Dokument-ID: 519522

Johann Schöffthaler | News | 23.01.2013

Arbeitszeitflexibilisierung – seit 2007 möglich, aber nicht sehr oft genutzt!

Gastautor Johann Schöffthaler berichtet anhand eines Beispiels aus der Praxis, wie man eine Arbeitszeitflexibilisierung durch eine Betriebsvereinbarung einfach gestalten kann.

Rechtliche Grundlagen

Im Arbeitszeitgesetz unter § 1a steht folgendes geschrieben:

„Regelungen durch Betriebsvereinbarung:

§ 1a. Soweit im Folgenden nicht anderes bestimmt wird, können Regelungen, zu denen der Kollektivvertrag nach diesem Bundesgesetz ermächtigt ist, durch Betriebsvereinbarung zugelassen werden, wenn

1. der Kollektivvertrag die Betriebsvereinbarung dazu ermächtigt, oder

2. für die betroffenen Arbeitnehmer mangels Bestehen einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft auf Arbeitgeberseite kein Kollektivvertrag abgeschlossen werden kann.“

Das Besondere an diesem Paragraphen ist, dass er den Stufenbau der Rechtsordnung in Österreich erlaubter Weise widerspricht. Grundsätzlich sieht der Stufenbau der Rechtsordnung bezüglich Arbeitszeit folgend aus:

  1. EU-Recht
  2. Nationales Recht
  3. Bundesgesetz:
    Arbeitszeitgesetz – legt die Tages- und Wochenhöchstarbeitszeiten fest
  4. Verordnung
  5. Kollektivvertrag: legt die Normalarbeitszeit fest
  6. Betriebsvereinbarung

Kollektivvertrag

Der Kollektivvertrag darf aufgrund der größeren Schutzgewähr, die er kraft gewerkschaftlicher Verhandlungsmacht hat (losgelöst vom Druck im einzelnen Arbeitsverhältnis und vom zwischenbetrieblichen Wettbewerb, von dem auch der mit Kündigungsschutz ausgestattete Betriebsrat nicht frei ist), mehr Flexibilität nicht nur zulassen, sondern auch konkret selbst anordnen. Der Kollektivvertrag schafft Spielräume – entweder selbst, oder er ermächtigt „Zulassungsbetriebsvereinbarungen“, diese Spielräume zu schaffen. Die zugehörigen exakten Werte werden jedoch in jenen Rechtsquellen fixiert, die ja letztlich jedes Arbeitszeitmodell durch die Festlegung von Beginn- und Endzeitpunkten der zu leistenden Arbeitszeiten konkretisieren müssen: Entweder durch eine Betriebsvereinbarung gemäß § 97 Abs 1 Z 2 ArbVG bzw mangels einer solchen durch Einzelvereinbarung gemäß § 19c AZG.

Sinn und Zweck dieser Möglichkeit ist, Unternehmen die Rahmenbedingungen zu geben, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Praxisbeispiel

Als Beispiel aus der Praxis nehmen wir ein Produktionsunternehmen, welches zu bestimmten saisonalen Zeiten (z.B. Sommer) Produktionsspitzen fahren muss, bei welchen hohe Überstundenanzahlen bzw Mehrstundenzuschläge anfallen und andererseits wieder eher ruhige Zeiten (z.B. Winter) hat und bedroht ist durch eine starke ausländische Konkurrenz. Diesem Unternehmen käme ein Kollektivvertrag mit einer folgenden Betriebsvereinbarung entgegen, welche die Normalarbeitszeiten (Tages- wie Wochenarbeitszeit) ausdehnt, um sich die Überstundenzuschläge zu ersparen:

Betriebsvereinbarung: Arbeitszeitflexibilisierung

Die Betriebsvereinbarung enthält drei Aspekte:

  • Erstens lässt sie die Bandbreite gemäß dem Kollektivvertrag zu, verlängert also dem Wunsch des Arbeitgebers entsprechend die – zuschlagsfreie – tägliche und wöchentliche Normalarbeitszeit und legt den Durchrechnungszeitraum fest, innerhalb dessen die Normalarbeitszeit im Durchschnitt die kollektivvertraglich festgelegte Normalarbeitszeit nicht überschreiten soll.
  • Zweitens kompensiert sie den Verlust von Überstundenentgelten und die schlechtere Planbarkeit der Freizeit der Arbeitnehmer zumindest teilweise durch einen Geldzuschlag für jede Arbeitsstunde, die über die im Kollektivvertrag festgelegte wöchentliche Normalarbeitszeit hinausgeht.
  • Drittens legt sie Spielregeln fest, wie die Arbeitszeit jedes einzelnen Arbeitnehmers im Rahmen der Bandbreite der Lage nach konkret zu fixieren ist: Der Arbeitgeber muss den mengenmäßigen Bedarf eine bestimmte Anzahl von Wochen im Vorhinein bekannt geben, die daraus resultierenden „Wellenberge“ (Arbeitsspitzen) werden in den Arbeitsteams einvernehmlich auf die einzelnen Arbeitnehmer verteilt, im Konfliktfall entscheiden Arbeitgeber und Betriebsrat, in bestimmten Problemlagen zB im Zusammenhang mit Kinderbetreuung können Arbeitsspitzen vom Arbeitnehmer abgelehnt werden. Die „Wellentäler“ (Tage und Wochen mit kürzerer Arbeitszeit) werden zur Hälfte gemeinsam nach dem gerade geschilderten Modus verteilt, zur anderen Hälfte kommen sie auf ein Zeitausgleichskonto des Arbeitnehmers, über das dieser – mit einer bestimmten Vorankündigungsfrist – verfügen kann.

Der beschriebene Aspekt 1 kann als Kern der Zulassungsbetriebsvereinbarung gem § 1a bezeichnet werden, die Aspekte 2 und 3 als untrennbar mit diesem Kern verbundene Bestandteile.

Wenn nun aber die Grundvoraussetzungen nicht mehr existent sind, wie zB es gibt die Konkurrenz nicht mehr oder die Produktion verläuft nicht mehr in „Wellenbergen- bzw Tälern“, kann die Betriebsvereinbarung die Flexibilisierung der Arbeitszeit zurücknehmen.

Aufkündigung der Betriebsvereinbarung – Folgen

Der Betriebsrat beschließt, die Zulassung des Bandbreitenmodells zurückzuziehen, also die Betriebsvereinbarung aufzukündigen. Eine Nachwirkung der Zulassung, in deren Rahmen die Unternehmensleitung den Arbeitnehmern vielleicht auch noch die einzelvertragliche Vereinbarung des Wegfalls des Flexibilitätszuschlages und schlechtere Spielregeln über die Arbeitszeitverteilung aufdrängen könnte, würde offensichtlich den Schutzzwecken des Arbeitszeitrechts und des Betriebsverfassungsrechts zuwiderlaufen. Unsinnig wäre es aber auch, würde der Flexibilitätszuschlag – vielleicht für die Differenz zwischen kollektivvertraglicher und gesetzlicher Normalarbeitszeit, vielleicht gar zusätzlich zum Überstundenzuschlag bei Überschreitung der gesetzlichen Normalarbeitszeit weitergelten, obwohl kein flexibles Arbeitszeitmodell mehr angewendet wird.

Was schließlich sollen Verteilregeln über Wellenberge und Wellentäler an Normalarbeitszeit, wenn diese mangels zugelassener Flexibilität nur mehr als spiegelglatte Fläche oder Gerade darstellbar ist? Mit der Zulassungsnorm müssen die mit diesen untrennbar verbundenen Elementen des flexiblen Arbeitszeitmodells fallen. Für die Lage der Arbeitszeit bedeutet dies das Wiederaufleben der vorher geltenden Regelung (die früher für die klassische Arbeitszeitgestaltung geltende Betriebsvereinbarung bzw Einzelvereinbarungen). Existiert keine frühere Regelung und kommt keine Neuregelung zustande, die zur neuen Zulassungssituation passt, müssen Einzelvereinbarungen über die Lage der Arbeitszeit (gem. § 19c AZG, wonach die Lage der Normalarbeitszeit und ihre Änderung zu vereinbaren ist, soweit sie nicht durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung festgesetzt wird) unter Ausschöpfung des vertragsrechtlichen Auslegungsinstrumentariums (Verhalten redlicher Vertragsparteien usw) erschlossen werden.