Clemens Purtscher | Praxiswissen | Fachbeitrag

Fluchtwege, Notausgänge – Fluchtkonzept der AStV

Rechtliche Grundlagen

OIB-Richtlinie 2

Allgemeine bauliche Anforderungen an Fluchtwege und Notausgänge

§ 21 Abs 4 ASchG

Arbeitgeberpflichten – Sicherung der Flucht

§§ 16 bis 22 AStV

Anforderungen an Fluchtwege, Notausgänge, Stiegenhäuser und gesicherte Fluchtbereiche

Mit Inkrafttreten der Arbeitsstättenverordnung 1999 ist es zu einer weitgehenden Harmonisierung der Vorschriften für den Arbeitnehmerschutz mit den landesgesetzlichen Bestimmungen gekommen.

In diesem Kapitel wird auf das Fluchtkonzept im Sinne der Arbeitsstättenverordnung eingegangen, das für alle Betriebe, in denen Arbeitnehmer beschäftigt werden, anzuwenden ist. Falls andere Rechtsvorschriften, wie zB Bauordnungen, strengere Bestimmungen enthalten, so sind diese anzuwenden.

Vor Inkrafttreten der AStV erteilte Genehmigungsbescheide bleiben grundsätzlich unberührt. Arbeitsstätten, die vor dem 01.01.1999 gemäß Arbeitnehmerschutzgesetz (ANSchG) bzw ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) genehmigt wurden, müssen bzw dürfen weiterhin dem Genehmigungsbescheid entsprechen. Die in den Plänen eingezeichneten Notausgänge und Fluchtwege sind grundsätzlich gemäß Genehmigungsbescheid einzurichten. Nur wenn im Bescheid hinsichtlich bestimmter Anforderungen wie beispielsweise bei einer brandschutztechnischen Qualifikation einer Stiege keine Aussage getroffen wurde, sollen die Bestimmungen der AStV einschließlich der Übergangsbestimmungen gelten.

Im Hinblick auf die Lagerung und Verwendung von brand- oder explosionsgefährlichen Stoffen gelten die Bestimmungen der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung weiterhin.

Fluchtkonzept gemäß Arbeitsstättenverordnung

Grundsätzlich sind Arbeitsstätten so zu gestalten, dass ArbeitnehmerInnen im Brandfall vor direkter oder indirekter Brandeinwirkung sowie vor Rauchgaseinwirkung geschützt sind.

Werden behinderte ArbeitnehmerInnen beschäftigt, so ist durch technische oder organisatorische Maßnahmen ihre Fluchtmöglichkeit im Gefahrenfall sicherzustellen. Dies kann durch entsprechende Einrichtungen zur Alarmierung und gegebenenfalls durch Evakuierungsmaßnahmen erfolgen.

Das Fluchtkonzept geht von den Begriffen Fluchtweg, Notausgang und gesicherter Fluchtbereich aus.

Fluchtwege sind Wege in Räumen oder im Freien, welche im Gefahrenfall für die Flucht von ArbeitnehmerInnen vorgesehen sind. Notausgänge sind alle Ausgänge, Durchgänge, Ausfahrten udgl im Verlauf von Fluchtwegen.

Arbeitsstätten sind so zu planen und einzurichten, dass

  • von jedem Punkt der Arbeitsstätte aus nach höchstens 10 m Gehweglänge oder
  • spätestens bei Verlassen eines Arbeitsraumes

ein Fluchtweg erreicht wird bzw beginnt.

Der einzige Ausgang aus einem Raum ist immer ein Notausgang, wenn die Gehweglänge bis zum Ausgang mehr als 10 m beträgt. Arbeitsräume mit einer Bodenfläche von mehr als 200 m², in denen mehr als 20 ArbeitnehmerInnen beschäftigt sind, und Räume mit einer Bodenfläche von mehr als 500 m² müssen mindestens zwei Ausgänge auf einen Fluchtweg haben.

Es ist jedoch der Behörde möglich, kürzere Fluchtwege vorzuschreiben, wenn das aufgrund der Arbeitsvorgänge, Arbeitsverfahren, Arbeitsstoffe oder auch aufgrund der baulichen Gegebenheiten bzw einer großen Menge an Personen erforderlich erscheint. In Bereichen, in denen mit brand- und explosionsgefährlichen Stoffen hantiert wird, wird man, wie auch früher üblich, kürzere Fluchtwegslängen einhalten müssen.

Von jedem Punkt der Arbeitsstätte aus muss nach höchstens 40 m ein besonders gesicherter Bereich erreichbar sein. Dieser gesicherte Fluchtbereich kann ein oder auch mehrere Räume, ein Stiegenhaus oder ein Foyer umfassen. Es ist jedoch erforderlich, dass der gesamte Bereich (Raum) und gegebenenfalls auch weitere diesen strengen Anforderungen entsprechen. Aus dem gesicherten Bereich muss dann ein Ausgang (= Endausgang) auf einen sicheren, öffentlich zugänglichen Bereich im Freien führen.

Die Fluchtweglänge von 40 m ist nötigenfalls zu verkürzen, wenn neben Brandeinwirkungen noch andere Gefährdungen zu erwarten sind.

Andererseits wurden mit der Novelle der Arbeitsstättenverordnung vom 08.11.2017 (analog zu Punkt 3.6.2 der OIB-Richtlinie 2.1) längere Fluchtweglängen unter folgenden Bedingungen zugelassen:

  • Es liegen keine anderen Gefährdungen als jene durch Brandeinwirkung vor (insbesondere keine chemische oder mechanische Gefährdung).
  • In jedem Geschoß ist ein weiterer und möglichst entgegengesetzt liegender Ausgang vorhanden, der direkt ins Freie, in einen gesicherten Fluchtbereich oder in einen anderen Brandabschnitt führt.
  • Bei Fluchtwegen, auf die überwiegend ortsunkundige Personen angewiesen sind, ist sichergestellt, dass der Eintritt einer Gefahr rechtzeitig wahrgenommen werden kann und im Gefahrenfall das rasche und sichere Verlassen der Arbeitsstätte möglich ist (zB Sicherheitsüberwachungseinrichtungen, Ordnerdienste).

Unter diesen Voraussetzungen kann die Fluchtweglänge bis zu 50 m betragen, wenn

  • die betreffenden Räume eine mittlere lichte Raumhöhe von mindestens 10 m aufweisen oder
  • bei einer mittleren lichten Raumhöhe von mindestens 5 m eine automatische Brandmeldeanlage mit Rauchmeldern mindestens im Schutzumfang „Brandabschnittsschutz“ vorhanden ist.

Bis zu 70 m kann die Fluchtweglänge unter obigen Voraussetzungen betragen, wenn

  • bei einer mittleren lichten Raumhöhe von mindestens 10 m eine automatische Brandmeldeanlage mit Rauchmeldern mindestens im Schutzumfang „Brandabschnittsschutz“ vorhanden ist oder
  • eine Rauch- und Wärmeabzugsanlage vorhanden ist, die durch eine automatische Brandmeldeanlage mit Rauchmeldern mindestens im Schutzumfang „Brandabschnittsschutz“ angesteuert wird.

Beispiel: Darstellung des Fluchtkonzepts

Verkehrsweg__Fluchtweg

Anforderungen an Verkehrswege, Fluchtwege und Notausgänge

Verkehrswege

Verkehrswege sind alle Wege, Gänge, Stiegen oder Rampen in einem Betrieb, die während des regulären Betriebsablaufes oder beim Kommen und Gehen von den Arbeitnehmern benutzt werden. Diese müssen gewisse Anforderungen erfüllen.

Verkehrswege müssen mindestens 1 m breit und auf der gesamten nutzbaren Breite 2 m hoch sein. Durchgänge zwischen Lagerungen, Möbeln, Maschinen oder sonstigen Betriebseinrichtungen müssen mindestens 0,6 m betragen. Bei Verkehrswegen/Ausgängen mit Fahrzeugverkehr muss die Breite des Verkehrsweges der vorgesehenen Fahrzeugbreite bzw der Breite der Ladung plus beidseits je 0,5 m entsprechen. Neue Fahrtreppen und Fahrsteige müssen mindestens 0,6 m breit sein. Bei Ausgängen, die überwiegend dem Fahrzeugverkehr dienen, ist daneben ein eigener Ausgang für Fußgänger einzurichten oder der Ausgang ist durch ein Geländer in zwei Abschnitte zu teilen.

Bei Hub-, Kipp-, Roll- oder Schiebetoren mit einer Torblattfläche über 10 m² ist eine Gehtüre für Fußgänger im Tor oder in dessen Nähe einzubauen.

Bei Stiegen muss die Stufenhöhe höchstens 18 cm und die Auftrittsbreite in Gehlinie mindestens 26 cm betragen. Nach 20 Stufen ist ein Podest vorzusehen. Zwischen Türen und Stiegen muss ein Podest in der Länge der größten Türblattbreite vorhanden sein. Gewendelte Stiegen sind zulässig, wenn nicht häufig schwere oder sperrige Lasten transportiert werden. Die Auftrittsbreite muss dabei innen mindestens 13 cm und außen maximal 40 cm betragen.

Neue oder zu erneuernde Wand- und Deckenoberflächen, Glasdächer und Lichtkuppeln müssen im Brandfall nicht tropfend ausgeführt sein und dürfen keine toxischen Gase freisetzen.

Fluchtwege und Notausgänge

Zusätzlich zu den vorher genannten Bestimmungen für Verkehrswege müssen Fluchtwege weiteren strengeren Anforderungen entsprechen.

Mindestbreite von Fluchtwegen

Personenzahl

nutzbare Mindestbreite [m]

≤ 20

1,0

≤ 120

1,2

> 120, je weitere 10 Personen

+ 0,1

Mindestbreite von Notausgängen

Personenanzahl

nutzbare Mindestbreite [m]

≤ 40 Personen

0,8

≤ 80 Personen

0,9

≤ 120 Personen

1,0

> 120, je weitere 10 Personen

+ 0,1

Hinweis:

Die Maße für die Notausgänge in § 18 Arbeitsstättenverordnung wurden mit der Novelle der AStV vom 08.11.2017 (in Kraft getreten am 01.12.2017) jenen in Punkt 2.6.1 der OIB-Richtlinie 4 angeglichen. Zuvor waren in der AStV geringere Personenzahlen pro nutzbarer Mindestbreite normiert gewesen.

Bei der Personenzahl sind alle maximal gleichzeitig anwesenden Personen (Arbeitnehmer und Kunden) zu berücksichtigen. Es können zB die ArbeitnehmerInnen einer Schicht, die Anzahl an Verabreichungsplätzen im Gastgewerbe bzw der maximal zu erwartende Kundenverkehr udgl herangezogen werden.

Werden durch einen Fluchtweg mehr als drei Geschoße miteinander verbunden, so ist nicht mehr als die höchste in drei unmittelbar übereinanderliegenden Geschoßen gesamt zu erwartende Personenanzahl bei der Ermittlung der erforderlichen Fluchtwegsbreite bzw Notausgangsbreite heranzuziehen. Es sind dabei gegebenenfalls auch Personen in anderen Arbeitsstätten zu berücksichtigen, wie dies bei gemeinsamen Stiegenhäusern der Fall sein kann.

Falls mehrere Notausgänge zur Verfügung stehen, sind die Personen auf die einzelnen Notausgänge aufzuteilen. Die zulässigen Fluchtweglängen, die baulichen Gegebenheiten, die Nutzungsart der Räume und die Lage der ortsgebundenen Arbeitsplätze sind dabei zu berücksichtigen.

Notausgänge dürfen in unmittelbar nebeneinanderliegende Ausgänge von mindestens 0,8 m nutzbarer Breite unterteilt werden. Dadurch sind zum Beispiel in Geschäften Diebstahlssicherungen unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Liegen zwei Notausgänge im Abstand von maximal 20 cm nebeneinander, gelten sie als ein Notausgang.

Fluchtwege dürfen auf einer Länge von höchstens 2 m in nebeneinanderliegende Abschnitte von mindestens 0,8 m nutzbarer Breite unterteilt werden.

Türen von Notausgängen, auf die im Gefahrenfall mehr als 15 Personen angewiesen sind, müssen in Fluchtrichtung aufschlagen. Türen von brand- und explosionsgefährdeten Räumen müssen jedenfalls in Fluchtrichtung aufschlagen.

Automatische Türen sind als Notausgänge nicht zulässig, wenn auf den Ausgang im Gefahrenfall mehr als 15 Personen angewiesen sind. Auch sonst sind sie nur zulässig, wenn sich die Türen in jeder Stellung händisch leicht in Fluchtrichtung öffnen lassen oder bei Strom- oder Steuerungsausfall selbsttätig öffnen und geöffnet bleiben.

Drehtüren sind als Notausgänge unzulässig.

Gewendelte Stiegen sind auf Fluchtwegen in zwei Fällen zulässig:

  • Wenn die Auftrittsbreite auf der gesamten erforderlichen Breite mindestens 20 cm beträgt oder
  • wenn nicht mehr als 60 Personen im Gefahrenfall auf die Stiege angewiesen sind.

Stiegen müssen mindestens brandhemmend ausgeführt sein.

Werden mehr als zwei Geschoße überwiegend als Arbeitsstätte genutzt, ist ein durchgehendes Stiegenhaus erforderlich, welches den Anforderungen des gesicherten Fluchtbereichs entsprechen muss. Als Geschoß gelten das Erd-, sowie Ober- und Untergeschoße. Erforderlichenfalls ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Personen im Gefahrenfall nicht am Ausgang des Stiegenhauses vorbeilaufen können.

Böden, Wände und Decken müssen aus schwer brennbarem und schwach qualmendem Material sein, wenn neu eingerichtet wird oder die Bereiche saniert werden. Führt ein Fluchtweg durch einen Raum, der auch anders genutzt wird (zB Arbeitsraum), so beziehen sich die Anforderungen an die Beläge nicht auf den gesamten Raum, sondern nur auf den Bereich des Fluchtwegs.

Fluchtwege dürfen nicht über Aufzüge, Fahrtreppen oder Fahrsteige geführt werden.

Zusätzlich zu den Anforderungen für Verkehrswege sind folgende Punkte bei Fluchtwegen zu überprüfen:

Gesicherter Fluchtbereich

Die Anforderungen an gesicherte Fluchtbereiche beziehen sich größtenteils auf bauliche Maßnahmen.

  • Geringe Brandlast
  • Wände, Decken, Böden und Stiegen sind mindestens hochbrandhemmend.
  • Boden-, Wand- und Deckenoberflächen sind mindestens schwer brennbar und schwach qualmend.
  • Türen zu nicht gesicherten Bereichen sind selbstschließend, mindestens brandhemmend und ggf rauchdicht (bei Räumen mit geringer Brandlast).
  • Verqualmen ist zu verhindern (Rauchabzugsöffnungen).
  • Falls ein Stiegenhaus mehr als fünf Geschoße verbindet, müssen Wände, Decken, Böden und Stiegen brandbeständig ausgeführt sein. Wand und Deckenoberflächen müssen dort mit nicht brennbarem Material ausgeführt sein.

Die allgemeinen Anforderungen bezüglich Verkehrswegen, Ausgängen, Stiegen, Fluchtwegen und Notausgängen sind genauso einzuhalten. Deshalb ist nach den Anforderungen für Verkehrs- und Fluchtwege vorzugehen, soweit sie für den gesicherten Fluchtbereich zutreffen können.